Viele tun es, doch nur wenige machen es richtig: Joggen. Was sind die häufigsten Fehler der Läufer und wie wirken sie sich auf den Körper aus? Vier Sportmediziner aus unserer Community debattieren über den Laufsport.
Welche Fehler begehen Freizeitläufer am häufigsten? Und wie gehen Ärzte in der Praxis damit am besten um? Diese Fragen stellten wir vor einiger Zeit in der DocCheck Community. Zahlreiche User meldeten sich bei uns. In diesem Artikel kommen vier Laufexperten zu Wort.
Einer von ihnen ist Jürgen Kosel, Facharzt für Orthopädie. Ihm ist ein Patientenfall besonders gut in Erinnerung geblieben: Ein routinierter Läufer, 42 Jahre alt, kommt mit drei Paar unterschiedlichen Laufschuhmodellen in seine Praxis. Er klagt über Knieprobleme. „Nach Überprüfung seiner statischen Verhältnisse habe ich ihn draußen auf dem Bürgersteig mit jedem Paar laufen lassen und dabei insbesondere seine Rückfußstellung in den Schuhen beurteilt“, erzählt Kosel. Nur mit einem Paar war diese korrekt.
Der Patient war aber in den letzten Monaten immer mit den beiden anderen Schuhen gelaufen, sodass sich eine Überlastung mit Sehnenreizung unmittelbar unter dem Kniegelenk entwickelt und ihm vermeintliche Knieprobleme gemacht hatte. „Seine Lauftechnik war nicht zu beanstanden. Die beiden für ihn schlechten Paar Schuhe hat er direkt vor meiner Praxis in die Tonne geworfen und läuft seitdem mit dem richtigen Paar. Innerhalb von acht Tagen war er ohne weitere Maßnahmen wieder beschwerdefrei.“ In dem Zusammenhang stellt sich für Kosel folgende Frage: „Wie viele Orthopäden hätten zunächst das Knie geröntgt und Aktivitäten (wie Injektionen, Salben, Krankengymnastik) unternommen, die alle nicht notwendig sind? Es ist leider so, dass vielen Kollegen der funktionelle Blick verloren gegangen ist“, kritisiert er.
So einfach wie im genannten Beispiel ist es natürlich nicht immer. Manche Läuferbeschwerden gehen von alleine weg, andere sind hartnäckiger und bedürfen einer Therapie, wie Karsten Hollander erklärt. Normalerweise arbeitet er auch im Bereich „Interdisziplinäre Sportmedizin im BG Klinikum Hamburg“, seit drei Monaten befindet er sich auf einem Forschungsaufenthalt im Spaulding National Running Center der Harvard Medical School.
Häufig ist die Achillessehne betroffen. Tendopathien können durch Fehl- oder Überbelastung entstehen und zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen. Eine der häufigsten Diagnosen ist außerdem das iliotibiale Bandsyndrom (ITBS), auch häufig als Läuferknie oder Runner's Knee bezeichnet. Dabei leidet der Patient unter überlastungsbedingten Schmerzen im Bereich des Knies, die vom Tractus iliotibialis ausgehen. Zu den häufigsten laufbedingten Verletzungen gehören Knochenmarksödeme oder Ermüdungsfrakturen in Mittelfuß oder Schienbein.
Bei Sehnenverletzungen oder Überlastungen muss nicht zwangsläufig mit dem Training aufgehört werden, sagt Hollander. Beim ITBS beispielsweise seien vorrangig die Hüftabduktoren geschwächt und sollten gezielt auftrainiert werden. Außerdem solle wie im genannten Fallbeispiel das Schuhwerk berücksichtigt werden. Bei Achillessehnen- oder Patellasehnenproblemen rät er vermehrt auf exzentrisches Training zu setzen, auch eine schmerzadaptierte Reduktion des Trainings kann sinnvoll sein. Zur akuten Entlastung bei Achillessehnenbeschwerden kann kurzzeitig ein Keil im Schuh hilfreich sein.
Anders sieht es bei Knieverletzungen aus. Meistens manifestieren sich die Beschwerden zwar am Knie, kommen aber von der Gesäßmuskulatur. „Hier wird oft eine Schwäche der Abduktoren diskutiert, aber auch eine Verkürzung der Gesäßmuskulatur. Zur Therapie gehört die Stärkung der Hüftaduktoren und abhängig von der Ausprägung eine Trainingsreduktion, eine Laufpause ist auch hier nicht zwangsweise notwendig“. Kniebeschwerden können sehr unterschiedliche Ursachen haben und benötigen eine individuelle Therapie. Zu den möglichen Behandlungsoptionen zählen unter anderem Dehnung, Kältetherapie und kühlende Salben.
