Arzneimittel haben oft unerwünschte Effekte auf die Haut – von harmlosen Ausschlägen bis hin zu schweren Organschäden. Viele Folgen zeigen sich erst nach der Markteinführung. Ein Grund mehr, systematisch Daten zu erfassen.
Hautreaktionen durch Arzneimittel sind keine Seltenheit in der Praxis. Dermatologen schätzen, dass zwei bis drei Prozent aller Patienten kutane Arzneimittelreaktionen entwickeln. Dazu gehören Angioödeme, Arzneimittelexantheme, Urtikaria, das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) oder die toxische epidermale Nekrolyse (TEN). Senioren sind häufiger betroffen, da sie oft mehrere Wirkstoffe in Dauertherapie benötigen. Bei ihnen kommen Veränderungen der Leber- und Nierenfunktion erschwerend mit hinzu.
Zur Erklärung diskutieren Wissenschaftler das „Hapten-Modell“ [Paywall]: Reaktive Arzneistoffe, etwa Penicilline, bilden zusammen mit Proteinen des Körpers Vollantigene. Langerhans-Zellen im Stratum spinosum der Epidermis wittern Gefahr und wandern zum nächsten Lymphknoten. Dort kommt es zur T-Zell-Aktivierung mit sofortiger (Typ I) oder verzögerter (Typ 4) Immunreaktion. Als Alternative postulieren Forscher das p-i-Konzept (pharmakologische Interaktion mit Immunrezeptoren): eine Wechselwirkung von Arzneistoffen mit T-Zell-Rezeptoren oder HLA-Molekülen. Tragen Patienten beispielsweise das Allel HLA-B*5701, kann es zu schweren Reaktionen gegen Abacavir kommen. Ein Gentest schafft Abhilfe, um Risiken zu minimieren. Das Allel HLA-B*1502 wird bei Menschen asiatischer Herkunft mit schwersten Hautreaktionen in Verbindung gebracht, falls sie Carbamazepin verwenden. Europäer und Asiaten mit HLA-A*3101 haben ebenfalls deutlich höhere Risiken. Das muss nicht sein: Nach Einführung von HLA-B*1502-Gentests trat kein einziger Fall von SJS oder TEN mehr auf, berichten Wissenschaftler. Nicht immer steckt hinter Hautreaktionen eine Allergie. Bei Intoleranzen setzen Mastzellen unabhängig von Immunglobulin E den Botenstoff Histamin frei. Dieser Mechanismus wird von Antibiotika, Muskelrelaxanzien, Röntenkontrastmitteln, Pentamidin und Opioiden forciert. NSAIDs beeinflussen als Cyclooxygenase-Hemmstoffe den Arachidonsäure-Stoffwechsel. Als Folge häufen sich Leukotriene an [Paywall], und Mastzellen schütten Histamin aus. Bei Betalactam-Antibiotika, die als häufigste Auslöser unerwünschter Hautreaktionen gelten, sind allergische und nicht allergische Reaktionen möglich [Paywall]. Besonders schlechte Karten haben Patienten mit Pfeiffer’schem Drüsenfieber, die Amoxicillin einnehmen. Über in-vitro-Tests ist es Ärzten nicht gelungen, das Risiko möglicher Hautreaktionen im Vorfeld abzuschätzen.
Neben Allergien und Intoleranzen führen photochemisch induzierte Prozesse häufig zu Hautläsionen. Absorbieren Moleküle elektromagnetische Strahlung im UV-VIS-Bereich, entsteht ein kurzlebiger, angeregter Zustand. Danach geht Energie an ihre Umgebung, was zu phototoxischen und photoallergischen Reaktionen führt. Das klinische Bild reicht von Erythemen bis hin zu malignen Tumoren. Etliche Antidepressiva, Antiepileptika, Antihistaminika, Dermatika, Diuretika, Hormone, Malariapräparate, NDAIDs oder Zytostatika gelten als kritisch. Aus apothekerlicher Sicht ist vor allem Hydrochlorthiazid relevant. Laut Arzneiverordnungsreport 2015 schrieben Ärzte zuletzt rund fünf Millionen HCT-Mono- oder Kombinationspräparate auf. Amiodaron hat zwar ein wesentlich stärkeres phototoxisches Potenzial als HCT, wird aber seltener verordnet. Noch ein Blick auf Johanniskraut. Der bei Tieren beschriebene Hypericismus tritt in der Praxis nur selten auf – wahrscheinlich aufgrund zu geringer Mengen an Hypericin.
Glukokortikoide schädigen unsere Haut über ganz andere Mechanismen. Entsprechende Moleküle supprimieren nicht nur unser Immunsystem, sondern hemmen auch die Proliferation von Bindegewebszellen. Kein Wunder, dass Pharmakotherapien abhängig von der Zeit, der Konzentration und der Wirkstärke zur Hautverdünnung führt. Setzen Patienten ihre Präparate ab, bessert sich das Hautbild innerhalb von Monaten oder Jahren. Auch das Gegenteil ist bekannt: Amlodipin, Ciclosporin A, Nifedipin oder Phenytoin vermindern den Kollagenabbau. Es kommt zur Proliferation von Fibroblasten und zur Vermehrung von Kollagen im Bereich des Zahnfleischs, bekannt als medikamenteninduzierte Gingivahyperplasie. Bei der Krebstherapie geraten Hautanhangsgebilde in die Schusslinie. Ärzte setzen gegen überaktive EGF-Rezeptoren monoklonale Antikörper wie Cetuximab und Panitumumab oder Tyrosinkinase-Inhibitoren wie Afatinib, Gefitinib und Erlotinib ein. Die Präparate führen zu Akne-ähnlichen Hautausschlägen ohne Komedone, was mit einem Ansprechen der onkologischen Therapie korreliert. Patienten leiden trotzdem unter Effloreszenzen im Gesicht, auf der Brust und am Rücken.
Das detaillierte Wissen zu arzneimittelbezogenen kutanen Effekten kommt nicht von ungefähr. Viele Effekte zeigen sich erst nach Zulassung. SJS- beziehungsweise TEN-auslösende Pharmaka werden mittlerweile im „European Registry of Severe Cutaneous Adverse Reactions“ (RegiSCAR) erfasst. Wegen schwerer Reaktionen nahmen Konzerne schätzungsweise drei Prozent aller neuen Wirkstoffe wieder vom Markt. Das müsste nicht sein, falls forschende Hersteller schon bei der Entwicklung potenziell allergene Strukturen vermeiden.