Lange Zeit war man sich uneinig, wie sich rote Blutkörperchen bewegen. Offenbar bringen schnelle Moleküle in der Umgebung roter Blutkörperchen ihre Zellmembran zum „Zappeln“. Wenn sie ausreichend Reaktionszeit haben, sind Blutkörperchen jedoch auch selbst aktiv.
Wissenschaftler haben mit physikalischen Methoden nachgewiesen, wie sich rote Blutkörperchen bewegen. Ob die Zellen von äußeren Kräften bewegt werden oder aktiv „zappeln“, darüber hatte es unter Forschern regelrechte Kämpfe gegeben. Ein internationales Team von Biophysikern aus Münster, Paris und Jülich hat nun bewiesen, dass beides stimmt. Sie haben physikalische Grundsätze und biologische Realität miteinander verknüpft und erkannt: Schnelle Moleküle in der Umgebung bringen die Zellmembran der Blutkörperchen zum Zappeln, aber wenn sie genug Reaktionszeit haben, sind Blutkörperchen auch selbst aktiv. Durch einen Vergleich von Experimenten mit neuen theoretischen Modellen kann dieser Prozess genau bestimmt werden. Den Grund für das ständige Zappeln von Erythrozyten haben Physiker bislang einzig in thermischen, also äußeren Kräften gesehen. Biologische Überlegungen lassen dagegen vermuten: Auch innere, durch Proteine verursachte Kräfte sind dafür verantwortlich, dass sich die Zellmembran der Blutkörperchen verformt. „Unsere Ausgangsfrage lautete deshalb: Da Blutkörperchen lebendige Zellen sind, warum sollten nicht auch interne Kräfte in der Zelle auf die Membran wirken?“, sagt Dr. Timo Betz von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). „Für Biologen ist das eigentlich klar, aber diese Kräfte waren eben nie Teil einer physikalischen Gleichung.“ Eine Vermutung, welche Kräfte innerhalb der Zelle die Zellmembran verformen, haben die Forscher auch. „In der Membran könnten Transportproteine solche Kräfte dadurch erzeugen, dass sie Ionen von einer Seite der Membran auf die andere befördern", sagt Prof. Dr. Gerhard Gompper, Direktor des Jülicher Institute of Complex Systems.
Die Forschung zur Aktivität roter Blutkörperchen wurde als internationale Zusammenarbeit zwischen dem renommierten Pariser Institut Curie und dem Institute of Complex Systems und Institute for Advanced Simulation in Jülich begonnen und jetzt in Münster, Paris und Jülich abgeschlossen. „Dabei war das Zusammenwirken der physikalischen Theorien von Hervé Turlier, der Computersimulationen von Dmitry Fedosov und Thorsten Auth sowie meiner experimentellen Resultate der Schlüssel zum Erfolg“, erklärt Timo Betz. Die Kombination von Experiment, Theorie und Computersimulationen sind für neue Einsichten essenziell, weiß auch Gerhard Gompper: „Hochmoderne Simulationen sind heute dazu in der Lage, chemische und biologische Prozesse zu quantifizieren, die sich einer direkten experimentellen Beobachtung entziehen.“ Drei winzige Kugeln halten die roten Blutkörperchen fest, während mit Hilfe einer vierten Kugel die Bewegungen der Zellmembran (Ausschnitt unten) gemessen werden. © Forschungszentrum Jülich Die Grundlagenforscher möchten mehr über die Mechanik von Blutkörperchen herausfinden und im Detail verstehen, welche Kräfte Zellen bewegen und formen. Gerade im Fall von roten Blutkörperchen ist es wichtig, über ihre Beschaffenheit und inneren Kräfte Bescheid zu wissen. Sie sind nämlich ungewöhnlich weich, elastisch und verformen sich, um auch durch die teilweise winzigen Blutgefäße unseres Körpers hindurchzupassen. Eben weil Blutkörperchen im Normalfall so weich sind, konnten Physiker in vorherigen Studien an ihrer äußeren Membran große thermische Fluktuationen messen. Diese natürlichen Bewegungen von Molekülen werden durch die Umgebungstemperatur bestimmt. Das heißt: Die Zellmembran der Blutkörperchen bewegt sich, weil Moleküle in der Umgebung sie anstoßen. Unter dem Mikroskop sieht das aus, als würden die Blutkörperchen zappeln.
Dies erklärt zwar, warum sich Blutkörperchen bewegen, fragt aber nicht nach möglichen inneren Kräften, die dazu beitragen. Das Forscherteam um Timo Betz hat deshalb die Fluktuationen von Blutkörperchen mit einer neuen Methode genau untersucht: Mit einer optischen Pinzette, einem konzentrierten Laserstrahl, haben die Forscher Blutkörperchen in einer Petrischale in die Länge gezogen und analysiert, wie sich die Zelle verhält. Das Ergebnis: Hatten die Blutkörperchen genügend Reaktionszeit, wurden sie selbst aktiv und konnten der Kraft der optischen Pinzette entgegenwirken. Blieb ihnen diese Zeit nicht, waren sie ihrer Umgebung ausgeliefert, und es wurden nur temperaturbedingte Kräfte gemessen. „Wir können durch den Vergleich beider Messungen genau bestimmen, wie schnell die Zellen selbst aktiv werden und welche Kraft sie erzeugen, um sich zu verformen“, erklärt Betz. „Jetzt sind die Biologen dran: Wir Physiker haben nämlich nur eine grobe Idee, welche Proteine der Motor für diese Bewegung sein könnten. Dafür können wir genau vorhersagen, wie schnell und stark sie sind.“ Originalpublikation: