Um von den Fresszellen des Immunsystems vor Erreichen des Wirkungsortes nicht zerstört zu werden, verstecken sich Nanocarrier mithilfe des Stealth-Effekts. Hierbei wird durch selektive Adsorption spezifischer Proteine des Blutplasmas eine Art Tarnkappe um den Nanocarrier gebildet.
Mithilfe von „Medikamenten-Transportern“ (Nanocarrier) gelangen Wirkstoffe an erkrankte Körperstellen. Dort forcieren sie den Heilungsprozess. Damit Fresszellen des Immunsystems sie aber nicht vor Erreichen des Wirkungsortes aufspüren, sind die Nanocarrier-Oberflächen mit dem biokompatiblen Polymer Polyethylenglykol (PEG) versehen. Dieses rekrutiert bestimmte Proteine aus dem Blutplasma und bildet dadurch eine Art Tarnkappe auf den Nanocarriern. Deshalb heißt das Prinzip auch Tarnkappen-Effekt oder Stealth-Effekt. Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz und des MPI-P fanden nun heraus, welche speziellen Proteine an das PEG anhaften müssen. Auf Basis dieser Entdeckung lassen sich Nanocarrier als Medikamenten-Transporter noch besser vor den Fresszellen des Immunsystems verbergen. Die Wissenschaftler haben diese Erkenntnis bereits auf Polyphosphate, übertragen. Diese sind im Vergleich zu PEG biologisch abbaubar und daher hoffnungsvolle Kandidaten für Wirkstoffträger in der langfristigen Therapie von chronischen Krankheiten.
Die Eigenschaft von PEG, Nanocarrier und andere Substanzen länger im Blut zirkulieren zu lassen, ist in der Medizin bereits bekannt. Allerdings wurde sie bisher damit erklärt, dass PEG eine Verminderung der Gesamtproteinbelegung der Nanocarrier-Oberfläche bewirkt. Die Arbeit von Dr. Frederik Wurm und Prof. Dr. Katharina Landfester vom MPI-P und von Univ.-Prof. Dr. Volker Mailänder von der Universitätsmedizin Mainz führt in dieser Art der Oberflächenmodifikation allerdings einen Paradigmenwechsel herbei: Zusammen mit ihren Kollegen konnten die Forscher zeigen, dass nicht die Verminderung einer Proteinanhaftung wesentlich für den Stealth-Effekt ist, sondern die zusätzliche Anreicherung von bestimmten Proteinen. So stellt nicht PEG selbst die Tarnkappe dar, sondern die Anhaftung von spezifischen Proteinen aus dem Blutplasma, allen voran das Apolipoprotein J, auch Clusterin genannt. Durch die selektive Adsorption des Clusterins wird die Tarnung der Nanocarrier erst ermöglicht, damit sie an ihrem jeweiligen Zielort im Körper ankommen. Nanocarrier (gelb) werden von komplexen Mischungen aus Proteinen bedeckt, bevor sie mit Zellmembranen interagieren und dann aufgenommen werden. © MPI-P „Mithilfe der hochauflösenden Massenspektrometrie konnten wir aus dem komplexen Gemisch des Blutplasmas genau analysieren, welche Proteine auf den Nanocarriern haften bleiben und wie sich diese zusammensetzen“, erklärt Mailänder. „Durch diese Erkenntnisse gelang es uns ebenfalls, eine neue Substanzklasse als Alternative zu PEG zu etablieren: Polyphosphat lässt sich vollständig biologisch abbauen, während das derzeit verwendete PEG bei einer Langzeitabgabe im Körper akkumulieren und Unverträglichkeiten hervorrufen kann“, ergänzt Wurm. „Dieses Ergebnis eröffnet auch die Möglichkeit, vollständig auf künstliche Materialien zu verzichten und für den Stealth-Effekt natürlich vorkommende Proteine zu nutzen“. Die Erkenntnisse können bei der Entwicklung neuer Medikamente zur Bekämpfung von erkranktem Gewebe, beispielsweise Tumoren, helfen. So kann damit beispielsweise die Gesamtdosis bei verlängerter Wirkzeit reduziert werden. Dies ist insbesondere für nebenwirkungsreiche chemotherapeutische Tumorbehandlungen entscheidend. Originalpublikation: Protein adsorption is required for stealth effect of poly(ethylene glycol)- and poly(phosphoester)-coated nanocarriers Susanne Schöttler et al.; Nature Nanotechnology, doi: 10.1038/nnano.2015.330; 2016