Für die meisten Medizinstudenten stellt der Präpkurs eine der großen Bewährungsproben ihres Studiums dar und sie haben überhöhte Erwartungen. So ging es auch einer Studentin, bis sie ihre ganz eigenen Erfahrungen mit diesem „Ausbildungs-Dinosaurier“ machte.
„Dieser Kurs wird dein Leben verändern“ und „ein derartiges Erlebnis muss doch alle Teilnehmer wahnsinnig zusammenschweißen“ – so ungefähr dachte ich* über den Präparierkurs, als ich das erste Mal mit dem Thema in Berührung kam. Das ist nun mittlerweile einige Jahre her: Ich hatte an einer von der Berliner Charité organisierten Einführungsveranstaltung zum Medizinstudium teilgenommen. Drei Tage bemühte man sich dort, Schülern der gymnasialen Oberstufe das Studienfach näherzubringen. Unter anderem wurde uns auch eine Dokumentation über den „Präpkurs“ präsentiert: „Tisch No. 6“ zeigt den Alltag von Studierenden der Humanmedizin und begleitet sie über den gesamten Verlauf des Kurses. Sehr anschaulich verdeutlicht die Doku das Wechselbad der Gefühle, das so mancher im Laufe dieses Studienabschnittes durchlebt: Ängste und Befürchtungen vor dem Kurs, die allmählich professioneller Neugier, Achtung vor dem Körperspender und letztlich einer Begeisterung über die Vollkommenheit des menschlichen Körpers weichen. Eine Studentin beschreibt fasziniert: „Ich steh […] jedes Mal davor und denk mir: Hey, das kann nicht wahr sein, das ist so perfekt.“ Auch ich war von all dem schwer beeindruckt.
Jahre später betrete nun auch ich zum ersten Mal wirklich, nicht virtuell, den „Präpsaal“. Was sogleich auffällt, ist ein Geruch, der für mich fortan zur Essenz einer emotionalen Gemengelage aus Neugier, Aufregung und Prüfungsangst werden wird und während dieser Zeit irgendwie ständig an mir zu haften scheint. Die Körperspender wurden für mehrere Wochen in einer formalin- und alkoholhaltigen Lösung konserviert, ehe sie uns für den Kurs zur Verfügung gestellt werden. Sie liegen verdeckt unter Tüchern auf sterilen“Sektionstischen. Mit einem seltsam mulmigen Gefühl, ausgestattet nur mit einer spärlichen Ausrüstung – bestehend aus Kittel, Anatomieatlas und Präparationsbesteck – warten wir auf Instruktionen seitens der Tutoren. Der Anblick der Leichen verschafft dann zunächst einmal Erleichterung: nur noch wenig erinnert an einen lebendigen menschlichen Körper, unweigerlich drängt sich die Assoziation mit einer Wachspuppe auf. Es folgen die ersten Hautschnitte: einige Studenten schneiden forsch drauf los, andere blicken verhalten und scheinen sich noch nicht so recht an diese spezielle Situation gewöhnen zu können. Im Laufe der nächsten Wochen schwindet bei vielen von uns der innere Widerstand, dieses merkwürdige Gefühl, „an einem Menschen zu arbeiten“; es lässt sich nicht über die gesamte Dauer des Kurses aufrechterhalten. Der Körperspender wird zwangsläufig, fast unmerklich, zum Präparat und Lernobjekt. Und auch die eine oder andere „flapsige“ Bemerkung fällt jetzt am Sektionstisch – die Stimmung lockert sich, Normalität kehrt ein.
