Radiologen sollen sich beim Einsatz von Gadolinium-Kontrastmitteln bereichert haben. Von „dubiosen Millionengeschäften“ ist die Rede. Jetzt wehren sich die Beschuldigten.
Radiologen sind vor einigen Tagen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Recherchen von der Süddeutschen Zeitung, dem NDR und WDR zufolge sollen einige von ihnen das MRT-Kontrastmittel Dotagraf® günstig beim Hersteller erworben, aber bei gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) deutlich teurer abgerechnet haben. Es ist die Rede von „dubiosen Millionengeschäften der Radiologen“. Pro MRT-Gerät seien Medienangaben zufolge zusätzliche 90.000 Euro hängen geblieben. Insgesamt soll der Verlust bei 200 Millionen Euro liegen. Sind die Vorwürfe berechtigt? Das sagen Radiologen und Gesundheitsexperten dazu.
Das Recherchenetzwerk hatte Radiologen vorgeworfen, zu große Mengen einzusetzen. „Da Kontrastmittel sehr häufig auch Nierenschäden oder Gehirneinlagerungen zur Folge haben, wäre dieser Abrechnungsbetrug nicht nur ein ökonomisches Thema“, schreibt Karl Lauterbach auf Twitter. In der Berichterstattung wird den Radiologen auch vorgeworfen, möglicherweise mehr Patienten als nötig das Kontrastmittel zu verabreichen. Das lege ein bisher unveröffentlichter Vergleich von 28 radiologischen Praxen nahe.
Kontrastmittel eine „Black Box“
Ulrich Schwabe, bekannt als Herausgeber des Arzneiverordnungsreports, erklärt gegenüber der Tagesschau: „Wir wissen weder, welche Kontrastmittel in Deutschland eingesetzt werden, noch wie viel Geld die Krankenkassen dafür ausgeben.“ Für Kassen seien sie eine „Black Box“, weil jede Praxis ihre Kontrastmittel selbst bestelle. Eigentlich haben Ärzte, bis auf wenige Ausnahmen, kein Dispensierrecht. Sie dürfen also nicht selbst Medikamente einkaufen.
Bei Kontrastmitteln sieht das anders aus – denn hier handelt es sich nicht um Therapien. In Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg können Inhaber Kontrastmittel beim günstigsten Anbieter ordern und über feste Pauschale beim Sprechstundenbedarf abrechnen.
Der Berufsverband Deutscher Radiologen (BDR) wehrt sich in ihrer Stellungnahme gegen die erhobenen Vorwürfe: „Die vom Recherche Netzwerk (SZ, WDR, NDR) ermittelten und veröffentlichten Darstellungen sind unvollständig und in ihrer Aussage unzutreffend.“
Die Pauschalen-Regelung sei in den Bundesländern meist durch eine strikte Mengenbegrenzung ergänzt worden, was eine Steigerung des Kontrastmittelverbrauches auch wirksam verhindern würde. Beispielsweise sei der Verbrauch in Hamburg seit Einführung der Pauschale konstant, setzt der BDR den Anschuldigungen entgegen.
Gadoliniumhaltige Kontrastmittel: Wie sicher sind sie?
Der „Skandal“ ist nicht nur auf finanzieller, sondern auch auf medizinischer Ebene brisant. Schon seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob gadoliniumhaltige MRT-Kontrastmittel unbedenklich sind (DocCheck berichtete). Speziell Dotagraf® wird bei Untersuchungen des zentralen Nervensystems einschließlich Gehirn und Rückenmark und bei Ganzkörper-MRTs zur Untersuchung von Leber, Nieren, Pankreas, Herz und des muskuloskelettalen Systems sowie bei Magnetresonanzangiographien eingesetzt. Das Kontrastmittel enthält als Gadoliniumverbindung Gadotersäure. Hinweise auf Gadoliniumablagerungen im Gehirn nach therapeutischen Anwendungen sind seit längerem bekannt. Die European Medicines Agency (EMA) hat Ende 2017 alle wissenschaftlichen Daten im Zuge einer Risikobewertung zusammengestellt.
Sie bewertete makrozyklische Substanzen wie Gadobutrol, Gadotersäure und Gadoteridol als vergleichsweise sicher. Die Moleküle binden Gadoliniumionen fest und werden unverändert aus dem Körper eliminiert. Bei linear gebauten Stoffen wurde teilweise die Zulassung eingeschränkt oder ganz entzogen. In jedem Fall empfiehlt die Arzneimittelbehörde, Kontrastmittel möglichst niedrig dosiert und nur bei medizinischen Fragestellungen, die ansonsten nicht zu beantworten wären, einzusetzen.
