Die Impfpflicht gegen Masern kommt. Und zwar nicht nur für Kinder, sondern unter anderem auch für Lehrer und Kita-Personal. Ist diese strenge Maßnahme zu befürworten?
Ab März 2020 wird in Deutschland eine Impfpflicht gegen Masern gelten: Das Bundeskabinett billigte am Mittwoch den Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), demzufolge die Pflicht zur Impfung vor allem in Kitas und Schulen gelten soll. Für Kinder, die bereits Kita oder Schule besuchen, müssen Eltern den Nachweis bis Ende Juli 2021 vorlegen. Erbracht werden kann der Nachweis durch den Impfausweis, das gelbe Kinderuntersuchungsheft oder durch ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass man die Masern schon hatte.
Der verpflichtende Impfschutz soll auch für Erzieher und Lehrer, für Flüchtlingsheime und für das „Personal in bestimmten medizinischen Einrichtungen“ (Wortlaut im Gesetzesentwurf) gelten. Ob letzteres auch Ärzte und Pflegekräfte betrifft, ist unklar.
Das zugrundeliegende Ziel ist im Entwurf klar formuliert: „Die Freiwilligkeit der Impfentscheidung muss für bestimmte Personengruppen aufgehoben werden, um eine höhere Durchimpfungsrate zu erreichen.“ Im Gesetz soll verankert werden, dass unabhängig von der Fachrichtung jeder Arzt impfen darf. Auch Reihenimpfungen an Schulen, etwa gegen Tetanus oder Keuchhusten, soll es wieder geben.
Damit es künftig auch besser mit Auffrischimpfungen klappt, soll der digitale Impfpass kommen. Natürlich ist hierfür ein Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) notwendig. Andere Lösungen zur Bekämpfung der Ausbreitung von Masern sieht Spahn nicht. Unter dem Kapitel „Alternativen“ ist lediglich das Wort „Keine“ angeführt.
Und so sehen die Maßnahmen im Falle einer Missachtung aus: Kitas und Horte sollen ungeimpfte Kinder abweisen. Im Erziehungswesen, aber auch in medizinischen Einrichtungen soll es strengere Regelungen geben. Dort darf nur tätig sein, wer einen Masernschutz aufweist, das gilt für Lehrer und Betreuer sowie Ärzte und Pflegekräfte.
Was ist mit ungeimpften Schulkindern? Schließlich gilt für sie die Schulpflicht. In diesen Fällen sieht der Gesundheitsminister ein Bußgeld in einer Höhe von bis zu 2.500 Euro für die Eltern vor. „Das ist wie im Straßenverkehr. Wenn Sie zu schnell fahren und Sie werden erwischt, dann gibt es ein Bußgeld“, sagt Spahn in einem Video auf der Website des BMG. Die Impfpflicht soll darüber hinaus auch in Asylunterkünften gelten: Hier ist die Injektion von Kombinationsimpfstoffen geplant, um auch einen Schutz vor Mumps und Röteln zu gewährleisten.
Im Juni nahm der Ethikrat zum Thema Stellung. Seine Mitglieder sprechen sich in der Stellungnahme für die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Masernimpfung an sich, nicht aber für eine gesetzliche Verpflichtung aus. Auch von Sanktionen raten sie ab. Dafür enthält das Schreiben bereits den Vorschlag, dass alle Ärzte zum Impfen befugt sein sollten.
Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern beim Thema Masernimpfpflicht? Den Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zufolge herrscht zur Zeit in folgenden Ländern der EU eine Masernimpfpflicht: Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Frankreich, Italien, Ungarn, Polen, Slowakei, Slowenien. Nun kommt Deutschland dazu.
Quelle: ECDC
Das Ziel der WHO war ursprünglich, bis zum Jahr 2010 die Masern ausgerottet zu haben. Dann kam es unter anderem in manchen Mitgliedsstaaten der EU im Jahr 2016 zu erneuten Ausbrüchen. Jene EU-Länder, in denen Masern laut WHO-Definition als eliminiert eingestuft werden, sind: Bulgarien, Kroatien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Ungarn, Island, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Großbritannien.
Zu den Problemländern, in denen die Krankheit vorherrscht, gehören Österreich, Polen, Schweiz, Türkei, Belgien, Frankreich, Italien, Rumänien und eben auch Deutschland. Diese Aufteilung der Länder, in Problem- und Nicht-Problem-Länder, wurde in den letzten Jahren immer wieder in beide Richtungen korrigiert.
Ob eine Impfpflicht im jeweiligen Land automatisch dazu führt, dass die Zahl der Ansteckungen zurückgeht, ist eine komplexe Frage, die man nicht unmittelbar mit Ja oder Nein beantworten kann. Es gibt eine Reihe von Punkten, die es zu bedenken gibt.
