Jens Spahns neuer Gesetzentwurf zur Organspenderegelung stößt auf Widerstand. Kritiker empfinden den Vorschlag der doppelten Widerspruchslösung als bedenklich, Befürwortern geht er nicht weit genug. In einer Sache sind sie sich einig: Es muss sich etwas ändern.
Gemeinsam mit SPD-Politiker Karl Lauterbach und acht weiteren Initiatoren, darunter vier Mediziner, präsentierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute einen Gesetzentwurf zur Änderung der Organspenderegelung. Die sogenannte doppelte Widerspruchslösung stellte er am Vormittag auf einer Pressekonferenz in Berlin vor.
Der Entwurf sieht vor, dass jeder Deutsche über 16 Jahre zukünftig Organspender ist – es sei denn, er hat zu Lebzeiten schriftlich oder einem Angehörigen gegenüber widersprochen. Die doppelte Widerspruchslösung soll die Spenderzahlen anheben, doch sie wird scharf kritisiert.
Das Freiwillige der Spende, die Selbstbestimmung des Einzelnen und das Entscheidungsrecht der Angehörigen kämen zu kurz, meinen einige Experten. Anderen geht das Gesetz nicht weit genug.
Stephan Pilsinger, CSU-Abgeordneter und Arzt, hält Spahns Vorschlag zudem für fachlich bedenklich, wie er der Augsburger Allgemeinen sagte. Studien hätten gezeigt, dass die geringe Zahl der Organspenden auf schlechte Organisation in deutschen Kliniken zurückzuführen sei. Es gäbe zu wenig Fachpersonal zur Feststellung des Hirntodes und der Organentnahme. In anderen EU-Ländern habe die Einführung der Widerspruchslösung keinen Anstieg oder sogar eine Verringerung der Organentnahmen mit sich gebracht.
Dazu käme ein weiterer Aspekt: „Es ist ethisch nicht hinnehmbar, dass Menschen zu Ersatzteillagern werden, wenn sie psychisch nicht in der Lage sind, sich gegen eine Organspende auszusprechen“, so Pilsinger.
Ähnlich argumentiert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, gegenüber der Zeit. Spahn und Lauterbach würden wichtige Elemente der Organspende übersehen: „Jede Organspende ist eine freiwillige Entscheidung“, so Brysch. Mit der vorgeschlagenen Widerspruchslösung erhoffe man sich eine Art stumme Zustimmung derjenigen, die sich gar nicht erst mit dem Thema Organspende beschäftigen. „Schweigen heißt aber nicht Zustimmung“, betont Brysch. Ein solch wertvolles Geschenk, wie es die Organspende sei, lasse sich nicht mit der Brechstange erzwingen.
Außerdem sei es aus psychologischen Gründen falsch, Angehörige des Patienten bei dieser wichtigen Entscheidung auszuschließen. Denn der Entwurf sieht vor, dass nur der nächste Angehörige gefragt werden muss, ob ein schriftlicher oder anderweitiger Widerspruch des potenziellen Spenders vorliege. Wenn das nicht der Fall ist, gilt der Patient automatisch als Organspender.
Befürworter sehen genau hierin die Stärke von Spahns Vorschlag. „Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen“, sagte CSU-Abgeordneter Georg Nüßlein. Und Bundestagsvizepräsident Oppermann formulierte es gegenüber der Deutschen Tageszeitung so: „Die Bereitschaft zur Organspende kann der Staat nicht erzwingen. Aber er kann verlangen, dass sich alle aktiv dafür oder dagegen entscheiden.“ Das Recht auf Leben sei stärker als das Recht auf Schweigen.
Gudrun Ziegler, Gründerin des Forums Organspendetransplantation, stimmt dem zu. Für sie bedeutet ein Festhalten an der Freiwilligkeit eine gesellschaftliche Absage an die Organspende. Ziegler, die selbst mit einem transplantierten Organ lebt, betont, wie schwer diese Situation für die wartenden Patienten sei: „Organspende ist eine Gemeinschaftsaufgabe, aber als solche in den Köpfen der Menschen nicht präsent.“
Bisher habe sich kaum etwas Tiefgreifendes in der Thematik getan, kritisiert Ziegler. „Ich erwarte, dass es jetzt im politischen Raum ernsthafte Schritte gibt, mit denen wir weiterkommen als mit kleinen strukturellen Änderungen“, sagt sie. Doch die doppelte Widerspruchslösung könnte sich hier als Tropfen auf den heißen Stein entpuppen.
Das befürchtet auch Prof. Alfred Holzgreve, Transplantationsbeauftragter bei Vivantes. Er vermutet, dass eine Organentnahme wohl auch dann nicht passieren würde, wenn der Patient keinen Widerspruch eingelegt habe, die Angehörigen aber dagegen seien. „Wir sind dann fast in derselben Situation wie jetzt“, so der Experte.
Im Bundestag selbst stößt Spahns Vorschlag auf Widerstand. Nur knapp 38 Prozent unterstützen laut einer Umfrage die Widerspruchslösung. Über 82 Prozent wünschen sich aber eine Neuregelung der Organspende in Deutschland. Ein Gegenvorschlag kommt von einer Gruppe um Pilsinger und Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende der Grünen. Sie schlagen vor, dass jeder Deutsche regelmäßig verbindlich gefragt werde, ob er Organspender werden möchte.
Das könnte zum Beispiel bei medizinischen Untersuchungen oder dem Beantragen eines neuen Personalausweises gemacht werden. „Wir wollen die Organspende nach dem Tod als eine bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten und stärken, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf“, erklärte die Gruppe am Wochenende. Für diesen Vorschlag sprachen sich fast die Hälfte der Bundestagsabgeordneten aus.
Die Ärzteschaft hat sich offenbar bereits positioniert. Im Protokoll des 121. Deutschen Ärztetags in Erfurt fordern die Teilnehmer, „das Transplantationsgesetz (TPG) im Sinne einer Widerspruchslösung zu formulieren.“ Es könne von jedem Bürger erwartet werden, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen und gegebenenfalls ein Nein zur Organspende zu formulieren. Voraussetzung hierfür sei eine gesetzlich geregelte Aufklärung durch die Krankenkassen.
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