75 Mal täglich werden Praxisärzte und MFA in Deutschland Opfer von aggressiven Patienten. Dabei müsste es häufig gar nicht so weit kommen. Wir geben Tipps zur Gewaltprävention.
Im Wochentakt hört und liest man von Gaffern, die Rettungseinsätze behindern, und von randalierenden Patienten in den Notaufnahmen. Aber auch Praxisärzte werden immer häufiger Opfer von Gewalt. Jeder vierte Arzt musste bereits konkrete Erfahrungen mit körperlicher Gewalt machen (Quelle: Ärztemonitor 2018). Verbale Gewalt ist sogar noch häufiger: Fast 40 Prozent der niedergelassenen Ärzte berichten über Bedrohungen und Beschimpfungen in den letzten 12 Monaten.
Statistisch gesehen kommt es täglich zu mindestens 75 Fällen von körperlicher Gewalt gegen niedergelassene Ärzte und ihre Praxisteams. Das ist ein besorgniserregender Trend, gegen den der Gesetzgeber noch nicht entschlossen genug vorgeht.
Die gute Nachricht für Praxisärzte und ihre Teams: Viele Vorfälle von verbaler und körperlicher Gewalt in deutschen Arztpraxen sind vermeidbar. Das beste Mittel gegen Konflikte ist, sie gar nicht erst entstehen zu lassen und die Eskalationsspirale nicht unbewusst weiter zu befeuern. Gewaltprävention lässt sich lernen und trainieren.
Am Anfang der meisten Konflikte, ob verbal oder körperlich, steht ein Kommunikationsproblem. In 80 % der Fälle sind das unterschiedliche Erwartungshaltungen. Enttäusche Erwartung führt zu Frustration und Wut.
Wenn ein Patient im Behandlungszimmer, im Wartezimmer oder am Tresen laut und aggressiv wird, adressieren Sie diese Erwartungshaltung und fragen Sie dabei ruhig auch direkt nach den Gefühlen des Patienten: „Sie wirken aufgebracht. Wie geht es Ihnen?“
Demonstrieren Sie Mitgefühl: „Sie sind aufgebracht, weil es heute länger dauert. Das kann ich verstehen.“ Alleine dadurch, dass Sie Verständnis zeigen, können Sie das Aggressionspotenzial häufig schon entscheidend reduzieren.
Versuchen Sie in der weiteren Folge, den Patienten von der Beziehungsebene auf die Sachebene zu holen. Beleidigungen und Kritik sollten Sie nicht persönlich nehmen, denn sie beziehen sich eigentlich auf die Situation und nicht auf Sie. Indem Sie auf der sachlichen Ebene bleiben, können Sie leichter einen kühlen Kopf bewahren.
Dieser kühle Kopf ist ganz entscheidend. Denn Stress, Überraschung und Unsicherheit führen dazu, dass der klare Verstand ausgeschaltet wird. Unser „Reptiliengehirn“ übernimmt und steuert uns quasi auf Autopilot. Das sollten Sie unbedingt vermeiden! Denn so werden Sie in eine Opferrolle gedrängt. Ihr Gegenüber nimmt unbewusst Ihre veränderte Körpersprache war – und fühlt sich noch stärker.
Darum ist die ständige bewusste Beurteilung der Lage essentiell, um nicht zum Opfer von psychischer oder physischer Gewalt zu werden. Das muss trainiert werden – zum Beispiel in eigenen Kursen.
Ganz wichtig für Ihre gefühlte aber auch reale Sicherheit ist es, Distanz zu wahren. Als Regel gilt: eine, besser noch zwei Armlängen Abstand. In der Praxis kann auch ein Tresen oder ein Schreibtisch als Schutzbarriere dienen. Wichtig ist dabei aber, dass Ihnen bzw. Ihren Angestellten immer noch eine Fluchtmöglichkeit bleibt und Sie nicht im wahrsten Sinn des Wortes mit dem Rücken zur Wand stehen.
In offenen Räumen oder zusätzlich zu baulichen Barrieren können Sie auch physisch Distanz aufbauen, indem Sie beide Arme ausgestreckt vor der Brust halten. Dieses visuelle Stoppsignal können Sie noch mit einem bestimmten, aber nicht aggressiven oder panischen „Stopp!“ unterstreichen.
Alles, was schwer ist, zerbrochen oder geworfen werden kann, könnte im Ernstfall als Waffe eingesetzt werden. Achten Sie also darauf, dass auf Schreibtischen und Tresen nichts herumsteht, das aufgebrachte Patienten ergreifen können. Räumen Sie Locher, Scheren, Brieföffner und Co. immer in die Schubladen.
Zusätzlich können Sie eine Schale mit Sand, Reißnägeln o. Ä. griffbereit aufbewahren, die Sie einem Angreifer im Notfall ins Gesicht schleudern können, um ihn zu blenden und abzulenken.
Holen Sie so früh wie möglich Verstärkung dazu. Wenn ein Patient nicht nur einer, sondern gleich zwei oder drei MFA gegenübersteht, wirkt die Überzahl häufig abschreckend.
Vereinbaren Sie ein Alarmwort mit Ihrem Praxisteam, damit Sie oder Ihre MFA im Notfall schnell Unterstützung durch andere Mitarbeiter anfordern können. Idealerweise sollte das Alarmwort unauffällig sein, sodass weder dem aggressiven Patienten noch eventuellen weiteren Patienten im Wartezimmer auffällt, dass Sie gerade um Verstärkung bitten.
Idealerweise sorgen Sie auch durch Dienstpläne und -anweisungen dazu, dass Ihre MFA den Tresen nie alleine besetzen und besonders frühmorgens und abends niemand auf sich alleine gestellt ist.
Machen Sie sich gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern einen Plan: Wie gehen Sie mit aggressiven Patienten um? Wer wird wann und wie informiert? Sorgen Sie dafür, dass alle Angestellten in der Praxis den Plan kennen. Simulieren Sie immer wieder Konfliktsituationen und trainieren Sie die Abläufe.
Mehr Tipps von einem ausgewiesenen Experten für Gewaltprävention erhalten Sie in unserem Webinar „Gewaltprävention in der Arztpraxis“ am 15.8.2019 um 18 Uhr. Melden Sie sich hier für das Webinar an oder werden Sie noch rechtzeitig Mitglied im NAV-Virchow-Bund.
Haben Sie bereits Erfahrung mit aggressiven Patienten gemacht? Hinterlassen Sie uns einen Kommentar.
Das könnte Sie auch interessieren: