In den USA verschreiben Ärzte immer öfter Gabapentin. Das Antikonvulsivum dient in vielen Fällen als Alternative zu Opioiden. Auffällig: Ärzte greifen umso stärker zu Originalpräparaten, je mehr Industriegelder sie erhalten.
Knapp vier Prozent der Erwachsenen in den USA haben 2015 Gabapentin verschrieben bekommen, dreimal so viele wie 2002. Dahinter steckt ein zunehmender Off-Label Use, denn eigentlich ist das Medikament für Epileptiker und Menschen mit Nervenschmerzen gedacht. Gabapentin ist ein Analogon des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure, bindet aber nicht an deren Rezeptoren, sondern hemmt spannnungsabhängige Calciumkanäle an präsynaptischen Neuronen. Gabapentin wird auch in Deutschland immer häufiger als Alternative zu suchterregenden Opioiden allgemein als Schmerzmittel verordnet (DocCheck berichtete).
Zwei Forscher der Yale Universität in Connecticut haben sich die US-Zahlen näher angesehen und einen Zusammenhang zwischen Zahlungen der Pharmaindustrie und den Verschreibungen teurer Originalpräparate beobachtet. „Wir haben herausgefunden, dass je mehr Ärzte Industriegelder erhalten, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Gabapentin verschreiben“, so Greg Rhee, Assistenzprofessor für Medizin und öffentliche Gesundheit bei UConn Health.
Rhee und sein Kollege Joseph S. Ross haben für den Zeitraum 2014-2016 Zahlen der Datenbanken Open Payments, in der Arzneimittelhersteller Zahlungen an Ärzte offenlegen, und Medicare Part D Prescriber miteinander verglichen.
In diesem Zeitraum gab es 509.874 Zahlungen von Gabapentin-Hersteller an 51.005 Ärzte, der Gesamtbetrag belief sich auf 11,5 Millionen US-Dollar. Die Zahlungen gingen an ungefähr 14 Prozent der Ärzte, hauptsächlich Schmerzärzte (29,1 %, insgesamt 6,6 Mio. USD) und Allgemeinmediziner (62,0 %, 3,7 Mio. USD), die in den entsprechenden Jahren Gabapentin verschrieben hatten. Bei den Verordnungen handelte es sich zu 87,4 Prozent um Generika und zu 12,4 Prozent um Pregabalin (Lyrica ®), einem Nachfolgewirkstoff von Gabapentin.
Ärzte erhielten von der Pharmaindustrie 486.322 Zuwendungen in Höhe von insgesamt 5,3 Mio. USD in Form von Lebensmitteln, Getränken, Geschenken und Unterrichtsmaterialien. Weitere Zahlungen erfolgten für Referenten-, Beratungs- oder anderen Honorare, Reise- und Unterbringungskosten oder als Zuschüsse, die nicht der Forschung dienten.
Diejenigen, die solche Goodies erhielten, verschrieben deutlich häufiger eine Markenversion von Gabapentin wie Lyrica ®, Gralise ® oder Horizant ® (Prodrug Gabapentinenacarbil, 95 % CI 1,87-1,96; p < 0,001). Diese Markenmedikamente kosten das Gesundheitssystem beziehungsweise die Patienten mehrere hundert Dollar, um den Bedarf eines Monats zu decken, verglichen mit weniger als 20 Dollar für ein Generikum.
Abgesehen von den Kosten halten die Forscher den Anstieg der Verschreibungen für besorgniserregend, weil die Gefahr eines Missbrauchs besteht.
Obwohl es bei bestimmungsgemäßer Anwendung nicht als berauschend eingestuft wird, berichten Anwender, dass die Einnahme größerer Mengen Gabapentin rauschähnliche Zustände, Euphorie und sedierende Effekte hervorrufen kan.
Patienten, die Gabapentin aus medizinischen Gründen in therapeutischen Dosen über lange Zeit eingenommen haben, geben außerdem an, dass es süchtig machen kann. Typische Entzugssymptome sind z. B. Angst, Schlaflosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Appetitverlust, unkontrollierbares Weinen, eine verstärkte Reaktion auf Schmerzen, Kopfschmerzen, Ermüdung, Reizbarkeit, Unruhe und Anfälle.
Nicolas Zellner von der Abteilung für klinische Toxikologie vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) stellte in einer Studie fest: „Pregabalin ist nach Opiaten, Benzodiazepinen, Cannabis und Alkohol zur fünfthäufigsten missbrauchten Substanz aufgestiegen. Patienten, bei denen bereits eine Suchterkrankung besteht, greifen häufig auch zu Pregabalin.“
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