Mit Natriumhydrogencarbonat sollen sich viele Erkrankungen behandeln lassen. Ist das völliger Kokolores oder gar nicht so abwegig? Ein Pharmakologe checkt die Studienlage.
Soda, Natron, Backpulver – diese Bezeichnungen werden gern als Synonyme angesehen. Das sind sie aber nicht, auch wenn sie eine gemeinsame Eigenschaft haben: Sie sind schwache Basen. Wer nun vermutet, eine Base neutralisiere einfach so eine Säure im Körper, der nimmt auch an, eine auf die Stirn gelegte Kopfschmerztablette helfe gegen Migräne.
Es kommt nicht nur auf den Wirkstoff an, sondern auf die Art der Verabreichung und die galenische Formulierung. Worin unterscheiden sich die Substanzen?
Bei der Milz sieht die Studienlage wie folgt aus: Ray et al. von der Augusta University in Georgia, USA, konnten in einer Studie zeigen, dass Natriumhydrogencarbonat das Organ offenbar dazu anregt, durch die Aktivierung von Signalkaskaden ein entzündungshemmendes Milieu zu schaffen.
Diese Übertragung findet über neuronale Funktionen von Mesothelzellen statt. Über Sensoren, die Microvili, findet eine Art Kommunikation statt, bei der vermutlich auch der Botenstoff Acetylcholin beteiligt ist. Bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen, wie rheumathoider Arthritis, wäre das eine preiswerte Therapieoption.
Bicarbonat weist, neben seiner antiphlogistischen Funktion, auch eine nephroprotektive Wirkung auf. Daher kann nicht nur die Milz, sondern auch die Niere von einer sachgerechten Gabe profitieren. Prof. Daniel Patschan, Internist und Nephrologe an der Universität Göttingen, betont, dass eine Bicarbonat-Supplementation bei Patienten mit Niereninsuffizienz das Risiko für eine Dialysepflicht erheblich reduzieren kann. Allerdings sind nur magensaftresistente Zubereitungen dafür geeignet.
Patschan erklärt: „Die magensaftresistente Galenik hat keinen Einfluss auf die Funktion der Magensäure für die Verdauung und antibakterielle Wirkung und bleibt daher unbeeinträchtigt.“ Die infrage kommenden Zubereitungen werden als nierenprotektive Verordnung von den Krankenkassen erstattet.
Adamczak et al. vom Department of Nephrology, Transplantation and Internal Medicine an der Medical University of Silesia, Polen, betonen, wie bedeutsam eine Basentherapie bei Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) ist. Die Messung der Bicarbonatkonzentration in venösem Plasma oder venösem Blut zur Überprüfung auf metabolische Azidose sollte daher bei allen CKD-Patienten durchgeführt werden.
Eine metabolische Azidose sollte diagnostiziert werden, wenn die gemessene Bicarbonatkonzentration niedriger als 22 mmol/l ist. Bei Patienten mit metabolischer Azidose und CKD wird die orale Verabreichung von Natriumbicarbonat empfohlen. Ziel einer solchen Behandlung ist es, eine Plasma- oder Blutbicarbonatkonzentration von 22 mmol/l oder mehr zu erreichen.
Bellasi et al. haben in einer multizentrischen, randomisiert-kontrollierten Studie untersucht, wie sich eine 12-monatige Therapie der chronischen metabolischen Azidose mit oral verabreichtem Bicarbonat auf die Insulinresistenz auswirkt.
An der Studie nahmen 145 Patienten (62 Frauen, 83 Männer) teil. Alle wiesen eine chronische Niereninsuffizienz (Stadien 3b bis 4) mit metabolischer Azidose (Serumbicarbonat < 24 mmol/l) und einen nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus auf.
Die Verumgruppe wurde mit oralem Natriumbicarbonat auf einen Serumspiegel von 24 bis 28 mmol/l eingestellt. Dafür wurden zu Beginn zwei Mal täglich 0,5 mmol Bicarbonat pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht, bis der gewünschte Serumspiegel erreicht war. Anschließend wurden die Serumspiegel während der Studiendauer innerhalb des Bereichs von 24 bis 28 mmol/l justiert.
