Ab einer bestimmten Fallzahl darf eine Klinik Leistungen abrechnen. Für die Zwerge unter den Kliniken ist das schwer. Sie haben Probleme, die vorgegebene Fallzahl zu erreichen. Lässt sich das ändern?
Kliniken dürfen bestimmte Operationen nur durchführen, wenn sie eine Mindestmenge dieser OPs im Jahr vorweisen können. Damit sollen schwierige Operationen nur in Kliniken mit einem Mindestmaß an Erfahrung stattfinden. Doch viele Kliniken können sich an diese Vorgaben gar nicht halten. Wie lässt sich die Situation verbessern?
In der wissenschaftlichen Literatur findet man viele Hinweise darauf, dass Mindestmengen für bestimmte Operationen durchaus Sinn machen. Christian Krautz von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat zusammen mit Kollegen beispielweise die Pankreaschirurgie untersucht. Sie werteten alle stationären Fälle mit größeren Bauchspeicheldrüsenoperation in Deutschland von 2009 bis 2014 aus, sprich 60.858 OPs. Anschließend wurden die Kliniken anhand ihrer Fallzahlen in fünf Rubriken eingeteilt:
Sonstige Vorerkrankungen, die vielleicht zur Verzerrung geführt hätten, wurden ebenfalls korrigiert. Die risikobereinigte Mortalität variierte stark zwischen 6,5 % in Krankenhäusern mit sehr hohen Fallzahlen und 11,5 % in Klinken mit geringen Fallzahlen. Unerfahrene Häuser hatten auch Probleme, postoperative Komplikationen zu kontrollieren. Aufgrund eines Herzinfarkts starben beispielsweise 36,7 % (sehr niedrige Fallzahlen) versus 24,9 % (sehr hohe Fallzahlen). Bei einer Sepsis betrug die Mortalität 36,8 % versus 24,2 %. Krautz schätzt im Artikel, durch stärkere Zentralisierung ließen sich bundesweit mindestens 94 Todesfälle pro Jahr im Bereich der Pankreaschirurgie verhindern.
Auch bei Herzinfarkten scheinen Mindestmengen eine Rolle bei der Mortalität zu spielen. Laut der OECD-Publikation „Health at a Glance“ sank beispielsweise die Mortalität im letzten Jahrzehnt von 8 auf 4 %. Als Grund nennen Experten Mindestmengen. Deutschland liegt derzeit bei 8 %, hier ist noch Luft nach oben.
Wegen solcher wissenschaftliche Veröffentlichungen führte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Mindestmengenregelung ein. Die Regelung legt für ausgewählte planbare stationäre Leistungen eine jährliche Mindestmenge in Kliniken fest. Nur Krankenhäuser, die die festgelegten Mindestmengen erreichen, dürfen die entsprechenden Leistungen abrechnen. Derzeit gilt das für folgende Bereiche:
Die Grenzwerte sorgen für Kritik: „Die Logik, bei 50 Operationen darf man, bei 49 nicht, ist nicht nachvollziehbar und dient auch nicht der Sicherung der Versorgung“, schreibt etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Prof. Dr. Hartwig Bauer von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sieht die Problematik auf anderer Ebene: „Es gibt genügend Beweise für den Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Qualität“, so der Experte gegenüber dem Science Media Center. „Für einen scharfen Trennwert gibt es keine Evidenz und wird es auch nie geben“. Deshalb müsse man die Höhe administrativ festgelegen.
Ein anderes Problem ist die Durchführbarkeit der Mindestmengenregelung. Viele Kliniken erreichen die vorgegebenen Fallzahlen nicht, heißt es in einer aktuellen Analyse des Science Media Centers und der Weissen Liste. Im Jahr 2017 erreichten demnach 40 % der Kliniken, die solche Eingriffe durchführen, die Vorgaben nicht. Die Deutsche Fachgesellschaft für Nephrologie nahm die Analyse zum Anlass, die Mindestregelung scharf zu kritisieren. Die Vorgabe für die Transplantation „entbehrt jeder Berechtigung“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Es ist höchste Zeit, diese fehlerhafte Regelung aufzuheben.“ Schließlich seien Nierentransplantationen – anders als Hüft- oder Speiseröhren-OPs – nicht planbar und sollten von der Regelung ausgenommen werden.
Während Kliniken also offenbar schon jetzt Probleme haben, die Mindestmengen überhaupt zu erreichen, plant Gesundheitsminister Jens Spahn weitere einzuführen: „Wir werden für mehr Indikationen als bislang Mindestmengen einführen“, sagte Spahn im Mai auf der Jahrestagung des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD).
Wäre es nicht sinnvoller die Mindestmengen konkret an Fällen pro Arzt oder Teams festzumachen, statt pro Einrichtung? Diesen Aspekt wollen Experten des G-BA jetzt klären. Sie gaben mehrere Prüfaufträge an das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), um mögliche Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge von Ärzten und Qualität des Behandlungsergebnisses zu untersuchen. Ein jetzt veröffentlichter Report befasst sich mit autologen oder allogenen Stammzelltransplantationen.
Bei ihrer Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler vier Registerstudien. Die Daten aller Studien konnten aufgrund unterschiedlicher Merkmale der Teilnehmer wie Alter, Geschlecht bzw. Grunderkrankungen nicht zusammengefasst, sprich gepoolt, werden. Aufgrund der methodischen Qualität wurde letztlich nur eine Studie berücksichtigt. Sie umfasste Stammzelltransplantationen in den USA zwischen 1998 und 2000. Bei der 100-Tage-Mortalität lag das Odds Ratio (OR, Risikoverhältnis) für erfahrene Ärzte mit mehr als 12 Patienten im Studienzeitraum bei 0,74. Wurden weniger Patienten behandelt, errechneten Forscher 1,00 als OR. Auch die Ein-Jahres-Mortalität unterschied sich signifikant (OR 0,82 versus 1,00). Patienten überleben nach einer Stammzelltransplantation demnach länger, wenn die Ärzte diesen Eingriff bereits häufiger durchgeführt haben.
Trotz der unklaren Aspekte drängt sich ein Gedanke auf. Was wäre, wenn künftig Ärzte bei bestimmten Operationen Mindestmengen vorzuweisen hätten? DocCheck hat mehrere klinisch tätige Ärzten um eine Stellungnahme gebeten. Nur ein Chirurg aus München hat sich gemeldet. Seinen Namen will er – wenig überraschend – hier nicht lesen. „Ich bezweifle die Studienergebnisse des Instituts nicht“, so sein Kommentar. „Ich sehe das Problem aber an einer ganz anderen Stelle: Chefärzte entscheiden, wer an bestimmten Eingriffen teilnimmt – und wer nicht.“ Schon jetzt würden in seinem Bereich, der Gastroenterologie, augenscheinlich manche Kollegen bevorzugt und andere benachteiligt. „Sollten perspektivisch mal Mindestmengen pro Arzt kommen, wird der Konkurrenzkampf noch größer.“
Bildquelle: Kārlis Dambrāns, flickr