Endoskopische Eingriffe haben im Vergleich zu offenen Operationen viele Vorteile: geringere Infektionsraten, bessere Prognosen, kleinere Narben. Doch eine Studie stellt die Schlüsselloch-Eingriffe jetzt in Frage. Setzen Chirurgen mit dieser Technik auf das falsche Pferd?
Es herrschte helle Aufregung beim 49. Jahrestreffen der Society of Gynecologic Oncology in New Orleans. Forscher hatten gezeigt, dass Patientinnen mit einem Zervixkarzinom im Frühstadium nicht von laparoskopischen Hysterektomien profitieren. Prompt kam es, wie es kommen musste: „Schlüsselloch-Operationen stehen auf dem Prüfstand“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Ist die generelle Kritik an der Methode berechtigt?
Dazu ein Blick auf die Veröffentlichung. Pedro T. Ramirez vom MD Anderson Cancer Center der Uni Texas wollte wissen, welches Verfahren bei Patientinnen mit Zervixkarzinomen der Stadien IA1 (Tumor maximal 3 mm tief, maximal 7 mm breit) bis IB1 (maximale Tumorausdehnung 4 cm) zum besten Ergebnis führt. Pedro T. Ramirez © MD Anderson Cancer Center Bei den untersuchten Tumoren handelte es sich um Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome oder adenosquamöse Karzinome. Primärer Endpunkt der Studie war das krankheitsfreie Überleben. Für ihre Phase-III-Studie randomisierten Forscher 740 Patientinnen eins zu eins in zwei Behandlungsgruppen. Die Patientinnen erhielten eine laparoskopische bzw. robotergestützte oder eine offene Hysterektomie. Die technischen Verfahren betrachtete Ramirez gemeinsam, da sie beide minimalinvasiv sind. Beide Gruppen waren hinsichtlich des Alters (im Durchchnitt 46 Jahre) und des BMI (26 versus 27 kg/m2) vergleichbar. Laparoskopische bzw. roboterassisierte Eingriffe führten verglichen mit klassischen Verfahren nicht nur zu mehr Rezidiven (27/319 versus 7/312 Patientinnen). Auch beim Gesamtüberleben schnitten technische Verfahren schlechter ab (19/319 versus 3/312 Todesfälle). Weitere Parameter wie das Alter, den BMI, das Erkrankungsstadium, die mögliche Beteiligung von Lymphknoten und den ECOG Performance Status zur Bewertung des physischen Zustands hatte Ramirez zuvor statistisch berücksichtigt.
In einem Kommentar findet der Gynäkologe Professor Dr. Johannes Dietl aus Würzburg mehrere Erklärungen: „Bei diesem minimal-invasiven Eingriff fehlt die Hand des Operateurs, die bei dem Krankheitsbild die lokale Ausbreitung des Tumors über die Gebärmutter hinaus oder einen derben Tumor befallenen (sic!) Lymphknoten ertasten kann“, schreibt Dietl. Gleichzeitig hätten laparoskopische Verfahren einen mächtigen Verbündeten, nämlich die Industrie. „Konventionellen OP-Verfahren fehlt diese industrielle Lobby, da sie bei gleicher Indikation weniger verbrauchsintensiv sind.“ Privatdozent Dr. Daniel R. Perez, Geschäftsführender Oberarzt am Universitätsklinkum Hamburg-Eppendorf, ist anderer Meinung. „Die laparoskopische Chirurgie ist deutlich anspruchsvoller als die offene Chirurgie“, so Perez zu DocCheck. Er berichtet von einem „Druck durch Zuweiser oder Kollegen, laparoskopische Eingriffe anzubieten“. „Viele Chirurgen haben jedoch keine ausreichende Ausbildung, um minimalinvasiv zu arbeiten.“ Das führe zu schlechteren Resultaten als beim offenen Verfahren. „Wer die Technik beherrscht und Routine hat, wird mindestens vergleichbare Resultate wie bei offenen Eingriffen erzielen, wenn nicht sogar bessere.“ Etliche Veröffentlichungen belegen dies.
