Es ist extrem potent und hochgefährlich: Das synthetische Opioid Fentanyl ist auf dem besten Weg, weltweit das neue Heroin zu werden. US-Forscher nennen vier Strategien, um die Verbreitung zu stoppen.
In diesem dritten Teil der Fentanyl-Saga geht es um die besondere Gefahr sowie die rasante Ausbreitung der Droge, aber auch um realistische Lösungen für dieses Problem. Um herauszufinden, welche Ansätze sinnvoll sind, haben der US-amerikanische Wissenschaftler Bryce Pardo und seine Kollegen unzählige Experteninterviews geführt. In ihrem umfassenden Bericht Die Zukunft von Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden gehen sie der Frage auf den Grund, was diese Droge so besonders gefährlich macht und wie man ihre Ausbreitung aufhalten kann.
Was den Umgang mit Fentanyl so riskant macht: Sowohl Konsumenten als auch Dealer wissen oft nicht, was sie da in den Händen halten. Einer Studie von Tupper et al. aus dem Jahr 2018 zufolge herrscht eine große Diskrepanz zwischen dem, was Käufer glauben zu konsumieren und dem, was sie tatsächlich gekauft haben.
Bei 907 Proben, die das British Columbia Centre on Substance Use (BCCSU) und die Gesundheitsbehörde Vancouver Coastal Health analysierten, waren die Konsumenten davon ausgegangen, Heroin gekauft zu haben. Tatsächlich enthielten nur 17,6 Prozent der Proben in irgendeiner Form Heroin, dafür wurden über 90 Prozent der Proben positiv auf Fentanyl getestet.
Die Potenz, die manche synthetischen Opioide aufweisen, ist enorm und nicht mit anderen Drogen zu vergleichen. Da es so viele Varianten von Fentanyl gibt, ist es häufig schwer, festzustellen, welche man vor sich hat und ob sie mit einer weiteren Droge wie etwa Heroin gemischt wurde. Und somit ist häufig auch nicht klar, welche Potenz die Substanz eigentlich hat. Die Gefahr einer Überdosis ist dementsprechend höher als je zuvor.
Die Autoren gehen davon aus, dass Fentanyl eine Droge ist, die sich nicht nur in den USA, sondern auch in Europa permanent auf dem Drogenmarkt durchsetzen wird, auch wenn Estland bisweilen das einzige Land ist, in dem der Fentanylmarkt seit Jahren stabil ist. So gefährlich hochpotente Analoga wie Carfentanyl sind: Die Konsumenten scheinen dazuzulernen.
Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich die Zahl der mit der Droge in Verbindung stehenden Todesfälle in den untersuchten Ländern ansieht: So steigt in der Regel die Zahl der Todesfälle kurz nach Einführung und sinkt dann kontinuierlich wieder – trotz voranschreitender Ausbreitung der Droge.
Wie kann man die Situation entschärfen? Natürlich gibt es nicht nur eine einzige Maßnahme, um die Epidemie in den Griff zu kriegen. Pardo und seine Kollegen stellen gleich vier Maßnahmenblöcke vor.
1. Große Wissenslücken, die man füllen sollte
Zuallererst nennen sie bestehende Wissenslücken, die dringend gestopft werden müssen. In ihrem Bericht machen sie besonders auf die schlechte Dateninfrastruktur zu opioid-assoziierten Todesfällen aufmerksam. Es gibt keine Längsschnittstudie zu Menschen, die Heroin und Fentanyl anwenden. Darüber hinaus vertreten sie folgende These: Wer das System aufbrechen will, muss es im Detail verstehen. Hier tappe man aktuell noch im Dunkeln, geben die Autoren zu bedenken. Es würde etwa viel zu wenig Aufwand betrieben, „um das Verhalten der Lieferanten besser zu verstehen.“ Schließlich seien auch sie ein wesentlicher Faktor in der Welt des Drogenhandels und -missbrauchs.
Der erste Schritt müsse also sein, auf globaler Ebene dafür zu sorgen, dass eine einheitliche Datenberichterstattung zu synthetischen Opioiden gewährleistet ist. Nur ein differenzierter Blick auf die Situation ermöglicht es, nachzuvollziehen, welche Rolle synthetische Opioide in der lokalen sowie globalen Drogenszene tatsächlich spielen.
„Es gibt immer noch viele Staaten, die unspezifische Daten zu Todesfällen aufgrund einer Überdosis melden. Wenn man nicht weiß, wie häufig medizinische Behörden auf Fentanyl testen, ist es unmöglich, festzustellen, ob eine steigende Zahl an Überdosen mit synthetischen Opioiden auf genauere toxikologische Befunde oder auf ein größeres Angebot zurückzuführen ist“, argumentieren die Autoren.
Noch eine Forderung von Pardo und seinem Team: strengere Kontrollmechanismen und bessere Untersuchungsmöglichkeiten, um synthetische Opioide aller Art zu identifizieren, um den Drogenmarkt so gut es geht einzudämmen. Denn wie aus ihren Experteninterviews hervorgeht, stehen die Behörden derzeit vor einem neuen Problem: Durch die stetig neu entwickelten Varianten von Fentanyl wird es zunehmend schwerer, die Substanzen zu erkennen und nachzuweisen. Demzufolge müssten Kontrollbehörden besondere Aufmerksamkeit auf Intermediate wie NPP und 4-ANPP richten – Zwischenprodukte, die zur Herstellung von Fentanyl produziert und über Landesgrenzen transportiert werden.
3. Nach Importeuren und Großhändlern suchen
„Der Trend zu Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden wird vorangetrieben von den Anbietern, also ergibt es Sinn, das Angebot zu verkleinern“ schlussfolgern die Autoren. Aber wie soll das gehen? Härtere Strafen für Dealer und Überbringer würden wohl wenig bringen, vermuten sie. Auch die Produktion synthetischer Opioide, die größtenteils in China stattfindet, werde sich kaum verhindern lassen.
Es sei deshalb effektiver, Importeure und Großhändler ausfindig zu machen, als weiter unten in der Marktkette, bei den Straßendealern, anzusetzten, so das Fazit im Bericht. Das sei zielführender, als Straßenhändler zu bestrafen, die gar nicht genau wüssten, welche Chemikalie mit welchem Reinheitsgrad sie verkauften.
Als letzten Punkt nennen Pardo und seine Kollegen die vielen Internetseiten, die dazu dienen, Fentanyl in Umlauf zu bringen. „Die Möglichkeit, Drogen im Internet zu bestellen“ stelle ein enormes Problem dar, heißt es im Bericht. Hier müsse mehr Zeit reingesteckt werden, um solche virtuellen Orte aufzuspüren und zu blockieren oder zu schließen.
Angesichts der Tatsache, dass Fentanyl Schritt für Schritt den Drogenmarkt erobert, ist das synthetische Opioid in der breiten Gesellschaft noch ziemlich unbekannt. Deshalb ist es umso wichtiger, über die Droge und ihre Ausbreitung zu berichten.
Das war der dritte und letzte Teil der Fentanyl-Saga. Hier die ersten beiden Teile zum Nachlesen:
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