Die Rolle der Vergütung
„Die Entscheidung für die Gabe von Kontrastmitteln in der medizinischen Bildgebung erfolgt immer und ausschließlich anhand der Indikation sowie möglicher Kontraindikationen“, erklärt die Deutsche Röntgengesellschaft. „Die Vergütung spielt bei der Entscheidung für oder gegen die Gabe von Kontrastmitteln aus ärztlicher und ethischer Sicht keine Rolle.“
Dies schließt explizit gadoliniumhaltige Kontrastmittel ein, die im Rahmen von MRT-Untersuchungen zum Einsatz kommen.“ Dabei sei die ärztliche Entscheidung von der Indikation und dem Gesundheitszustand des Patienten abhängig. „So kann beispielsweise eine hochgradige Niereninsuffizienz eine Kontraindikation für die Gabe gadoliniumhaltiger MRT-Kontrastmittel sein“, heißt es weiter.
Durch das Pauschalen-Modell seien Versicherte nicht geschädigt worden, sondern man habe „viele Millionen Kassengelder eingespart“, verteidigt sich auch der Berufsverband der Deutschen Radiologen. Schließlich hätten GKVen durch die Regelung in diesem Ausgabenbereich eine „fest kalkulierbare Größe“. Für Ärzte seien je nach Praxis, Einkaufsmenge und Patientenauswahl „Gewinne oder Verluste“ möglich. „Das Pauschalen-Modell ist unzweifelhaft rechtskonform und sichert Patienten und Ärzten die Therapiefreiheit“, heißt es als Fazit. Generell seien Pauschalen bei der ärztlichen Abrechnung ein bekanntes Modell.
Beide Gesellschaften bestreiten letztlich, dass sich Ärzte bereichert hätten. Wie sehen das Kollegen aus der Praxis?
Differenzen ein Verhandlungsergebnis von Krankenkassen und KVen
„Kontrastmittel sind für einige Fragestellungen unumgänglich und für eine detaillierte Diagnostik oft hilfreich“, bestätigt ein Radiologe gegenüber DocCheck. „Bisher sind auch nach jahrzehntelanger Anwendung keine relevanten Nebenwirkungen bei korrekter Anwendung bekannt.“
Dennoch sei jede Medikamentengabe auf die Erforderlichkeit hin zu überprüfen. Er verweist hier auf den höheren Aufwand, falls beispielsweise Hochdruckinjektionen mit einem Injektomaten durchgeführt werden. „Es kann dennoch nicht sein, dass unterschiedliche Vergütungssätze davon abhängen, ob Medikamente appliziert werden, auch wenn niemanden zu unterstellen ist, Kontrastmittel nur aus finanziellen Gründen zu geben“, so seine Kritik. „Die Tatsache, dass hier eine Differenz zu Gunsten der Anwender resultiert, ist allein dem Verhandlungsergebnis von Krankenkassen und KVen zuzuschreiben.“
In Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe spricht er Radiologen frei, denn: „Es handelt sich um Pauschalverträge, die Krankenkassen mit kassenärztlichen Vereinigungen aushandeln.“ In den Vorgang seien Kollegen nicht involviert, sie bestellten lediglich Kontrastmittel bei einer Firma.
(K)ein Fall für den Staatsanwalt
Wie es jetzt weitergehen wird, ist unklar. Vor wenigen Tagen hat sich das Bundesgesundheitsministerium in die Diskussion eingeschaltet, indem es den AOK-Bundesverband um Aufklärung des Sachverhalts gebeten hat. Mehrere Politiker, allen voran Karl Lauterbach, sehen jetzt die Staatsanwaltschaft unter Zugzwang. Doch es gibt erhebliche Zweifel an der juristischen Aufarbeitung. Einem älteren Gutachten zufolge sei „der Erwerb von Kontrastmitteln zu niedrigeren Preisen […] als den zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen vereinbarten Pauschalen […] in strafrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden“.
Es fehle somit an einem rechtswidrigen Vorteil, da Ärzte Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe der Kontrastmittelpauschale hätten. Und von Betrug könne man bei ordnungsgemäßer Abrechnung auch nicht sprechen. Die AOK bezeichnet die Rechercheergebnisse als „Chance, die bestehenden und für alle Kassen in der jeweiligen Region gemeinsam abgeschlossenen Vereinbarungen zu überprüfen und bei Bedarf neu zu verhandeln“, heißt es in einer Stellungnahme. Man habe nun Zugang zu Daten, zu denen bislang allenfalls vage Vermutungen vorlagen. Welche –oder ob überhaupt– Konsequenzen daraus folgen, bleibt jetzt abzuwarten.
Bildquelle: Mantas Hesthaven, unsplash