Zunächst wird das Erreichen einer hohen Impfrate dadurch erschwert, dass es mit einer einzigen Impfung nicht getan ist. Ein beachtlicher Teil vergisst, die zweite Impfung durchführen zu lassen. (Von jenen Ländern mit Masernimpfpflicht erreichen nur Slowakei, Ungarn und Kroatien bei der zweiten Masernimpfung die Impfquote von 95 Prozent.) Und: Nur weil es eine gesetzliche Vorschrift gibt, heißt das nicht, dass sich alle an sie halten. Wenn die Einhaltung nicht kontrolliert wird, lässt sich auch nicht nachvollziehen, ob ein Gesetz greift. Fraglich ist auch, inwiefern ein solches Gesetz tatsächlich eingehalten wird, wenn das Missachten keine Konsequenz nach sicht zieht.
In Italien und Frankreich ließ sich nach Einführung einer Impfpflicht immerhin auch tatsächlich ein Anstieg der Impfrate beobachten, wie eine Studie zeigt. In beiden Fällen war die Pflicht mit Strafmaßnahmen verbunden. Seit 2017 galt (zunächst) in Italien die Impfpflicht: Ohne Impfbescheinigung werden Kinder nicht in die Kita aufgenommen, Eltern mussten mit Bußgeldern rechnen. Allerdings hat sich die politische Situation im Land geändert: Die Fünf-Sterne-Bewegung hat gemeinsam mit der rechtspopulistischen Lega eine Abschaffung der Pflicht angekündigt.
In Frankreich müssen alle Kinder, die seit dem 1. Januar 2018 geboren wurden, geimpft werden, unter anderem auch gegen Masern. Ab sofort gilt: Ohne Impfung keine Schule. Für beide Länder berichten die Studienautoren von einem Anstieg auch bei jenen Impfungen, die nicht verpflichtend sind.
Ist die Impfpflicht also der einzige Weg? Ja und nein. Mit klappt es gut, ohne unter Umständen auch. In Ungarn ist die Impfung verpflichtend und ungeimpfte Kinder werden von Krippen, Kindergärten oder Schulen gemeldet. Wenn es dann dennoch nicht zu einer Impfung kommt, wird die Gesundheitsbehörde verständigt, das kann zu Bußgeldern oder sogar einem Schulausschluss führen, wie unter anderem der Spiegel berichtete.
Ohne Impfpflicht geht es aber auch: In Dänemark und den Niederlanden konnte eine Eliminierung der Masern erzielt werden. Auch in Luxemburg liegt die Quote für Diphterie, Tetanus, Keuchhusten und Polio bei 99 Prozent – ohne Impfpflicht. Für die Masern liegt keine konkrete Zahl vor, für das Jahr 2018 sind der WHO allerdings nur vier Fälle bekannt.
Beinahe die Hälfte aller gemeldeten Masernfälle betrifft mittlerweile die EU bzw. EEA und geschätzt mehr als viereinhalb Millionen dieser Menschen, die seit 1999 geboren wurden, sind nicht immun gegen Masern. Sie wurden entweder nie geimpft oder hatten nie eine Maserninfektion.
Zwar liegen Daten zu Impfraten und zu Krankheitsfällen unterschiedlicher Länder vor. Die Situation in den Ländern ist aber teilweise so unterschiedlich, dass ein Vergleich schwer fällt oder gar nicht möglich ist. In Land A herrscht die Impfpflicht für alle inklusive Sanktionssystem, in Land B auch, aber ohne Strafmaßnahmen, in Land C herrscht die Impfpflicht nur für Kinder, in Land D werden Impfungen lediglich empfohlen usw.
Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die laut ECDC zu berücksichtigen sind, wenn man sich das Problem der Masernverbreitung ansieht. Die suboptimale Impfrate in vielen Ländern ist eine von mehreren Ursachen für die steigende Zahl der Fälle. Dass Maßnahmen ergriffen werden, um die Impfrate bei Kindern zu steigern, ist sinnvoll, aber nicht ausreichend, wie im Bericht des ECDC betont wird. „Masern sind nun eine Krankheit der Erwachsenen“, heißt es in der Arbeit. Es sei deshalb gleichermaßen wichtig, dass Erwachsene sich impfen lassen.
Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass Low-Risk- und High-Risk-Länder zum Teil Nachbarn sind. An dieser Stelle weisen die Autoren die gravierenden Auswirkungen der Mobilität der Menschen innerhalb der EU und des europäischen Wirtschaftsraums hin. Schließlich wird ein großer Teil der Masernfälle in einem Land aus anderen Ländern importiert bzw. exportiert, wie aus dieser Grafik ersichtlich wird.
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Bildquelle: Zaldylmg, flickr