CBD-Fans lieben Cannabidiol wegen der angeblich entspannenden oder gar heilenden Wirkung. Dabei ist noch nicht einmal geklärt, was CBD eigentlich ist. Ein Lebensmittel? Eine Arznei? Oder ein großer Schwindel?
Cannabis enthält zahlreiche Inhaltstoffe, der bekannteste ist sicherlich THC (Tetrahydrocannabinol). Der „kleine Bruder“ ist das CBD, Cannabidiol. Es soll „nur“ entspannend wirken und nicht halluzinogen. Außerdem wird es als Mittel gegen Dutzende von Erkrankungen gehypt. Die Tropfen sind über das Internet oder in speziellen CBD-Läden erhältlich, immer wieder auch in etablierten Drogeriemärkten. Der rechtliche Status und die Unbedenklichkeit sind zur Zeit nicht hinreichend geklärt.
Die Drogerieketten dm und Rossmann hatten Cannabidiol-Öl erst vergangenes Jahr ohne große Ankündigung ins Sortiment aufgenommen. Bei dm das Öl der Marke „Limucan“, bei Rossman das von „nutree“. Genauso still waren die Produkte jedoch Mitte April wieder aus den Regalen verschwunden. So geht es seit Monaten hin und her. Für 100 Milliliter des fünfprozentigen CBD-Öls sind in etwa 29 Euro zu bezahlen.
Auf der Homepage von Rossmann kann ein Cannabis-Kaugummi (TAFF INAFF) bestellt werden. Das Schweizer Produkt enthält 5 mg CBD pro Kauzubereitung und kostet um die vier Euro. Wenn zwei Deutsche Drogerieketten Produkte mit einem Cannabisinhaltsstoff anbieten, steht die Frage im Raum, ob das rechtlich legal ist, ob die Produkte frei von Risiken sind und ob ein medizinischer Nutzen bewiesen ist.
Rechtlicher Status? Kompliziert
Die FDA hat in einem Statement klargestellt, dass Cannabis-Produkte, für die ein therapeutischer Nutzen beansprucht werde, zugelassen werden müssten. Es sei ungesetzlich, Lebensmittel, die Cannabidiol- oder THC-Zusätze enthalten, landesweit zu verkaufen. Zur Begründung wird angegeben, dass beide auch Wirkstoffe in zugelassenen Arzneimitteln sein könnten. Insbesondere in den Vereinigten Staaten herrscht jedoch erhebliche Verwirrung über den Rechtsstatus der Cannabidiole sowie die Anforderungen an die Einfuhr, den Vertrieb und die Forschung zu CBD. Cannabis und seine Bestandteile Cannabinoide sind in Anlage I des U.S. Controlled Substances Act klassifiziert. Dennoch wurden CBD-haltige Produkte als „Nutraceuticals“ bezeichnet und sind derzeit im Internet und über verschiedene Einzelhandelsgeschäfte erhältlich.
Dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist derzeit keine Fallgestaltung bekannt, wonach Cannabidiol in Lebensmitteln, also auch in Nahrungsergänzungsmitteln, verkehrsfähig wäre. Aus Sicht des BVL muss für CBD-haltige Erzeugnisse vor dem Inverkehrbringen entweder ein Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels oder ein Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels gestellt werden. Im Rahmen dieser Verfahren ist die Sicherheit des Erzeugnisses vom Antragsteller zu belegen. Worum es sich bei CBD handelt, darauf gibt es im Moment noch keine eindeutige Antwort.
CBD in Kaugummi und Eis
Grundsätzlich ist CBD kein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes. Auch das Jugendschutzgesetz verbietet nicht, die Kaugummis an Kinder und Jugendliche abzugeben. Nach EU-Lebensmittel-Basisverordnung (Artikel 14) ist der Produzent – das Schweizer Unternehmen Roelli Roelli – dafür verantwortlich, dass das Lebensmittel sicher, also für Kinder gesundheitlich unbedenklich ist, informiert ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums. Dieses „wird in jedem Fall weiterhin die Entwicklung dieser Produkte mit großer Aufmerksamkeit verfolgen“.
Das Unternehmen Roelli Roelli mit Sitz in St. Gallen sieht keinen Grund, den Kaugummi Kindern vorzuenthalten. Dass diese mit dem Kaugummi an „Gras“ herangeführt würden, streitet es kategorisch ab. Zumal der Kaugummi nicht danach schmeckt.
