In welcher Form die chronische Borreliose existiert, ist medizinisch umstritten. Trotzdem bietet die Alternativmedizin eine vermeintlich einfache Therapie an – die Hyperthermie. Doch die ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich.
„Fast immer, wenn eine chronische Borreliose mit ausschließlich unspezifischen Symptomen diagnostiziert wird, ist diese Diagnose falsch“, sagt Neurologie-Professor Sebastian Rauer. Diese Einschätzung teilten übrigens sämtliche medizinische Fachgesellschaften – nur nicht die Deutsche Borreliose Gesellschaft (DeuBo), DocCheck berichtete. Dr. Rauer ist an der Universitätsklinik Freiburg tätig. Die Borreliose gehört zu den wissenschaftlichen und klinischen Schwerpunktgebieten seiner Arbeit.
Ob die chronische Borreliose in irgendeiner Form nun existiert oder nicht – die Alternativmedizin hat eine einfache Behandlungsform parat. Eine Klinik in Bad Aibling bietet zum Beispiel die „Antibiotika-Augmentierte-Thermoeradikation“ an. Der Ablauf sieht folgendermaßen aus: Unter Sedierung mit Monitoring aller wichtigen Vitalparameter wird die Körpertemperatur zwei Stunden lang auf 41,6°C erhöht. Gleichzeitig erhalten Patienten Ceftriaxon.
Wie das funktionieren soll, erklärt das medizinische Sekretariat der Klinik auf Nachfrage: „Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Borrelien sehr thermolabil sind und bei einer Temperatur von 41,6 °C nahezu vollständig absterben. Weiterhin ist wissenschaftlich belegt, dass Antibiotika durch eine Temperaturerhöhung sehr stark aktiviert werden Ceftriaxon / Metronidazol z.B. pro Grad Celsius um den Faktor 16, d.h. in unserem Therapieverfahren der antibiotika-augmentierten Thermoeradikation haben wir zwei sehr aktive Therapien gekoppelt, wodurch wir einen maximalen Ansprecheffekt erreichen und die höchstmögliche Chance, die Borrelien aus dem Körper zu eliminieren.“
Die einzige Studie, welche die Wirksamkeit belegen soll, stammt allerdings aus dem Jahr 1995 und bezieht sich lediglich auf in-vitro-Experimente. Ob das Verfahren genauso auch in vivo funktioniert, ist nicht bekannt und wurde auch noch nie klinisch untersucht. Übertragen lassen sich die Ergebnisse jedenfalls nicht.
Ein der Redaktion bekannter Notfallmediziner sieht das Verfahren nicht nur methodisch kritisch: „Ich frage mich, ob wirklich eine Körperkerntemperatur von 41,6 °C bei den Patienten erreicht wird. Und ob diese Temperatur dann auch beim Erreger ankommt, halte ich ebenfalls für fraglich. Mir wird ganz anders, wenn ich mir vorstelle, einen Patienten zu sedieren und ihn anschließend derart zu erhitzen. Auch bei Gesunden kann das gefährlich sein. Immerhin steht der Körper unter enormem Stress, die Herzfrequenz geht hoch und der Körper versucht sich durch Schweißproduktion zu kühlen. Doch das geht nicht. Ist das Herz auch noch vorgeschädigt, können zum Beispiel Herzrythmusstörungen auftreten.“
Auch Infektiologin Dr. Nazifa Qurishi sieht die Therapie kritisch: „Es gibt keinerlei klinische Daten darüber und somit auch keine Evidenz dafür, ob diese Methode zwecks Therapie eine wirkungsvolle Methode ist und was für einen Schaden im Körper entstehen kann, wenn die Temperatur künstlich auf 41°C aufgeheizt wird.“ Da es keine klinischen Daten gebe, sei sie als Schulmedizinerin sehr skeptisch und könne die Therapie nicht empfehlen.
„Enzyme können im Rahmen der Denaturierung und Koagulation den Stoffwechsel nicht mehr aufrechterhalten. Es kommt zu Zellzerfall, dabei ist das Gehirn besonders gefährdet. Bei einer Temperatur über 41°C werden besonders im Gehirn die Mitochondrien zerstört, dadurch verlieren die Gehirnzellen ihre Funktion.“ Künstliche Hyperthermie sei aus ihrer Sicht medizinisch nicht vertretbar. „Das Risiko von Hirntod ist dabei zu groß“, so Dr. Qurishi.
Peer-reviewte Papers zur „Antibiotika-Augmentierten-Thermoeradikation“ gibt es tatsächlich keine. In einem Vortrag fasst Friedrich R. Douwes die Ergebnisse von 699 Patienten mit Post-Lyme-Syndrom sechs bis 12 Monate nach besagter Therapie zusammen. Er hat die Therapie entwickelt. Im Vortrag heißt es:
„Nach der Therapie schaut man also vorallem, ob sich das Wohlbefinden der Patienten gebessert habt, nicht unbedingt nach Laborparametern“, sagt der Notfallmediziner. „Da hat, denke ich, der psychologische Effekt eine sehr große Wirkung. Denn der Arzt nimmt sich Zeit für den Patienten, der sich zuvor nicht gut aufgehoben gefühlt hat. Und dafür bezahlen Patienten natürlich gerne.“
„Ich stelle mir aber die Frage, ob den Patienten wirklich geholfen werden soll, oder nicht doch eher das Geld im Vordergrund steht?“, fragt sich der Notfallmediziner. Das wollte auch die Redaktion wissen und schickte als interessierter Patient eine Kostenanfrage an die Klinik. Die Therapie lässt sich die Klinik offenbar sehr gut bezahlen. Die Kosten für einen zweiwöchigen ambulanten Aufenthalt in der Klinik mit zwei Hyperthermie-Behandlungen belaufen sich auf 9.500 Euro. Dafür bekommt der Patient das volle Borreliose-Behandlungspaket und erhält sogar noch mehr fragwürdige Therapien, u.a. Ozontherapien, Sauerstoffbehandlungen und Entgiftungsfußbäder. Von der Kasse werden die Kosten nicht übernommen – schließlich fehlen die wissenschaftlichen Beweise für den Wirknachweis. Bei knapp 700 Patienten, wie oben erwähnt, kommt da einiges an Geld zusammen.
„Das Prinzip dieser Hyperthermie-Behandlung klingt ja erstmal logisch“, sagt der Notfallmediziner. „Aber nicht alles, was in der Medizin logisch erscheint, macht auch Sinn.“
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Bildquelle: Elijah O'Donnell/Unsplash