Die meisten Ohrenentzündungen klingen ohne Zutun wieder ab. Das hindert viele Ärzte nicht daran, Präparate zu verschreiben. Besonders beliebt bei solchen Infektionen sind homöopathische Tropfen.
Ein wenig Hintergrundwissen: Die meisten Mittelohrentzündungen sind viral bedingt. Mittlerweile wissen wir alle, dass die meisten viralen Infektionen von alleine wieder zurück gehen, Antibiotika sind hier nicht indiziert. Es gibt ein paar Ausnahmen, wo der Arzt schnell handeln muss, wie etwa Kinder unter 2 Jahren, ein schlechter Allgemeinzustand oder mangelnde Besserung nach zwei bis drei Tagen. Hier muss doch eine bakterielle Superinfektion behandelt werden.
Wir weisen in der Praxis auf ausreichende Schmerzstillung hin. Ohrenweh ist etwas Gemeines, eventuelle Fiebersenkung ist okay, außerdem hin und wieder die Gabe von Nasentropfen, um die Eustachische Röhre und damit das Mittelohr besser zu belüften. Engmaschige Kontrollen in der gleichen Woche, wenn die Ohrenweh nicht zurückgehen, sind selbstverständlich.
Spontanheilung auf pflanzlicher Basis
Verschiedene Studien und Leitlinien bestätigen dieses Vorgehen. Die Amerikaner nennen das Ganze „Watchful waiting“ oder „Wait and see“. Damit meinen sie, das Kind und die Eltern nicht der Ohrenentzündung auszuliefern, sondern wiederholt nachzuschauen, ob eine Spontanheilung eintritt. Die wichtigste Erkenntnis: Die meisten Ohrenentzündungen (60-70 %) klingen ohne Zutun wieder ab.
Diese Spontanremission ist die optimale Basis für alternativmedizinische Maßnahmen, allen voran wie immer die Globuli, aber auch das allseits angepriesene Otovowen. Leider wird das letztere Präparat auch in Fach[sic]-Zeitschriften beworben, scheinbar sind Mediziner eine gute Zielgruppe.
Was ist nun von der Werbung und dem Mittelchen zu halten?
Das Präparat wird als homöopathisches Mittel verkauft, also finden sich natürlich entsprechende Verdünnungen in der alkoholischen Lösung, hier nur kurz die deutschen Namen und die ungefähre Menge auf 10ml:
Das waren die Homöopathika, es braucht keine Erwähnung, dass hier kaum ein Molekülnachweis erfolgen kann. Es folgen die Phytotherapeutika:
Lassen wir die Homöopathika aus naheliegenden Gründen außen vor, so sind die Pflanzenbestandteile sicher nachweisbar, aber in so geringer Dosierung vertreten, dass wir eine Wirkung mehr als anzweifeln dürfen. Zudem wird das Mittel in einer Dosierung von 2-15 (d.i. 0,07 ml bis 0,6 ml) Tropfen mehrmals täglich empfohlen, was die absolute Menge nochmals reduziert.
Zum Vergleich: Im klassischen puren Echinacea-Präparat sind über 2 g Presssaft aus Sonnenhutkraut auf 100 g Saft enthalten, also 2 %, beim vorliegenden Ohrenmittel sind es 0,075 %.
Ach ja: Wir haben hier übrigens auch 53 Vol-% Alkohol drin, der Hersteller spricht von 90 mg pro 5 Tropfen und relativiert, ein halbes Glas Apfelsaft beinhalte mehr Alkohol. Ich weise daraufhin, dass das Fläschchen mit 10 ml immerhin 4,86 g Alkohol enthält. Zum Vergleich, ein Schnaps mit 20 ml enthält 6,08 g, also umgerechnet weniger (10 ml Schnaps = 3,04 g). Hoffen wir, dass das Kind das Mittel nicht „ext“.
Sehr ärgerlich finde ich stets die Slogans, die die Medizinwerbung begleiten. Es gibt immer einen Hinweis auf die Kosten, hier „budgetneutral auf grünem Rezept“, was suggeriert: Ärzte, das Zeug kostet euch und die Solidargemeinschaft nichts, lasst die Eltern selbst bezahlen. Manchmal steht da auch „Erstattungsfähig bis 12 Jahre“, was bei allen OTC-Präparaten auch richtig ist, wenn sie auf Rosa Rezept geschrieben werden. Die Wirksamkeit steigert das aber nicht. Otovowen wurde die Erstattungsfähigkeit unlängst abgesprochen, wegen fehlender „Zweckmäßigkeit“.
Sehr bedenklich auch das Versprechen „wirkt schnell“, denn eine echte kausale Wirkung darf man bezweifeln, und dass es „analgetisch“ sei. Ich konnte kein potentes Analgetikum in den Inhaltsstoffen identifizieren.
Auf der Werbeseite wird eine Studie von 2004 (!) präsentiert, die eine Reduktion von 81 % auf 14 % Antibiotikagabe suggeriert, sowie 67 % auf 53 % Analgetika. Schauen wir die Studie bei PubMed näher an, so finden wir eine offene, prospektive, nicht randomisierte und nicht placebo-kontrollierte Untersuchung. Ein Kommentar erübrigt sich.
Des weiteren sei die Kontrollgruppe „treated either conventionally (free combinations of decongestant nose drops, mucolytics, analgesics and antibiotics)„, also völlig unstandardisiert, während die Verumgruppe „supplemented by conventional medications when considered necessary„, also vermutlich auch mit Nasentropfen oder Analgetika.
Überhaupt nicht berücksichtigt wird, bei einer „akuten unkomplizierten Otitis“, was als Indikation genannt wird, gar nichts zu tun und abzuwarten, wie es die Leitlinien seit Jahren empfehlen.
Der Slogan des Präparats lautet „Otovowen – and see.“ Wie oben erwähnt, persifliert er den Hinweisspruch der englischsprachigen Empfehlungen und suggeriert, dass nur mit Otovowen das Wait-and-see-Prinzip funktioniere. Und das ist eben nicht so: Sehr gut geht es auch ohne.
Fazit
Einfache Ohrenentzündungen klingen unter Beobachtung auch ohne Antibiotika in 2/3 der Fälle ab, sind selbstheilend binnen zwei bis drei Tagen. Gibt man in dieser Zeit Otovowen, ist der subjektiv empfundene Einfluss des Präparates extrem gut. Wieder werden Wirkung und Wirksamkeit vermischt und zufällig gegebene Maßnahmen als kausal wirkend eingestuft.
Bildquelle: Hayes Potter, unsplash