Viren oder Bakterien – das ist bei Pharmakotherapien die zentrale Frage. Innovative Schnelltests helfen, Infekte richtig einzuordnen. Oft reicht schon medizinischer Sachverstand, falls Patienten Ärzte nicht unter Druck setzen.
Antibiotikaresistenzen sind eine Herausforderung für alle Länder. Deshalb haben Ende Januar mehr als 80 Unternehmen sowie zahlreiche Industrieverbände beim Davoser Weltwirtschaftsgipfel ein gemeinsames Papier verabschiedet. In der „Declaration by the Pharmaceutical, Biotechnology and Diagnostics Industries on Combating Antimicrobial Resistance“ bekennen sie sich zu mehr Forschung, fordern aber gleichzeitig Maßnahmen zum verantwortungsvolleren Umgang mit Antibiotika. Sie können sich Bezahlmodelle vorstellen, um Einnahmen vom Verordnungsvolumen zu entkoppeln. Bevor Ärzte ihren Rezeptblock zücken, sollten sie nach Möglichkeit einen Blick auf die Erreger werfen.
Gerade bei Atemwegsinfekten wäre dieses Vorgehen sinnvoll, um Patienten mit Erkrankungen viralen Ursprungs nicht sinnlos zu therapieren. Bislang bleibt Ärzten vor allem der Procalcitonin-Test als Möglichkeit, bakterielle von nicht bakteriellen Erkrankungen zu unterscheiden. Procalcitonin (PCT), eine Vorstufe des Calcitonins, ist unter physiologischen Bedingungen nur in geringen Mengen vorhanden. Im Rahmen systemischer bakterieller Entzündungen steigt der Spiegel infolge Stimulierung durch bakterielle Toxine und Entzündungsmediatoren an. Damit gelingt es einer Metaanalyse zufolge, den Antibiotikaverbrauch zu verringern. Probleme bleiben: Manche nicht-infektiösen Ursachen führen ebenfalls zu erhöhten PCT-Werten. Geoffrey Ginsburg und Christopher Woods aus Durham/North Carolina setzen auf eine andere Strategie. Da unser Immunsystem Bakterien und Viren über verschiedene Mechanismen abwehrt, entstehen spezifische Signaturen auf Ebene der Messenger-RNA. Die Forscher nahmen 273 Patienten mit akuten Atemwegsbeschwerden in ihre Studie auf. Darunter waren 70 Fälle mit bakterieller und 115 Fälle mit viraler Infektion, wie sich im Nachhinein herausstellte. Ginsburg und Woods fanden 71 Gene, die sie als virale „Classifier“ bewerten. Hinzu kamen 33 bakterielle „Classifier“. Ihnen gelang es, per Bluttest bei 238 von 273 Patienten die Ursache ihrer Atemwegsbeschwerden zu bestimmen. Mit einer Treffsicherheit von 87 Prozent erzielten sie bessere Ergebnisse als mit Procalcitonin-Tests (78 Prozent). Bis zur Marktreife ist der Weg noch weit.
Ärzte wünschen sich aber schon jetzt schnelle, praxistaugliche Entscheidungshilfen bei Atemwegsinfektionen. Experten der High Value Care Task Force of the American College of Physicians and for the Centers for Disease Control and Prevention unter Leitung von Aaron M. Harris haben jetzt Empfehlungen zusammengestellt. Bei einer akuten, unkomplizierten Bronchitis raten die Autoren von Antibiotika ab – auch bei vermeintlich eitrigem Auswurf. Das Sputum bestehe aus Epithel und Zellen des Immunsystems, aber nicht aus Bakterien, schreiben sie. Wichtig sei jedoch, eine Pneumonie auszuschließen. Hier geben sie Fieber, Tachykardie, Tachypnoe oder Rasselgeräusche beim Atmen an. Um Patienten mit einer Pharyngitis nicht unnötig zu belasten, rät Harris primär zu ASS, Paracetamol oder NSAIDs. Antibiotika sollten erst zum Einsatz kommen, falls Testergebnisse zu A-Streptokokken vorliegen. Die Leitlinienautoren sind bei einer akuten Rhinosinusitis ähnlich skeptisch. Nur in Ausnahmefällen raten sie zur Antibiotikatherapie, etwa bei mehr als zehn Tagen Erkrankungsdauer, Fieber, eitrigem Ausfluss und Gesichtsschmerz über mindestens drei Tage hinweg oder erneuten Verschlechterungen im Erkrankungsverlauf. Aaron M. Harris spart nicht mit Kritik an seinen amerikanischen Kollegen. Rund 30 Prozent aller Patienten mit typischen Erkältungssymptomen erhalten ein Antibiotikum, ohne dass es dafür medizinische Gründe gibt.
Das liegt nicht nur an Ärzten. Viele Patienten, allen voran Eltern mit kleinen Kindern, wünschen sich bei Infekten unklaren Ursprungs Antibiotika. Zumindest in Deutschland zeichnet sich eine Trendwende ab, fand die DAK-Gesundheit im Zuge einer repräsentativen Befragung heraus. Rund 65 Prozent beurteilen die Verordnung von Antibiotika bei ihren Kindern kritisch, Stand 2015. Im Jahr 2008 waren es nur 59 Prozent. Bei Kindern bis zum ersten Lebensjahr sind Eltern besonders vorsichtig und hinterfragen die Antibiotika-Gabe kritisch (64 Prozent). Bei den vier bis sechsjährigen Kindern sind es 58 Prozent. Ähnliche Tendenzen zeigen sich bei Arztbesuchen. 36 Prozent waren zuletzt vier bis acht Mal pro Jahr mit ihrem Nachwuchs beim Pädiater (2008: 58 Prozent). DAK-Expertin Elisabeth Thomas vermutet, Eltern hätten mehr und mehr Kenntnisse über den Zusammenhang. „Eltern sollten mit dem Kinderarzt die Gründe für die Verschreibung des Antibiotikums und über mögliche Bedenken sprechen“, sagt die Ärztin. Das wird in vielen Fällen nicht erforderlich sein. „Unsere aktuellen Analysen belegen, dass die Antibiotika-Therapie bei Kindern und Jugendlichen weiterhin statistisch signifikant rückläufig ist“, erklärt Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum, Leiter des Versorgungsatlas. Zusammen mit Kollegen hat er im Herbst 2015 neue Zahlen veröffentlicht. Pädiater setzen die Präparate verantwortungsvoller ein als noch vor wenigen Jahren.