Durch eine Klage wurde verhindert, dass auf Fischstäbchen der Nutri-Score zu sehen ist. Die Lobbyverbände in Deutschland wehren sich gegen Transparenz. Ich finde, es wird Zeit, sich zurückzuwehren.
In Industrienationen entstehen Gesundheitsprobleme durch Ernährung in Form von Überernährung. Übergewicht und damit Diabetes und andere Folgen werden durch den hohen Zucker- und Fettgehalt in vielen Nahrungsmitteln gefördert, ohne dass den Betroffenen das Ausmaß des Energieüberschusses klar ist. Insbesondere bildungsferne Schichten fehlernähren sich.
Dem wollen Verbraucherschützer wie Foodwatch oder die Verbraucherzentrale Hamburg auf verschiedene Weise entgegen wirken. Eine zentrale Maßnahme: Das Abbilden einer leicht und intuitiv verständlichen Information auf der Packungsvorderseite prozessierter Nahrungsmittel. Hoffnungsträger ist das Nutri-Score-System, das relativ viele Faktoren berücksichtigt (Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren, Gesamtenergiegehalt aber auch positive Bestandteile wie Ballaststoffe). Die gesundheitliche Bewertung ist in 5 verschiedenfarbige Gruppen mit Farbkodierung übersetzt.
Einige Hersteller bekennen sich zu mehr Verantwortung im Umgang mit Ernährungsentscheidungen ihrer Kunden und wollen den Nutri-Score schrittweise einführen. Dazu zählte unter anderem die Firma Iglo. Geklappt hat das nicht. Eine Klage der Konkurrenz über Strohmänner hat das verhindert. Danach trat Iglo aus dem Lobbyverband BLL aus. Den Lobbyverbänden der Nahrungsmittelindustrie wie BBL ist der leicht verständliche Nutri-Score nicht recht. So etwas einfaches wie ein Ampelsystem wollen sie verhindern und stattdessen lieber komplexe Systeme etablieren, die weniger intuitiv verständlich sind, also z.B. auf Farben verzichten. Klar, die Industrie ist nun mal Industrie und will günstig produzieren, Qualitätsdefizite verschleiern und teuer verkaufen. Auch dass eine Firma wie Iglo es besser machen will, kann eine Form von Marketing sein. Trotzdem ist der Schritt, aus welcher Motivation heraus auch immer, unterstützenswert.
Doch wer müsste sich gegen Fehlinformation und ungesunde Ernährung zur Wehr setzen? Das kann ja nicht Aufgabe der Industrie mit ihren gerechtfertigten Eigeninteressen sein. Die Politik sollte eigentlich dafür sorgen, dass der Lobbyismus nicht Überhand nimmt. Das tut sie aber nicht, sie macht sogar noch aktiv mit. Bestes Beispiel: Das Grußwort von Julia Klöckner im aktuellen Geschäftsbericht der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Zwei lange Seiten Unfug, auf denen die Ministerin ihre Reduktionsstrategie lobt, bei der die Lebensmittelindustrie freiwillig mitmachen soll. Das konnte die DDG so nicht stehen lassen und platzierte deshalb direkt unter diesem Grußwort einen kleinen Kommentar. Auszug: „Freiwillige Selbstverpflichtung hat noch nie funktioniert. Die veröffentlichten Reduktionsziele für Zucker sind viel zu gering. Sieben Jahre (bis 2025) als Umsetzungszeit sind viel zu lang. Steuererhöhungen in anderen Ländern wie etwa Großbritannien haben gezeigt, dass deutlich höhere Zuckerreduktionen sehr schnell möglich sind!“ Und: „Wir sind weiterhin bereit, bei anderen Maßnahmen wie einer transparenten Lebensmittelkennzeichnung oder einer Besteuerung ungesunder Produkte mitzuwirken.“
Eine Kennzeichnung, die jeder versteht ist ein erster, aus meiner Sicht notwendiger, Schritt. Der Nutri-Score ist dafür nachweislich geeignet und wird auch von der Diabetesgesellschaft gefordert. Doch was nützt es, ungünstige Nahrungsmittel zu kennzeichnen, wenn doch ein Überangebot dieser Produkte weiter am Markt bleibt und Alternativen weniger verführerisch daherkommen? Mit der Zuckersteuer auf Getränke mit über 5 g Zucker pro 100 ml konnte in Großbritannien der Zuckergehalt vieler Limonaden von 9 g und mehr halbiert werden. In Deutschland ist derzeit oft doppelt so viel Zucker in den Limonaden der gleichen Marke wie in Großbritannien. Erst gestern wurde ein Review veröffentlicht, das wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von Ernährungs-Score und Softdrinks-Steuer liefert. Wenn es doch so einfach ist, was verhindert diese überfälligen Maßnahme?
Was soll ein Ministerium für Ernährung in einem Land wie Deutschland denn tun, wenn nicht die Über- und Fehlernährung in den Griff zu bekommen. Was uns aber derzeit von der Ministerin für Fehlernährung geboten wird, ist eine Mogelpackung, abgestimmt mit dem gierigsten Teil der Industrie.
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