Bei schwerwiegenderen Fällen wie etwa einem Knochenmarksödem ist ein MRT nötig, um die Graduierung vorzunehmen. Davon abhängig gestaltet sich die Therapie, die in der Regel mit Laufpausen zwischen 6 und 12 Wochen einhergeht. Hier kann eine Physiotherapie notwendig sein. Schmerzmittel sind laut Hollander eine Option, wirken aber nur symptomatisch. „In der akuten Schmerzphase kann man das machen, es ist wissenschaftlich aber noch nicht geklärt, ob dadurch der Heilungsprozess gestört wird“.
Für instabile oder entgleiste chronische Erkrankungen gilt Sportverbot bis zur Stabilisierung, wenn es nach Michael Fritz geht. Der Facharzt für Allgemein- und Sportmedizin führt eine Praxis in Viersen. Als Beispiele nennt er unter anderem Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern oder COPD. Im stabilen kompensierten Zustand wirke sich ein moderates Lauftraining aber günstig auf den Krankheitsverlauf aus. In bestimmten Fällen müssen Patienten laut Fritz alternativlos mit dem Sport aussetzen bis zur Rekonvaleszenz und zwar bei Fieber sowie akuten Infektionen oder Verletzungen.
Kosel möchte die Liste noch um Patienten mit Endoprothesen erweiteren: „Da Joggen durch eine Flugphase charakterisiert ist, wirken beim Bodenkontakt hohe Kräfte auf den Körper ein. Patienten mit Endoprothesen oder anderen Implantaten der unteren Extremitäten, meist Hüft- oder Knie-TEP, ist diese Belastungsform nicht zu empfehlen, da die Kräfte an der Grenzschicht zwischen Knochen und starrem Material zu Implantat-Lockerungen führen können.“ Als Alternativen nennt er Aqua-Jogging, Walken oder Radfahren.
In den meisten Fällen ist an Beschwerden, die mit dem Laufen zusammenhängen, nicht nur das Schuhwerk schuld, sondern auch die Person, die es trägt. Selbst routinierte Läufer sollten sich die Frage stellen, ob sie tatsächlich die richtige Art zu laufen gefunden haben. Diejenigen, denen man nichts mehr beibringen muss, befinden sich in der Minderheit, wenn man bei den Experten nachfragt. Um die Hälfte der Läufer weist keine optimale Technik auf, schätzt Hollander.
Das Urteil seiner Kollegen fällt sogar noch härter aus: „Die Masse läuft leider falsch. Aus meiner Erfahrung bei meinen Anfängerkursen laufen 9 von 10 mit der schlechteren Technik“, sagt Carsten Janecke. Er ist Trainer für den Leistungssport Triathlon in Sehnde. Ähnlich sieht es Kosel: „Wenn man sich im Stadtwald in Köln auf eine Bank setzt und eine Stunde lang Läufer beobachtet, haben etwa 2 von 10 eine gute Lauftechnik.“ Fritz ist davon überzeugt, dass „bei geschätzt 80 % der Läufer die Koordination und Technik des Laufens noch verbessert werden könnte.“
Als Hauptproblem sieht Janecke das „Einbremsen“. „Viele setzen mit dem Hacken, also der Ferse, auf – wie beim Gehen. Damit „bremsen“ sie eher, anstatt zu rollen.“ Dadurch komme es zu einer sehr hohen Stoßbelastung, die von den Gelenken, Bändern, Sehnen, Menisken und Bandscheiben absorbiert werden müssen. „Um dem entgegenzuwirken, stellt die Laufschuhindustrie hier sehr gedämpftes Schuhwerk her, um diese Belastung nicht zu Schädigungen am Körper kommen zu lassen. Besser wäre es, hier die Lauftechnik umzustellen“, so der Lauftrainer und ergänzt: „Ohne Schuhe würde niemand auf dem Rückfuß über einen längeren Zeitraum beim Laufen aufsetzen“.
Hierzulande laufe man anders als beispielsweise in Kenia: „In Deutschland sind die meisten Menschen Rückfußläufer, in Kenia gibt es zum Beispiel größtenteils Vorfußläufer“, bestätigt Hollander. Deshalb profitiert ein Patient mit Knieproblemen normalerweise davon, auf den Vorfuß zu wechseln.
Janecke empfiehlt folgenden Test: Man springt ohne Schuhe auf der Stelle mehrfach nach oben. „Achten Sie darauf, wie Sie automatisch aufkommen. Niemand landet auf den Hacken, sondern auf dem Vor- bzw. Mittelfuß. Machen Sie nun denselben Test und landen gezielt auf den Hacken und spüren Sie den Unterschied.“ Diese Belastung würde bei der falschen Lauftechnik immer über das Knie-, Hüftgelenk und Bandscheiben absorbiert werden müssen, erklärt er. Bei der Lauftechnik auf dem Mittelfuß sei die Beanspruchung der Wadenmuskulatur sowie des Mittelfußes zwar hoch, dafür werde aber das Knie- und Hüftgelenk geschont, da die Muskulatur sowie die Bänder und Sehnen die Stoßbelastung erheblich abfedern.
Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn der Läufer nicht seinen Oberkörper aufrecht hält, sondern ihn nach vorn einrollt, sagt Janecke. Auf diese Weise ist der Blick auf die Füße gerichtet. „Mit dem Einrollen werden die Schultern nach vorn gezogen, dann ist die Wirbelsäule ebenfalls mit betroffen, und Rippen können sich auch nicht mehr frei bewegen. Sie werden aber aktiv beim Einatmungsprozess benötigt“, erklärt der Trainer. Die Folge: Durch die Haltung werden die Rippen behindert. Eine tiefe Belüftung der Lunge ist so kaum möglich, eine freie und tiefe Atmung wird erschwert.
Oft beobachtet er auch, dass Läufer zu große Schritte machen ud mit Ihrem Fuß vor dem Körper aufsetzen. „Die meisten von uns verbringen den Großteil ihrer Zeit in sitzender Haltung, was dazu führt, dass der Hüftbeuger (M. iliopsoas) verkürzt ist.“
Ganz besonders problematisch findet Hollander das Thema Einlagen. Sie werden seiner Ansicht nach zu schnell und zu oft verschrieben werden. „Der Plattfuß wird viel zu oft diagnostiziert und dann kommt die Einlage dazu.“ Warum er kein großer Fan ist? Bei einem Plattfuß bestehe oft noch die Möglichkeit, dass der Patient mit Hilfe der eigenen Muskulatur das Fußgewölbe noch aktiv aufrichten kann. „Sobald eine passive Einlage unter das Fußgewölbe kommt, wird die Muskulatur weiter geschwächt“, erklärt der Arzt und Biomechaniker. Stattdessen empfiehlt er Barfußtraining oder das Laufen mit sehr leichten und flexiblen Schuhen (z.B. minimalistische Schuhe wie Leguanos) auf sicherem Untergrund, zwischen fünf und 15 Minuten drei Mal pro Woche reichen völlig aus.
Eigenes Fehlverhalten bewusst wahrzunehmen, gelingt nicht immer. Patienten, die wiederholt über Beschwerden während oder nach dem Laufen klagen, sollten deshalb Janeckes Ansicht nach einen Laufkurs absolvieren.
Einige Faktoren, die zu Sportleiden führen, haben gar nichts mit Technik oder dem richtigen Schuh zu tun, betont Fritz. Vielmehr sieht er in vielen Fällen menschliche Eigenschaften als wahre Ursache: Leistungsdrang, Ungeduld, Wettkampfleidenschaft, inadäquate Steigerung der Intensität, Quantität oder Dichte – das alles führe dazu, dass man dem Körper zu viel zumutet. Auch Hollander beobachtet häufig, dass Menschen sich beim Sport überschätzen oder zu ehrgeizig sind. Wenn der Körper nicht daran gewohnt ist, hält er zu häufiges, zu langes oder zu schnelles Laufen für nicht besonders sinnvoll. „Wer nicht auf Warnzeichen des Körpers hört und weitermacht, chronifiziert Beschwerden“, betont er. „Der Klassiker ist die Zielsetzung Marathon an Silvester. Gleich im Januar legt man los mit 40 km Laufen pro Woche, nächste Woche 60, die Woche drauf 90 Kilometer. Irgendwann fängt es an, wehzutun.“ Stattdessen solle man einen Reiz setzen und dem Körper die Zeit geben, sich anzupassen.
Was die körperliche Aktivität im Allgemeinen betrifft, nennt Hollander als Richtwert die WHO-Empfehlung: Mindestens 150 Minuten moderate Bewegung pro Woche. „Aber damit würde ich nicht starten“, betont der Mediziner. Einsteiger sollten auf jeden Fall einen Pausentag zwischen den Einheiten einbauen, das heißt, maximal 3 Mal pro Woche trainieren.“ Am zielführendsten ist zu Beginn die Kombination aus Laufen und Gehen: Eine Minute gehen, eine Minute laufen. Eine Woche später steigert man moderat auf 2 Minuten laufen, eine Minute gehen, dann vier Minuten laufen, eine Minute gehen. „Wenn man die gelaufenen Kilometer pro Woche zusammenrechnet, dann sollte man diese um nicht mehr als 10 bis 20 Prozent pro Woche steigern“, gibt er als Richtwert an. Das wären zum Beispiel 10 Kilometer pro Woche in der nächsten zwischen 10 und 12 – nicht mehr. Denn durch eine zu schnelle Steigerung in zu kurzer Zeit steige die Verletzungsgefahr.
Wenn es nach Fritz geht, gilt dennoch für alle gesunden Menschen: „Auch ein suboptimales Training ist besser als gar kein Training. Und falls es zu lang, zu schnell, zu oft oder zu früh war, dann zieht der Körper in der Regel die Notbremse und fordert den Läufer zur Pause auf. Ein Lernprozess setzt ein.“ Im besten Fall.
Das war der erste Teil unserer Laufexpertenrunde. Im zweiten Teil, der demnächst erscheint, wird es um das Thema Laufschuhe gehen.
Bildquelle: Jeremy Lapak, unsplash