In der Wissenschaft und Medizin wünscht man sich schon lange Kortison-Analoga mit weniger Nebenwirkungen. Verfügbar sind bisher keine. Ein körpereigenes Protein könnte nun einen Ansatz für die Entwicklung neuer Therapien darstellen.
Glukokortikoide sind äußerst potente entzündungshemmende Medikamente, auf die fast alle Körperzellen reagieren. Problematisch ist aber, dass das Spektrum der Nebenwirkungen entsprechend groß ist. Am häufigsten werden sie beispielsweise zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Allergien, entzündlichen Krankheiten, einigen Lungenerkrankungen oder bei bestimmten Chemotherapien eingesetzt. Die Nebenwirkungen können jedoch schwerwiegend sein und schränken den Gebrauch im klinischen Alltag ein. Gibt es Hoffnung auf neue Therapien mit weniger Nebenwirkungen? Und wie lässt sich mit den Nebenwirkungen umgehen?
Es gibt verschiedene Strategien, mit denen man versucht, die Nebenwirkungen anzugehen:
Zu den häufigen Nebenwirkungen von Glukokortikoiden zählen Insulinresistenz, Hyperglykämie, Hyperlipidämie und Adipositas. Die Aktivierung von metabolischen Genen erfolgt u.a. durch den Glukokortikoidrezeptor, der nach der Bindung von Glukokortikoiden in den Zellkern wandert, um dort die Aktivität von Zielgenen zu regulieren.
Zunächst hatte man die Vorstellung, dass die antientzündliche Wirkung durch die Repression inflammatorischer Gene und die Nebenwirkungen durch die Aktivierung anderer Gene verursacht werden. Dann stellte sich heraus, dass die Sache nicht ganz so einfach ist. Vielmehr erfolgen die Reaktionen eher zell- und gewebespezifisch, je nachdem, welche weiteren Genregulatoren vorhanden sind. So der Transkriptionsfaktor E47, dessen Funktion man bisher eher in B- und T-Zellen untersucht hatte.
Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass eben dieser Transkriptionsfaktor E47 eine wichtige Rolle für die Nebenwirkungen von Glukokortikoiden in der Leber spielt. Im Januar beschrieb ein Team um Prof. Dr. Henriette Uhlenhaut vom Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in München in einem Artikel, dass der Transkriptionsfaktor E47 in der Leber ein Modulator der Regulierung des Glukose- und Lipidstoffwechsels durch den Glukokortikoidrezeptor ist.
Nach einer dreiwöchigen Verabreichung des Glukokortikoids Dexamethason mit dem Trinkwasser zeigten Wildtyp-Mäuse im oralen Glukosetoleranztest eine milde Hyperglykämie. Knock-out-Mäuse, denen E47 fehlte, waren gegen diesen Effekt geschützt, vermutlich durch eine verminderte Gluconeogenese. Sie schnitten auch in Pyruvat-Toleranztests mit geringeren Werten ab. In diesen Tests wird die Fähigkeit gemessen, aus Pyruvat Glukose herzustellen. Die basale Glukose- oder Pyruvat-Toleranz war jedoch mit der von Wildtyp-Mäusen vergleichbar, ebenso wie ihr Gewicht und die Körperfettmasse.
In einem weiteren Versuch trat bei Wildtyp-Mäusen nach einer Gabe von Corticosteron über drei Wochen hinweg eine Lebersteatose auf, während sich in den Leberzellen der Knock-out-Mäuse keine Fettansammlung fand. Wenn den Mäusen Futter entzogen wurde, hatten die Knock-out-Mäuse weniger Triglyzeride in der Leber, die Blutzuckerwerte waren dagegen nur geringfügig niedriger als bei den Wildtyp-Mäusen – die reduzierte Gluconeogenese der Leber wurde bei den Knock-out-Tieren durch die Nieren ausgeglichen. Die entzündungshemmende Wirkung auf Makrophagen war bei den Knock-out-Mäusen jedoch vorhanden, d. h. die erwünschte Kortisonwirkung blieb erhalten.
Demnach wird E47 in Hepatozyten für die Aktivierung der Gluconeogenese, Lipid- und Cholesterinspeicherung sowie die Triglyceridsynthese benötigt. Ein Fehlen von E47 verbesserte die metabolischen Parameter und verhinderte die Entwicklung von Hyperglykämie und Lebersteatose als Reaktion auf Glukokortikoide. Die Autoren werten dies als einen Startpunkt für neue Therapien mit reduzierten Nebenwirkungen.
Mit E47 hat man nun zwar einen wichtigen Wirkmechanismus entdeckt, aber noch weiß man nicht, wie darauf beim Menschen gezielt Einfluss genommen werden kann. Einen Schritt weiter ist man bei der Entwicklung selektiver Glukokortikoidrezeptor-Modulatoren, den SEGRMs, mit denen man die Wirkung von Zielgenen gezielt beeinflussen will.