Der US-amerikanische Eishersteller Ben & Jerry‘s setzt sich für Cannabidiol (CBD) in Lebensmitteln ein. „Wir sind offen dafür, CBD-haltige Eiscreme in eure Kühltruhen zu bringen, sobald es legalisiert ist“, teilt das zum Konsumgüterkonzern Unilever gehörende Unternehmen mit. Verbraucher werden aufgefordert, an die Arzneimittelbehörde FDA zu schreiben.
Zum Essen ist CBD aber auch nicht gedacht. Für die Einzelsubstanz Cannabidiol (CBD) wurde bisher kein nennenswerter Verzehr vor dem 15. Mai 1997 belegt. Sie wird daher im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission unter dem Eintrag „Cannabinoids“ als neuartig beurteilt und bedarf somit einer Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung. Da eine Zulassung von CBD als neuartiges Lebensmittel bisher nicht erfolgt ist, sind derartige Erzeugnisse bislang nicht verkehrsfähig (Stand März 2019).
Das BfArM empfiehlt die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht. Zwischen der Anwendung von Kaugummis für Kinder und der Zulassung als rezeptpflichtiges Arzneimittel liegen Welten. Es erscheint befremdlich, dass es hierüber in Deutschland keine Einigkeit gibt.
Wirkung: THC und CBD im Vergleich
Kommen wir zur vermeintlichen Wirkung von CBD. Cannabidiol (CBD) ist einer der Hauptbestandteile der Cannabispflanze. Das Interesse an dem potenziellen therapeutischen Potenzial von Cannabis, insbesondere CBD, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Es wird angenommen, dass CBD nicht über die psychoaktiven Effekte von THC verfügt.
Zu den beiden wichtigen Cannabinoiden für eine medizinische Anwendung zählen das psychotrope Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und das nicht psychotrope Delta-8-Tetrahydrocannabinol Cannabidiol (CBD). Cannabionide aktivieren die CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem (ZNS) sowie CB2 im Immunsystem. THC interagiert ebenfalls mit CB1- und CB2-Rezeptoren, CBD greift aber in erheblich mehr Transmittersysteme ein. Es steigert die Menge an nativen Cannabinoiden, bindet an Serotoninrezeptoren, stimuliert GABA-Rezeptoren, also eine Art Ganzkörpermassage im neurobiologischen Mobile der Transmitter.
Zu seinen komplexen Wirkmechanismen zählen die Stimulation von 5-HT1A-Rezeptoren und des nicht-selektiven Kationenkanals TRPV1. Dies macht eine Anwendung bei Schmerzerkrankungen denkbar. Das therapeutische Potenzial von CBD wird aufgrund seiner antiemetischen, antikonvulsiven, neuroprotektiven und antiinflammatorischen Eigenschaften derzeit intensiv in klinischen Studien untersucht.
Die Europäische Kommission hat CBD den Orphan-Drug-Status zur Behandlung des Dravet-Syndroms und der perinatalen Asphyxie zuerkannt.
CBD als Heilmittel?
Zahlreiche Anwendungsgebiete werden für das Cannabinoid beansprucht. Die Datenlage ist aber sehr dünn. Auch für THC existieren zahlreiche Heilversprechen, zugelassen sind die Verbindungen jedoch nur bei Spastiken bei MS und als Antiemetikum, alles andere fällt in den Off-label-Bereich. Bei CBD liegt gar keine zugelassene Indikation vor. Bei bestimmten Epilepsieformen scheinen sich Erfolge abzuzeichnen.
Eine Studie von Varadkar et al. untersuchte die Wirkung von CBD als Adjuvants bei einer Unterform der Epilepsie, dem Lennox-Gastaut-Syndrom. Dies macht etwa 1 bis 4 Prozent der Epilepsie-Erkrankungen bei Kindern aus. Die Patienten erleiden lebenslang schwere epileptischen Anfälle. Diese können die kognitiven Funktionen beeinträchtigen. Nur 10 Prozent der Betroffenen erreichen mit einer Pharmakotherapie, ketogener Diät, Nervenstimulation und Hirnchirurgie Anfallsfreiheit.
