Seit dem AMNOG durchlaufen Wirkstoffe ein umfangreiches Prüfungsverfahren. Homöopathische Präparate bleiben nach wie vor unbehelligt – und werden sogar zur freiwilligen Kassenleistung. Wir begaben uns auf die Suche nach Hintergründen.
Mit ihrem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) haben Gesundheitspolitiker die Frühbewertung neu auf den Markt gekommener Arzneimittel eingeführt. Erklärtes Ziel ist, möglichst rasch zu erkennen, ob Wirkstoffe tatsächlich einen Zusatznutzen gegenüber bisherigen Standards aufweisen. „Das ist bei aller Kritik, die an diesem Gesetz geäußert werden kann, ein Fortschritt“, sagt Professor Dr. Norbert Schmacke. Er arbeitet als Versorgungsforscher an der Universität Bremen und war von 1999 bis 2003 Leiter des Bereichs „Medizin“ bei der AOK. Schmacke weiter: „Der Gesetzgeber hat durch die Schaffung der Rechtsfigur der ‚besonderen Therapierichtungen‘ für Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie diese drei Behandlungsrichtungen von international üblichen, wissenschaftlichen Bewertungsmethoden freigestellt.“ Hier reiche ein sogenannter Binnenkonsens: Vertreter der jeweiligen Richtung bewerten ihre Therapie als wichtig. Wie kam es dazu?
Schmacke erinnert sich: „Dies ist eine ausschließlich politisch motivierte Entscheidung gewesen, 1978 im Sozialgesetzbuch einen Schutzzaun um ‚besondere‘ Heilverfahren zu ziehen; angeblich, um Monopole der naturwissenschaftlichen Medizin nicht übermächtig werden zu lassen.“ Ähnliche Entscheidungen haben Regierungen in der Schweiz und in England getroffen beziehungsweise geduldet – „immer unter dem massiven Druck entsprechender Lobbyverbände“. Diese Regelungen gelten bis heute. „Es ist an der Zeit, nachdem die Politik international dann seit den achtziger Jahren sukzessive Methoden der evidenzbasierten Medizin und des Health Technology Assessments als verbindlich anerkannt hat, diese doppelte Buchführung in der Gesundheitspolitik zu beenden“, fordert Schmacke. „Wenn die Homöopathie so wirksam ist, wie ihre Befürworter das behaupten, dann hätte sie es leicht, Hürden der Arzneimittelbewertung zu überspringen.“ Norbert Schmacke, Foto: Uni Bremen
Genau das ist Verfechtern alternativer Therapien bislang nicht geglückt. Sie publizieren seit rund zehn Jahren Resultate, die auf den ersten Blick Anforderungen randomisierter Studien genügen. „Wenn man ihre Studien genau anschaut, leiden sie unter methodischen Mängeln, soweit sie überhaupt nennenswerte klinische Effekte untersucht haben“, so Schmacke. Ähnlich kritisch äußert sich Professor Dr. Claudia Witt vom Institut für komplementäre und integrative Medizin der Uni Zürich. Sie hatte von 2008 bis 2013 eine Stiftungsprofessur der Karl und Veronica Carstens-Stiftung zur Erforschung der Komplementärmedizin an der Berliner Charité inne. Gegenüber Schweizer Medienvertretern sagte Witt: „Meine Aussage – dass nicht belegt ist, dass homöopathische Arzneimittel mehr als ein Placebo sind – gilt auch heute noch.“ Sie lehnt entsprechende Verfahren nicht per se ab, verweist aber auf die schlechte Qualität etlicher Studien. Ihr geht es nicht um eine akademische Diskussion. Die versorgungsrelevante Information sei vielmehr: „Es konnte nicht gezeigt werden, dass homöopathische Arzneimittel besser wirken als Placebo.“
Apotheker und Ärzte geben derartige Präparate trotzdem ab, „teils aus Überzeugung, teils aus Opportunismus“, wie Schmacke weiß. „Patientenbindung ist ein wichtiges Motiv, verbunden mit der Sorge vor Einkommensverlusten.“ Mit der homöopathischen Erstanamnese lässt sich auch gutes Geld verdienen. Ein Motiv wirkt zumindest auf den ersten Blick akzeptabel: dass die Medizin sowieso nicht ohne Placebo auskommt – und homöopathische Präparate zumindest keine Nebenwirkungen haben. „Auf den zweiten Blick halte ich das trotzdem für inakzeptabel, da die homöopathische Medizin ja ausdrücklich damit wirbt, dass in Globuli eine eigeständige Heilsubstanz verborgen sei, die man nur noch nicht habe nachweisen können.“ Schmacke spricht von „Hokuspokus und Betrug am kranken Menschen“. Gesetzliche Krankenkassen erstatten pflanzliche, homöopathische und anthroposophische Arzneimittel häufig auf freiwilliger Basis. Entsprechende Hinweise stehen sogar auf „grünen Rezepten“. Es geht aber nicht nur um naheliegende Fragen wie die Verwendung von Mitgliedsbeiträgen. Wie viele Patienten klassische, evidenzbasierte Therapien zu Gunsten von alternativen Ansätzen aufgeben, ist unbekannt. Medizinethiker fordern deshalb, Laien aufzuklären, falls Placebopräparate eingesetzt werden. Schmacke weist zudem darauf hin, dass es in der medizinischen Versorgung oft an der erforderlichen Empathie mangele. Generell sieht er nicht nur Ärzte, sondern auch Politiker in der Verantwortung.
Grund genug, eine breite gesellschaftliche Debatte um besondere Therapieverfahren zu führen. Am Ende müssten Mitglieder des Deutschen Bundestages überzeugt werden, dem Sonderstatus ein Ende zu bereiten. Es geht nicht um Rundumschläge. Phytotherapeutika, deren Nutzen sich belegen lässt, werden auch Bewertungsverfahren des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) heil überstehen. Alle anderen Therapieformen gehören nicht in den Leistungskatalog gesetzlichen Krankenversicherungen. „Dass es für die Homöopathie dabei besonders schlecht aussieht, steht für mich außer Frage“, erklärt Norbert Schmacke. „Aber nur weil etwas populär ist, kann Politik nicht an den vereinbarten Standards der Methodenbewertung vorbeischauen.“ Der Forscher scheut sich nicht, seine Meinung auch öffentlich zu vertreten.