Das Bicarbonat stieg in der Interventionsgruppe von 21,2 ± 1,9 mmol/l auf 26,0 ± 2,0 mmol/l im Serum an. In der Kontrollgruppe blieb der Wert nahezu unverändert (21,6 ± 2,0 mmol/l bei Beginn der Studie und 22,3 ± 1,9 mmol/l am Ende; p=0,0001 für Interventions- vs. Kontrollgruppe).
In der Bicarbonatgruppe war der Bedarf an antidiabetischer Medikation (Sulfonylharnstoffe und Biguanide) nach einem Jahr geringer als in der Kontrollgruppe. Die Insulinresistenz, der HbA1c-Wert und die Serum-Glucose waren ebenfalls niedriger. Die Gabe von Bicarbonat hat sich in diesen Fällen bewährt.
Ein beliebtes Hausmittel gegen Sodbrennen ist die Einnahme von Natriumhydrogencarbonat, das in Form von Pulver oder Tabletten angeboten wird. Tatsächlich ist die Substanz in der Lage, Magensäure zu neutralisieren. Aus ihr entstehen mit der Salzsäure Natriumchlorid, Wasser und Kohlensäure. Der Effekt ist jedoch nur sehr kurzfristig, deshalb gibt es auch keine Antazida mit Natriumhydrogencarbonat.
Sehr unangenehm ist die Bildung des Gases Kohlendioxid, das die Magenwände extrem überdehnen kann. Außerdem kann der pH-Wert im Magen so stark angehoben werden, dass das Milieu ins Basische tendiert. Die Folge ist eine kompensatorische Hypersekretion, die eine Bildung von noch mehr Magensäure zur Folge hat. Also hier können Natron & Co. nicht punkten.
In einer Meta-Analyse von Lambert et al. wurde die Wirkung von Kaliumbicarbonat und Kaliumcitrat auf die Calcium- und Säureausscheidung untersucht. Insgesamt 14 Studien zur Wirkung von alkalischen Kaliumsalzen auf den Calciumstoffwechsel und die Knochengesundheit wurden analysiert. Die Ergebnisse bestätigen, dass die Supplementierung mit alkalischen Kaliumsalzen zu einer signifikanten Reduktion der renalen Calcium-und Säureausscheidung führt.
Die beobachtete Verringerung der Knochenresorption deutet auf einen potenziellen Nutzen für die Knochengesundheit hin. Aus pharmakologischer Sicht weisen basische Kaliumsalze im Gegensatz zu Natriumsalzen aber einige Nachteile auf. Besonders bei einer Niereninsuffizienz kann der Kaliumgehalt ansteigen und zu Herzrhythmusstörungen führen.
Wer die Kombination „Backpulver und Krebs“ im Internet sucht, erhält etwa eine viertel Million Treffer. „Keine Quacksalberei: Normales Speisenatron kann helfen, Krebszellen zu killen“, titelte der FOCUS in seiner Onlineversion.
Derartige Überschriften ohne Fragezeichen und kritische Darstellung der Studienlage tragen massiv zur Verunsicherung von Patienten bei und schüren falsche Hoffnungen. In der Tat kann bei einigen Tumoren eine pH-Wertänderung zu einer Mangelversorgung der Geschwulste führen. Diese Ergebnisse stammen jedoch aus in-vitro-Daten oder aus Tierversuchen. Außerdem kamen extrem hohe Dosen zum Einsatz und die Zahl der Studienteilnehmer war klein.
Chi Van Dang et al. vom Ludwig Institute for Cancer Research in New York betonen, dass Krebszellen in einen nicht mehr therapierbaren Zustand fallen, wenn das sie umgebende Gewebe immer sauerstoffärmer wird und schließlich übersäuert. Gerade in größeren Tumoren, die extrem sauerstoffarm und damit enorm übersäuert sind, finden sich häufig ausgedehnte Ansammlungen von Krebszellen, die kaum noch von den üblichen Krebsmedikamenten erreicht werden.
Backpulver ist kein Heilmittel. Natriumbicarbonat hat zwar sicherlich medizinisches Potenzial, man sollte aber, was Heilversprechen angeht, sehr kritisch sein.
Bei allen „sauren Erkrankungen“ wie Sodbrennen und metabolische Azidose kann über eine adjuvante Therapie nachgedacht werden, aber bitte nicht im Rahmen der Selbstmedikation. Der Patient muss zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln unterscheiden – und sich dabei bestenfalls vom Facharzt beraten lassen.
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