Wie wirken sich Hypertexte auf unser Leseverhalten und unsere kognitive Belastung aus? Mit einer Kombination von Hirnstrom- und Blickbewegungsmessung ist man der kognitiven Belastung beim Lesen von hypermedialen Informationsangeboten auf die Spur gekommen.
Es ist nicht nur die schiere Menge an Informationen, die beim Lesen in den umfangreichen Hypertexten im Internet Probleme bereitet, gutes digitales Lesen setzt zusätzlich auch mehr Eigenaktivitäten voraus als das Lesen in Büchern. Digitales Lesen verlangt z. B. permanente Überlegungen zur Auswahl von Links, zur Einschätzung ihrer Relevanz und Qualität, aber auch zur Herstellung von inhaltlichen Zusammenhängen zwischen den vernetzten Informationsangeboten. Was passiert bei derartigen Leseprozessen im Kopf? Wie stark werden wir tatsächlich kognitiv durch sie belastet? Und vor allem: Wie lässt sich diese Belastung möglichst objektiv erfassen?
Zu derartigen Fragen führten Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Wissensmedien unterschiedliche Studien durch. Diese sollten vor allem Belastungen des Arbeitsgedächtnisses beim Lesen von Hypertexten nachweisen. Das Arbeitsgedächtnis ist beim Lesen ohnehin schon gefordert, z. B. um einen Text zu verstehen und dabei eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Hypertexte könnten hier eine zusätzliche Belastungsquelle darstellen: Erreicht der Leser einen Hyperlink, so muss er sich entscheiden, ob er diesem folgen soll oder nicht. Dieser Entscheidungsprozess findet im Arbeitsgedächtnis statt. Stößt man beim Lesen auf einen Hyperlink, so könnte dies also jeweils zu einer besonders hohen kognitiven Belastung führen. Um dies nachzuweisen, nutzen die Forscher eine innovative Methode in ihrer experimentellen Forschung: Die kombinierte Erhebung von Blickbewegungsdaten und Frequenzenergiedaten des Elektroenzephalogramms. Die Größe der Pupille sowie die Energie der Hirnströme in bestimmten Frequenzbereichen des EEGs zeigen dabei das Ausmaß an kognitiver Belastung an, wie zuvor in einer Arbeitsgedächtnis-Studie mit Laboraufgaben gezeigt werden konnte. Erstmalig wurde diese Methode nun auf eine freie Lesesituation mit simulierten Hyperlinks übertragen. Mithilfe der Blickbewegungsmessung konnte für jeden Zeitpunkt bestimmt werden, ob Textbereiche mit bzw. ohne Hyperlinks gelesen wurden. Auf diese Weise lässt sich vergleichen, ob sich die Größe der Pupille sowie die Energie der Hirnströme in Abhängigkeit davon unterscheiden, ob ein gerade gelesener Satz Hyperlinks enthält oder nicht.
„Wie vermutet, zeigte sich beim Lesen von Sätzen mit Hyperlinks, dass die an dieser Stelle auftretenden Entscheidungsprozesse im Vergleich zu reinem Lesen tatsächlich zu erhöhter kognitiver Belastung führten,“ so Dr. Christian Scharinger, Erstautor der Studie. Dies war sowohl in der Energieveränderung der Hirnströme im EEG als auch in einer Vergrößerung der Pupille erkennbar. Die mit dem digitalen Lesen verbundenen kognitiven Anforderungen lassen sich damit bis auf die Ebene von Gehirnprozessen nachweisen. In zukünftigen Studien möchte die Gruppe die Methode der kombinierten EEG-Blickbewegungs-Analyse nutzen, um kognitive Belastungen auch bei echten Hypertexten aus dem Internet zu analysieren, aber auch um multimediale Lernangebote zu erforschen, die eine Verknüpfung von Text- und Bildinformationen im Arbeitsgedächtnis erfordern. Ergebnisse dieser Studien könnten dazu beitragen, Hypertexte und multimediale Lernmaterialien möglichst nutzerfreundlich und effektiv zu gestalten, indem unnötige Belastungen des Arbeitsgedächtnisses vermieden werden. Originalpublikation: Pupil Dilation and EEG Alpha Frequency Band Power Reveal Load on Executive Functions for Link-Selection Processes during Text Reading Christian Scharinger et al.; PLOS One, doi: 10.1371/journal.pone.0130608; 2016