Lange Zeit standen Benzodiazepine im Verdacht, das Demenzrisiko zu erhöhen. Wissenschaftler geben zwar Entwarnung, fordern aber trotzdem leitliniengerechte Verordnungen. Neben Abhängigkeiten gelten Stürze bei Senioren als großes Problem.
Nach wie vor fehlen wirksame Pharmaka zur Behandlung von Demenzen, speziell bei Morbus Alzheimer. Deshalb versuchen Wissenschaftler, vermeidbare Risikofaktoren zu identifizieren. Benzodiazepine stehen ganz oben auf ihrer Liste. Kurzfristig führen die Wirkstoffe zu Einschränkungen der kognitiven Leistung. Andererseits verordnen Ärzte entsprechende Pharmaka bei Schlafstörungen, wie sie als Vorläufer von Morbus Alzheimer auftreten: epidemiologisch ein schwieriges Unterfangen.
Sophie Billioti de Gage, Doktorandin am französischen INSERM, analysierte Daten von 1.796 Patienten mit Morbus Alzheimer und 7.184 Personen ohne die Erkrankung. Um Artefakte wie Medikationen bei noch nicht diagnostizierter Demenz auszuschließen, zog sie Verordnungen heran, die mindestens fünf Jahre zurücklagen. Alzheimer-Patienten hatten Benzodiazepine generell häufiger (49,8 versus 40,0 Prozent), aber auch langfristiger (32,9 versus 21,8 Prozent) erhalten als Menschen der Vergleichsgruppe. Nach Bereinigung möglicher Verzerrungen fand Billioti de Gage nur einen Zusammenhang, falls Patienten mehr als 90 Tagesdosen erhalten hatten. Das Risiko erhöhte sich bei 91 bis 180 Tagesdosen um 32 Prozent und darüber hinaus um 84 Prozent. Doch die Arbeit ist nicht ohne Schwäche. Wissenschaftler hatten keinen einzigen Patienten selbst untersucht, sondern lediglich elektronische Patientenakten ausgewertet.
Deshalb wählte Shelly Gray von der University of Washington School of Pharmacy einen anderen Ansatz. Sie rekrutierte 3.434 Senioren aus der „Adult Changes in Thought Study“. Deren Alter lag im Schnitt bei 75 Jahren. Altersübliche Vorerkrankungen waren kein Ausschlusskriterium, Demenzen aber schon. Neurologen testeten ihre Probanden alle zwei Jahre lang auf Symptome einer Demenz. Als Tool verwendeten sie das Cognitive Abilities Screening Instrument (CASI). Dieses gilt zwar als nicht besonders zuverlässig, liefert aber trotzdem verwendbare Aussagen, verglichen mit rein elektronischen Analysen. Zu den Ergebnissen: Innerhalb von 7,3 Jahren entwickelten 23,2 Prozent aller Teilnehmer eine Demenz – ohne Zusammenhang mit früheren Benzodiazepin-Verordnungen. Auch bei mehr als 120 Tagesdosen kam es nicht signifikant häufiger zur Erkrankung. Einen Persilschein will Gray trotzdem nicht ausstellen. Bei Senioren kommt es nicht nur zur Arzneimittelabhängigkeit. Viele Stürze werden ebenfalls mit Benzodiazepinen in Verbindung gebracht.