Organmangel und schlecht vorhersehbare Abstoßungsreaktionen sind eine große Herausforderung bei der Behandlung Schwerstkranker. Doch es gibt neue Ideen. Wie konkret sind sie?
In Deutschland hoffen etwa 9.400 schwer kranke Menschen auf eine Organtransplantation. Für viele ist sie die einzige Möglichkeit, um zu überleben: Alle acht Stunden stirbt ein Mensch auf der Warteliste, weil kein passendes Spender-Organ verfügbar ist. Nach einem Einbruch 2017 wurden 2018 wieder mehr Organe gespendet (2017: 797 Organe, 2018: 955).
Ein passendes Spenderorgan bedeutet aber nicht, dass den Patienten dauerhaft geholfen ist, denn Organtransplantationen sind ein kompliziertes Unterfangen. Ein prominentes Beispiel ist der Ex-Fußball-Profi Ivan Klasnić, bei dem 2007 die erste Nierenspende durch die Mutter fehlschlug. Die zweite Spende vom Vater wurde toleriert und Klasnić konnte sogar seine Karriere fortsetzen. Ende 2016 stand er aber wieder auf der Warteliste, weil das Spenderorgan nicht mehr ausreichend funktionierte. Vor etwa einem Jahr hat er in Kroatien die dritte Niere bekommen. Dort sind mehr Organe verfügbar, weil dort die hierzulande heiß diskutierte Widerspruchslösung gilt.
Verschiedene Organtransplantate reagieren sehr unterschiedlich auf Verfahren zur Induktion von Toleranz. Prof. Dr. med. Christian Hugo, Leiter der Nephrologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden und Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft, erläutert: „Die Leber hat eine Ausnahmestellung, sie scheint immunologisch besser geschützt zu sein als beispielsweise die Niere. Bei der Leber kommt es häufiger zu einer Toleranz auch bei niedriger Immunsuppression.“ Noch schwieriger als Nieren- und Leberspenden werden Herzen oder Lungen akzeptiert. Deshalb kann eine Organtransplantation nicht nach einer universellen Methode erfolgen, denn ein Vorgehen, das bei der Niere funktioniert, muß nicht das geeignete beim Herzen sein.
Das lässt vermuten, dass es organspezifische Faktoren gibt, die die Immunreaktion nach der Transplantation beeinflussen. Die Zellen oder Zellprodukte, die zur Akzeptanz oder Abstoßung eines Organs führen, sind immer noch weitgehend unbekannt. Bei Minischweinen werden Niere und Leber bei Unterschieden im MHC I Komplex zwischen Spender und Empfänger z. B. langfristig toleriert, wenn sie zwölf Tage mit einem Calcineurin-Inhibitor behandelt wurden. Herzen wurden unter denselben Bedingungen binnen 60 Tagen bei allen Versuchstieren abgestoßen.Interessanterweise wurden bei einer Ko-Transplantation von Niere und Herz beide Organe langfristig akzeptiert, die fremde Niere erzeugte also beim Empfänger eine Toleranz für das Herz. Prof. Hugo schildert, dass auch bei Nierentransplantationen versucht wurde, eine bessere Toleranz durch die gleichzeitige Transplantation eines Stückes der Leber vom selben Spender zu erzielen: „Die Huckepack-Leber sollte dazu führen, dass die Niere länger toleriert wird. Das hat aber bisher zu keinem Konzept geführt, das in der Praxis Bestand hatte. Gleichzeitige Knochenmarktransplantationen zusammen mit einer Nierentransplantation haben dagegen zum Teil Erfolg.“
Vor einer Transplantation werden die HLA-Merkmale von Spender und Empfänger verglichen sowie nach Antikörpern des Empfängers gegen HLA-Merkmale des Spenders gesucht. Solche Antikörper entstehen z. B. bei Schwangerschaften, Bluttransfusionen oder vorangegangenen Organtransplantationen. „Selbst vorhandene Antikörper gegen HLA-Antigene des Spenderorgans schließen den Erfolg der Transplantation nicht aus. Sie erhöhen das Risiko, aber vorhersehbar ist eine Abstoßung dadurch nicht“, so Prof. Hugo.
Ob ein Spenderorgan abgestoßen wird, kann derzeit nur klinisch beobachtet und muß noch immer mittels Biopsien nachgewiesen werden. Bei Nieren kommt noch eine Messung des Serumkreatinins und der glomerulären Filtrationsrate zum Einsatz. Generell ist die nicht-invasive Diagnostik aber relativ unspezifisch und liefert erst Ergebnisse, wenn die Abstoßungsreaktion schon weit vorangeschritten ist. Ein neueres Verfahren, das sich noch in der Entwicklung befindet, ist der Nachweis von Spender-DNA (donor-derived cell-free DNA, dd-cf DNA). Bei Lebertransplantationen erhöhte sich der Spiegel an DD-cf DNA schon 8-15 Tage, bevor eine Abstoßungsreaktion in der Biopsie erkennbar war. Das ist ein klinisch hoch relevanter Befund, da die Früherkennung ein Fenster für therapeutische Eingriffe öffnet.