Den meisten Medizinstudenten vermittelt der Präpkurs die erste Begegnung mit dem Tod und stellt eine der großen Bewährungsproben ihres Studiums dar. Einige erleben ihn als unglaublich lehrreich und sind derart begeistert, dass sie den Wunsch verspüren, im nächsten Semester selbst als „Präp“-Tutoren tätig zu werden, um nachfolgende Studenten zu betreuen; andere verbinden die Zeit im Anatomiesaal mit nicht enden wollendem Stress und einem scheinbar kaum zu bewältigendem Lernpensum. Immer wieder flammen Diskussionen über eine Abschaffung des Präpkurses auf. Veraltet sei die Methode, behaupten einige. Um den jungen Studenten zu vermitteln, wie der menschliche Körper aufgebaut ist, benötige man keine Körperspender mehr. Und tatsächlich: längst gibt es 3D-Animationsprogramme, bildgebende Verfahren und natürlich auch die klassischen anatomischen Modelle sowie vorgefertigte Demonstrationspräparate, die anstelle des Kurses verwendet werden könnten. Wäre das nicht ausreichend? Nein! Dies zumindest ist rückblickend die Meinung vieler Studenten. „Ich fand den Kurs total spannend! Außerdem begreift man leichter, wenn man die Strukturen sieht und sozusagen anfassen kann [...] Es ist eine Wahnsinnsmöglichkeit, den Körper eines Menschen intensiv zu betrachten und die Anatomie zu erlernen“, sagt eine Kommilitonin. Etliche Studien belegen, dass Kürzungen von Lerninhalten im Fach Anatomie oder gar die Abschaffung des Präpkurses zu einer steigenden Anzahl von Behandlungsfehlern im späteren ärztlichen Berufsleben beitragen. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) betont zudem, dass unzureichende Anatomiekenntnisse die Patientenversorgung gefährden. Doch nicht nur die Chirurgen bedürfen einer plastischen Vorstellung vom menschlichen Körper. Auch in Radiologie und Innerer Medizin (etwa bei der Führung eines Endoskops) wird eine exakte, v. a. im Präparationssaal geschulte Kenntnis der Anatomie des Menschen benötigt. Und der unter fortwährendem „Qualifizierungsdruck“ stehende Mediziner schätzt im Laufe seiner Facharztausbildung zunehmend die Möglichkeit, sich dank der Körperspender anatomisch weiterzubilden bzw. Vergessenes zu reaktivieren.
Während der „handwerklichen Tätigkeit“ des Präparierens ist das Bewusstsein für die ethische Dimension dieser Arbeit nicht immer gegenwärtig. Nur selten, in manchen Momenten, etwa bei Präparationsschritten im Bereich des Kopfes, des Gesichts, des Herzens, also Partien des Körpers, die für uns stärkere emotionale Bedeutung haben, schleicht sich dieses mulmige Gefühl wieder ein. Am besten begegnet man ihm, indem man sich möglichst gut auf die verschiedenen Themenkomplexe und Präparationsschritte vorbereitet, um das Geschenk, das der Körperspender den Studierenden in der Absicht, sie beim Lernen zu unterstützen, gemacht hat, auch respektvoll zu nutzen. So formt der Präparierkurs die zukünftigen Mediziner; er vermittelt ihnen besondere Fähigkeiten, die sie für ihre spätere Laufbahn benötigen: Umgang mit dem Tod, Akzeptanz von Sterblichkeit, ein gewisses Maß an Verdrängung und ein Bewusstsein ihrer besonderen Verantwortung. Wie bei vielen meiner Kommilitonen stand auch bei mir am Ende des Kurses eine Erkenntnis, die schon der Mediziner und Humanist Albert Schweizer aus seiner ärztlichen Tätigkeit zog und zu der viele Wissenschaftler letztendlich gelangen: Ehrfurcht vor dem Leben, vor dem unbegreiflichen Wunder, dass sich doch nicht nur durch das Verstehen der Körperlichkeit erklären lässt. Daher wird der Abschluss dieses lehrreichen Semesters, das an vielen medizinischen Fakultäten in Form eines Gottesdienstes beendet wird, den die Studenten aktiv mitgestalten, von den meisten begrüßt. Dieser bietet ihnen die Möglichkeit, noch einmal ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen und die Verstorbenen in Würde zu verabschieden.
Der Möglichkeit, den eigenen Körper nach dem Tod einem anatomischen Institut zur Verfügung zu stellen, stehen ehemalige Absolventen des Kurses aber nicht selten kritisch gegenüber. „Ich möchte nicht, dass meine Angehörigen ein Jahr auf die Beerdigung warten müssen. Ich möchte so viele Organe wie möglich spenden. Das ist mir sehr viel wichtiger. Ich finde, dass die Organspende auf jeden Fall vorrangig ist“, so eine zum Thema befragte Studentin. Dennoch: Jede Körperspende hilft, junge Mediziner auf ihre verantwortungsvolle Arbeit zum Wohle menschlichen Lebens bestmöglich vorzubereiten; hoher Respekt ist deshalb all denen zu zollen, die auf diese Weise ganz bewusst der Wissenschaft dienen wollen.
„Man macht sich immer übertriebene Vorstellungen von dem, was man nicht kennt“, sagte mal Albert Camus. So haben sich auch meine überhöhten, idealistischen Erwartungen zum Kurs in dieser Form letztlich nicht bestätigt. Sicherlich, es gab ein gewisses Zusammenrücken unter den Teilnehmern, aber auch Konkurrenz und Zeitdruck und Lernstress. Ich bin durch dieses Semester auch kein anderer Mensch geworden; das große lebensverändernde Ereignis, das ich mir vorgestellt hatte, war der Kurs nicht. Verändert hat er mich trotzdem, nur auf sehr viel unspektakulärere, aber durchaus nachhaltige Weise. * Dieser Artikel wurde anonym von einer Medizinstudentin verfasst.