Ärzte haben bei Narbenhernien, also Brüchen der Bauchdecke im Bereich von Operationsnarben, ebenfalls beide Methoden verglichen. Ulrich A. Dietz vom Kantonsspital Olten in der Schweiz nahm im Rahmen einer Metaanalyse neun Studien unter die Lupe. Zur Versorgung setzen Chirurgen ein Netz laparoskopisch oder offen ein. Bei seiner Auswertung fand Dietz ähnliche Raten an Reoperationen (6/329 laparoskopisch versus 16/340 offen), an Komplikationen (160/459 versus 195/464) und an Rezidiven (34/383 versus 28/383). Er kann nicht sagen, dass er ein Verfahren präferiert, verweist aber auf die sehr heterogene Datenlage. „Die große Herausforderung der Narbenhernienchirurgie bleibt, die Variabilität des Krankheitsbildes (zum Beispiel Risikofaktoren und Herniencharakteristika) und die operativen Therapieoptionen (zum Beispiel OP-Techniken, OP-Materialien und Expertise) in Einklang zu bringen“, so Dietz im Artikel. „Wie in der gesamten Medizin erschwert die Variabilität des Krankheitsbildes nicht nur, ein Individualkonzept zu erstellen, sondern auch Evidenz zu generieren.“
John Maret-Ouda © ResearchGate Patienten mit Refluxkrankheit (gastroesophageal reflux disease, GERD) profitieren jedoch stark von moderner Technik. Eine Studie aus dem Jahr 2001 zu offenen OPs fiel zwar ernüchternd aus, denn damals benötigten viele der Patienten postoperativ Protonenpumpenhemmer. Seither hat sich die Welt aber weitergedreht. Chirurgen arbeiten nicht mehr offen, sondern laparoskopisch. Und sie haben Erfolge vorzuweisen. John Maret-Ouda vom schwedischen Karolinska Institutet begleitete 2.655 GERD-Patienten nach laparoskopischer Reflux-OP über 5,6 Jahre hinweg. Nur bei 109 Patienten (4,1 Prozent) traten innerhalb von 30 Tagen Komplikationen auf. Während des Nachbeobachtungszeitraums erlitten 470 Patienten (17,7 Prozent) ein Rezidiv. 393 von ihnen (83,6 Prozent) bekamen daraufhin Säureblocker zur Dauertherapie, und 77 (16,4 Prozent) mussten sich erneut unter das Messer legen. Das Risiko für Refluxrezidive war bei Frauen höher als bei Männern (22 Prozent der Frauen versus 13,6 Prozent der Männer), weitere Risikofaktoren außerdem: ein höheres Alter und Komorbiditäten. Jesper Lagergren vom Karolinska Institut bewertet laparoskopische OPs deshalb in diesem Zusammenhang als „therapeutische Alternative, insbesondere für junge, gesunde Menschen mit schwerem Reflux“. Die Sichtweise bestätigt Stuart J. Spechler vom Baylor University Medical Center Texas in einem Editorial. Er vermutet, laparoskopische Reflux-OPs könnten aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen von PPI an Bedeutung gewinnen. Zu den unerwünschten Effekten gehören vor allem Darminfektionen mit Clostridium difficile und verminderte Resorptionen von Mineralstoffen oder Vitaminen. Zusammenhänge zwischen PPI und Osteoporose gelten als gesichert.
Patienten mit unkomplizierter Appendizitis profitieren ebenfalls von laparoskopischen Eingriffen. David R. Rosen und Glenn T. Ault sehen ökonomische Vorteile, da sie viele Patienten noch am OP-Tag entlassen. Sie forschen an der Keck School of Medicine, University of Southern California. Glenn T. Ault © Keck School of Medicine / USC Ihre Arbeit bezieht auch Besonderheiten des US-Gesundheitssystems mit ein: Nicht alle Angestellten bekommen vom Arbeitgeber bezahlte Krankheitstage. Oftmals müssen sie Urlaub opfern oder sich unbezahlt freistellen lassen. Und viele US-Krankenversicherungen versuchen, Liegezeiten aus Kostengründen niedrig zu halten. Deshalb haben Ärzte am Los Angeles County+USC Medical Center ein Protokoll entwickelt, um zu entscheiden, in welchen Fällen nach laparoskopischen OPs kein stationärer Aufenthalt erforderlich ist. Sie nennen einen komplikationsfreien Verlauf, normale Vitalparameter, eine ausreichende Analgesie, eine normale Harnproduktion sowie die Fähigkeit, selbst Nahrung aufzunehmen, als Kriterien. Um die Ergebnisse zu vergleichen, nahmen Forscher 351 Personen mit laparoskopischer Appendektomie in ihre Studie auf. Von 173 Patienten in der ambulanten Gruppe gingen 113 (65 Prozent) am gleichen Tag nach Hause. Die Nachbeobachtungszeit lag bei einem Jahr. Zum Vergleich wurden Daten von 178 Kontrollen mit stationärem Aufenthalt herangezogen. Ault zufolge gab es im postoperativen Verlauf keine Unterschiede. „Ambulante laparoskopische Appendektomien im Krankenhaus sind sicher und führen zu niedrigeren Gesundheitskosten“, lautet sein Resümee. Als Einsparpotenzial nennt er auf Basis früherer Untersuchungen 1.900 US-Dollar (1.600 Euro) pro Tag. „Die wichtigste Botschaft ist, dass wir in einer zunehmend restriktiveren Gesundheitsversorgung kontinuierlich nach Effizienz und Kosteneinsparungen suchen müssen“, so Ault weiter. „Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, mit den Ressourcen, die wir haben, effizient umzugehen.“ Diese Sätze gelten im Großen und Ganzen auch für Deutschland.
Doch die Arbeit von Ramirez Arbeit mit schlechtem Ergebnis bei minimalinvasiven Eingriffen lässt sich nicht wegzaubern. Was können wir daraus lernen? Perez hält nicht viel von Zertifizierungen. „Es muss Outcome-Messungen geben“, fordert der Experte. „In Europa stehen wir noch ganz am Anfang.“ Er wünscht sich, Vergütungen anzupassen – weg von der Fallzahl, hin zur Qualität. „Statt 20 verschiedenen Eingriffen werden vielleicht nur noch fünf angeboten, aber dann eben richtig gut.“