Besonders relevant könnte das Verfahren für Empfänger von Lungen sein, die im Vergleich zu anderen Organtransplantationen die kürzeste Überlebensrate haben: Nur die Hälfte von ihnen überlebt länger als fünf Jahre. Unter 106 Empfängern war die Gefahr einer Abstoßung bei erhöhten dd-cf DNA-Spiegeln sechsfach höher. Von den Hochrisikopatienten, die mehr Fremd-DNA im Blut hatten, zeigte jedoch nur die Hälfte klinische Symptome. „Wir haben zum ersten Mal gezeigt, dass Spender-DNA ein prädiktiver Marker für eine chronische Lungenabstoßung ist und kritische Zeitpunkte für das Eingreifen liefern kann. Wenn die Abstoßung durch diesen Test frühzeitig erkannt wird, haben Ärzte die Möglichkeit, die Dosierung von immunsuppressiven Medikamenten zu erhöhen, neue Wirkstoffe zur Entzündungshemmung hinzuzufügen oder andere Maßnahmen zu ergreifen“, so Dr. Hannah Valantine vom Labor für Organtransplantationsgenomik in der Kardiovaskulären Abteilung am National Heart, Lung, and Blood Institute (NHLBI, Bethesda, USA).
Prof. Hugo sagt: „Optimal wäre ein ,Immunometer‘, mit dem sich individuell für jeden Patienten durch ein Set von Biomarkern die optimale Dosis an Immunsuppressiva messen ließe, so dass das Organ nicht abgestoßen wird und die Nebenwirkungen, z. B. Bluthochdruck, Infektionen oder Tumorentwicklung reduziert werden.“
Pioniere der Stammzellforschung sehen eine neue Möglichkeit, Nierentransplantationen zu umgehen. Wissenschaftler des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine (WFIRM) arbeiten an einem vielversprechenden Ansatz zur Behandlung bei chronischen Nierenerkrankungen. Sie wollen eine Regeneration geschädigter Gewebe durch die Verwendung von therapeutischen Zellen erreichen.
Dafür nutzen sie amniotische Stammzellen, die in einem vorklinischen Modell die Organfunktion wiederherstellen konnten. Bei Ratten mit chronischer Nierenerkrankung führte die Injektion der Zellen binnen zehn Wochen zu einer Verbesserung der Nierenfunktion, was sich an der Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten und auch in Biopsien zeigte, deren Kapillaren weniger Schädigungen aufwiesen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Art von Stammzelle als universelle Quelle für Standardzellen verwendet werden könnte und eine alternative therapeutische Strategie für Patienten darstellen könnte, die an dieser chronischen und entkräftigenden Krankheit leiden“, sagte James J. Yoo, Professor für Regenerative Medizin am WFIRM.
Das Team um Yoo hat 2007 erstmals Stammzellen aus Fruchtwasser isoliert und Techniken zur Vermehrung entwickelt. Neben einer bemerkenswerten Plastizität haben diese Zellen auch immunmodulatorische Wirkungen. Im Gegensatz zu pluripotenten und adulten Stammzellen neigen die amniotischen Stammzellen weniger dazu, eine Immunreaktion auszulösen und bergen ein geringeres Tumorrisiko.
Prof. Hugo sieht in gezüchteten Mini-Organen, sogenannten Organoiden, vielfältige diagnostische und therapeutische Möglichkeiten für die Zukunft. „Wir arbeiten auch mit Nieren-Organoiden. Das sind kleinste Organe in den ersten Stadien der Organentwicklung, die aus pluripotenten Stammzellen von Patienten individuell generiert werden können. Daran kann man z.B. die Erkrankung von Patienten individuell nachempfinden, diagnostische Tests und Therapien entwickeln.“
Kürzlich wurde das erste aus Patientenzellen im 3D-Druckverfahren erzeugte Herz von Wissenschaftlern der Universität in Tel Aviv präsentiert. Es ist zwar noch nicht größer als das eines Kaninchens, enthält aber bereits Kammern und Blutgefäße und die Zellen können sich zusammenziehen. Die Forscher hoffen, erste Organe bald in Tierversuchen testen zu können.
Bis alternative Methoden zur Organtransplantation verfügbar sind, werden noch viele Jahre vergehen, in denen Menschen auf Spenderorgane angewiesen sind. Ärzte können einen Beitrag zur Minderung des Mangels leisten, indem sie das Thema aktiv ansprechen oder indirekt durch ausliegendes Informationsmaterial und Organspendeausweise einen Zugang ermöglichen. Denn jeder, der einen Ausweis hat, nimmt seinen Angehörigen im Falle seines plötzlichen Todes eine schwierige Entscheidung ab – und das in einem Moment, in dem die wenigsten mit solch einem Thema konfrontiert werden möchten.
Ein Artikel von Karen Zoufal
Bildquelle: Ralf Lotys, Wikimedia Commons