Erschwert wird dies allerdings durch die Tatsache, dass die glukokortikoidinduzierten Nebenwirkungen im Prinzip normale physiologische Wirkungen auf endogenes Cortisol darstellen, die unangemessen intensiviert, verlängert oder zum falschen Zeitpunkt des zirkadianen Zyklus ausgelöst und fortgesetzt werden. Der Begriff „Nebenwirkungen“ ist also eigentlich gar nicht zutreffend. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum es bisher nur wenige SEGRM bis zu klinischen Studien geschafft haben, bei den meisten von ihnen wurde die Entwicklung relativ bald eingestellt.
Zudem gibt es Dutzende oder Hunderte von Proteinen, die über Aktivierungsdomänen des Glukokortikoidrezeptors als Coaktivatoren fungieren können. Die Expression dieser Coregulatoren ist in hohem Maße zelltypspezifisch. Aufgrund langjähriger Forschung und guter Kenntnis dieser Faktoren ist es mittlerweile möglich, durch Labortests weitgehend vorherzusagen, ob eine Substanz selektive modulatorische Effekte haben wird oder nicht.
Einer der Kandidaten mit reduzierten Nebenwirkungen war Fosdagrocorat (PF-04171327). In einer Phase-II-Studie unter 86 Patienten mit rheumatoider Arthritis wurde durch 25 Milligramm Fosdagrocorat eine signifikante Verbesserung der Erkrankung im Vergleich zu 5 Milligramm Prednison und Placebo beobachtet, bei ähnlichen Nebenwirkungen. In einer größeren Untersuchung mit 323 Patienten mit rheumatoider Arthritis hatten 15 Milligramm Fosdagrocorat pro Tag eine ähnliche Wirksamkeit auf die Symptome wie 10 Milligramm Prednison. Die Nebenwirkungen auf den Knochenstoffwechsel und den Nüchternblutzucker entsprachen denen von 5 Milligramm Prednison täglich. Dies spricht dafür, dass die Entwicklung von SEGRMs mit besserer klinischer entzündungshemmender Wirkung bei ähnlicher Sicherheit im Vergleich zu Glukokortikoiden möglich ist. Dennoch hat Pfizer ohne Nennung von Gründen die Weiterentwicklung vorerst gestoppt.
Es bleiben zwei Wirkstoffe von Astra Zeneca, einer der Kandidaten ist AZD9567, für den Vorstudien zur Sicherheit und Pharmakokinetik abgeschlossen wurden. Demnächst soll sich der Wirkstoff bei Patienten mit rheumatoider Arthritis gegen Prednison behaupten. Der zweite Hoffnungsträger ist AZD7594, für den bei Asthma und COPD erste positive Ergebnisse vorliegen. Kürzlich wurden Daten aus einer Phase-IIa-Studie zur Behandlung von 54 Patienten mit leichtem bis mittelschwerem Asthma veröffentlicht. Bei täglicher inhalativer Verabreichung von AZD7594 zeigten sich eine verbesserte Lungenfunktion und eine Verringerung der Entzündungen der Atemwege. Der Wirkstoff wurde gut vertragen und hatte ähnliche Nebenwirkungen wie das Placebo.
Durch andere Basistherapien ist es heutzutage oft möglich, den Einsatz von Glukokortikoiden bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen stark zu reduzieren, denn mittlerweile stehen eine Vielzahl kortisonsparender Medikamente zur Verfügung, z. B. Biologika. Prof. Dr. med. Karin Manger, Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie in Bamberg, sagt: „Wir sind heute in der Behandlung mit Kortison sehr viel strenger und differenzierter. Vor zehn Jahren waren wir beispielsweise bei der rheumatoiden Arthritis bereits zufrieden, wenn neben einer Basistherapie fünf Milligramm Prednisolon zur Erhaltung gegeben wurden. Heutzutage wollen wir binnen sechs bis maximal zwölf Monaten auf Null sein, weil man immer mehr realisiert, dass auch fünf Milligramm über sehr lange Zeit hinweg nicht als positiv zu bewerten sind.“
In ihrem Alltag spielen Infekte bei höheren Dosen eine wichtige Rolle: „Glukokortikoide ohne Infekt-Nebenwirkung wären sensationell, denn der Effekt und das Tempo dieser Substanzen sind beeindruckend. Aber das ist wohl eine Utopie. Diesbezüglich sind die klassischen Basistherapeutika als weniger gefahrvoll einzuschätzen als Prednisolon, bei dem mit jedem Milligramm mehr Infekte auftreten.“
Tatsächlich funktioniert das Absenken der Dosis bei einigen Patienten nicht: „Manchmal kämpfen wir über Monate und Jahre darum, Prednisolon um ein oder zwei Milligramm zu reduzieren, obwohl wir auf der anderen Seite einen Berg von anderen Medikamenten haben, die auch gut wirksam sind.“ Ihrer Erfahrung nach gelingt das bei kürzerer Therapiedauer besser. Aber bei älteren Menschen, die seit vielen Jahren geringe Dosen nehmen, ist das Ausschleichen häufig sehr viel schwieriger oder sogar unmöglich.
Ein Artikel von Karen Zoufal.
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