Rituximab könnte Potenzial für die Behandlung des chronischen Erschöpfungssyndroms haben. Davon ging ein norwegisches Forscherteam viele Jahre lang aus. Die Ergebnisse ihrer neuen und bisher größten Studie sind eine große Enttäuschung.
Rituximab wirkt gegen das Oberflächenantigen CD20, das vor allem von B-Lymphozyten exprimiert wird. Es sollen also bösartige B-Zellen mithilfe dieses monoklonalen Antikörpers bekämpft werden. Zur Behandlung von Non-Hodgkin-Lymphomen und rheumatoider Arthritis kommt es bereits zum Einsatz.
Als weiteres Anwendungsgebiet rückte in den vergangenen Jahren das chronische Erschöpfungssyndrom CFS (oft auch als myalgische Enzephalomyelitis bezeichnet) in den Fokus der Forschung. Diese Hoffnung wurde nun enttäuscht, wie aktuelle Studienergebnisse zeigen.
Wie war man auf die Idee gekommen, CFS-Patienten könnten von Rituximab profitieren? Ausgangspunkt war das Ergebnis einer sehr kleinen Studie des norwegischen Forschers Øystein Fluge im Jahr 2004, wie NewScientist berichtete. Rituximab war eingesetzt worden, um das Lymphom eines Patienten zu behandeln, der zufällig auch am chronischen Fatigue-Syndrom litt. Monate später waren die Symptome des CFS völlig verschwunden. Fluge vermutete, dass Autoantikörper bei der Entstehung von CFS involviert sein könnten und dass es sich um eine Variante einer Autoimmunerkrankung handeln könnte. Zusammen mit Olav Mella und einem Team von Kollegen wollte er sich den Wirkstoff genauer ansehen.
Es folgte eine Beobachtung von drei Patienten im Jahr 2009, bei der sich die CFS-Symptome durch die Gabe von Rituximab verbesserten. Im Jahr 2011 untersuchten Fluge und Mella 30 CFS-Patienten im Rahmen einer kleinen doppelblinden Phase-II-Studie. Verglichen wurden 15 CFS-Patienten, die Rituximab erhielten, die anderen 15 dienten als Placebogruppe. Zwei Drittel jener Patienten, die Rituximab erhielten, berichteten über eine Verbesserung ihres Zustands, verglichen mit niemandem aus der Placebogruppe. Zusätzlich führten sie eine offene Studie mit 29 Patienten durch, die aber unveröffentlicht blieb. Und auch in der darauf folgenden Studie im Jahr 2015 waren die Ergebnisse wieder positiv: Von 28 Patienten konnte bei 18 eine deutliche Verbesserung der typsichen Symptome erzielt werden.
So klein die Teilnehmerzahl der bisherigen Studien auch war, die Untersuchungsergebnisse stimmten die Forscher optimistisch. Sie führten eine klinische Phase-III-Studie mit 151 CFS-Patienten über einen Zeitraum von ca. drei Jahren durch. Die Ergebnisse wurden kürzlich veröffentlicht. Die Hälfte der Teilnehmer hatte ein Jahr lang in regelmäßigen Abständen Rituximab-Infusionen erhalten, der Rest bekam Placebo-Infusionen. Die Symptome der Patienten wurde in diesem Zeitraum und noch ein weiteres Jahr lang gemessen, da der Wirkstoff etwas Zeit braucht, um zu wirken.
Die bisherigen Annahmen der Wissenschaftler konnten allerdings nicht bestätigt werden. Zwar berichteten 26 Prozent der Wirkstoffgruppe über nachlassende Müdigkeit. Doch dies taten sogar 35 Prozent der Placebogruppe ebenso. Hinzu kommt: Durch die Gabe von Rituximab kam es häufiger zu Nebenwirkungen, die einen Krankenhausbesuch erforderten wie beispielsweise Infektionen. In der Wirkstoffgruppe war diese Maßnahme bei 20, in der Placebogruppe bei 14 Patienten notwendig.
Fluge geht nun davon aus, dass sich Patienten aus vergangenen Studien nach der Gabe von Rituximab deshalb besser fühlten, weil sich ein Placeboeffekt einstellte oder weil es zu einer spontanen Abheilung kam. Es könnte aber auch sein, dass es einen Unterschied zwischen diesen Patienten und jenen der aktuellsten Studie gibt, der übersehen wurde. „Die Ergebnisse sind ein herber Schlag für die Forschung, weil man bisher davon ausging, dass Antikörper die Ursache von CFS sind“, wird Fluge im NewScientist zitiert. Dass die Lösung womöglich irgendwo im menschlichen Immunsystem zu finden ist, hält er dennoch für möglich. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass andere Teile des Immunsystems bei dieser Erkrankung aktiv werden.“
Auf der ME/CFS-Forschungskonferenz in Oslo 2017 verkündete Mella, dass er und Fluge definitiv am chronischen Erschöpfungssyndrom weiterforschen werden. Gemeinsam haben sie eine Biobank mit Blutproben von 311 CFS-Patienten und 255 gesunden Proben gebaut, die für weitere Forschungen zur Verfügung stehen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS.
Nicht nur mögliche Therapien sind Forschungsgegenstand von Fluges und Mellas Arbeit. Die Wissenschaftler untersuchen auch den Krankheitsprozess sowie den Zellstoffwechsel von Erkrankten und sie beschäftigen sich mit der Entwicklung von Biomarkern. Außerdem interessieren sich die Forscher für ein weiteres Chemotherapeutikum: Cyclophosphamid. Derzeit laufen zwei Phase-II-Studien, darunter eine mit 40 CFS-Patienten. Neben Cyclophosphamid wird als weiterer möglicher Therapieansatz gegen CFS derzeit auch die hochdosierte Gabe von Immunglobulinen erforscht.
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