An der 14-wöchigen Studie nahmen 171 hochgradige therapieresistente Patienten im Alter von 2 bis 55 Jahren teil, die in den sechs Vormonaten mehrmals unterschiedliche Anfälle erlitten hatten, darunter mindestens zwei mit Stürzen. Ungewöhnlich an der Studie ist einerseits, dass auch Kleinkinder eingeschlossen waren, und andererseits, dass nicht Cannabis sondern der isolierte Inhaltsstoff Cannabidiol verwendet wurde. Derartige Studiensettings sind sehr rar, aber besonders wertvoll.
Die Probanden bekamen neben ihrer üblichen Behandlung einmal täglich 20 mg Cannabidiol pro Kilogramm Körpergewicht oder Placebo. Die Rate der Anfälle mit Sturzfolge reduzierte sich in der CBD-Gruppe von zuvor 71,4 pro Monat auf 31,4 pro Monat, unter Placebo von 74,7 auf 56,3 Stürze pro Monat. Das ergibt eine hochsignifikante relative Risikoreduktion um 43,9 Prozent. Auch andere Anfallsarten traten deutlich seltener auf: In der CBD-Gruppe sank die Zahl der Anfälle pro Monat von 144,6 auf 83,8; eine Reduktion um 41,2 Prozent gegenüber 13,7 Prozent in der Placebo-Gruppe.
Nicht frei von Risiken
Bemerkenswert ist die Auswertung der Nebenwirkungen. Diese zeigen auf, dass CBD eben nicht nur harmlose Tropfen zum Entspannen sind, sondern auch dosisabhängig, ernsthafte unerwünschte Ereignisse auslösen kann.
62 Prozent der Patienten unter CBD berichteten von Nebenwirkungen im Vergleich zu 34 Prozent unter Placebo. Es traten Diarrhoe, Benommenheit, Fieber, verminderter Appetit und Erbrechen auf. Bei 20 Patienten der CBD-Gruppe wurde eine Erhöhung der hepatischen Enzyme festgestellt. 12 von 86 Patienten der CBD-Gruppe und ein Patient unter Placebo brach die Studie frühzeitig aufgrund von Nebenwirkungen ab.
CBD wird hepatisch metabolisiert. Die Wirkung kann bei Patienten mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion übermäßig verstärkt oder verlängert sein. Ein Hinweis auf Missbrauch des Arzneimittels wurde bei keinem Probanden festgestellt.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Gebrauch von Cannabidiol als Add-on-Therapie zu anderen Antiepileptika die Häufigkeit von Anfällen mit Stürzen bei Patienten mit Lennox-Gastaut-Syndrom deutlich reduzieren könnte, so die Coautorin Thiele.
CBD als Antibiotikum
Wissenschaftler um Dr. Mark Blaskovich vom Institute for Molecular Bioscience, Queensland fanden heraus, dass CBD auch eine Vielzahl von Bakterienarten hemmen kann.
Darunter unter anderem Staphyloccocus aureus, Streptococcus pneumoniae und Enterococcus faecalis. Keine Wirksamkeit wurde dagegen bei gram-negativen Erregern festgestellt, wie Salmonellen oder E.Coli. Eine Resistenz soll CBD nicht auslösen. In welcher Weise der Cannabisinhaltsstoff Bakterien hemmt, ist noch ungeklärt.
In welchen Regalen CBD letzten Endes seinen richtigen Platz finden wird, ist noch völlig offen. Vom therapeutischen Spektrum bis hin zum völligen Nonsens ist wirklich alles möglich, wie ein ausführlicher Artikel im New York Times Magazin schon vor Monaten deutlich machte. „Wir werden von einer schwindelerregenden Vielfalt von CBD-Produkten bombardiert: Biere, Gummibärchen, Schokoladen und Marshmallows, schmerzlindernde Lotionen zum Einreiben, Öle zum Schlucken, vaginale Zäpfchen zur Beruhigung“ ist dort zu lesen. Aber auch, dass CBD eine dringend benötigte neue Waffe sein könnte, um die Opioid-Epidemie zu bekämpfen, die in den Vereinigten Staaten täglich mehr als 130 Menschenleben fordert.
Einige Mediziner sind besorgt darüber, wie weit der CBD-Wahn über die Wissenschaft hinausgegangen ist. Influencerin Kim Kardashian hat kürzlich eine CBD-themenorientierte Babyparty veranstaltet.
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