Ich lebe mit einem Widerspruch, der mich stört – und zwar jeden Tag. In meinem Privatleben schone ich die Umwelt. In meiner Praxis tu ich ihr weh.
Das Thema Umweltschutz treibt mich schon seit Jahren um. Manchmal fühle ich mich dabei nur etwas zwiegespalten zwischen meinem beruflichen und meinem privaten Dasein: Privat erledige ich fast alles mit dem Fahrrad, vermeide Müll, kaufe mit mitgebrachten Verpackungen ein, etc. Aber beruflich sieht das leider ganz anders aus.
Als Arzt fühle ich mich manchmal wie die Umweltsau schlechthin – hab aber für mich auch noch nicht viele Möglichkeiten gefunden, das zu ändern. Warum? Weil ich das Gefühl habe, dass es selten andere Möglichkeiten GIBT. Jetzt werden sicher einige sagen „Naja – sooo viel kann man als einzelner eh nicht machen, erstmal soll sich irgendwer anders bewegen. Bis dahin warte ich erstmal ab.“
Klar – allein werde ich die Welt nicht retten können. Aber irgendwer muss mal anfangen, drüber nachzudenken, sonst kann auch niemand anders folgen. Gerade in der Masse müssten wir Ärzte eigentlich schon etwas bewegen können. Bleibt zu hoffen, dass das auch nächstes Jahr beim Ärztetag angesprochen wird, wenn das Thema Klimawandel besprochen wird.
Aber fangen wir jetzt erstmal mit der Beschreibung des Ist-Zustands an. Ich versuche das mal an einem Beispiel-Tag zu erläutern. Und vielleicht hat jemand in den Kommentaren ja noch Tipps für mich, was man wie verbessern könnte?
Wie komme ich zur Arbeit? Leider meistens mit dem Auto. Wie schon in einem meiner anderen Artikel erwähnt ist der öffentliche Nahverkehr hier auf dem Land ziemlich schlecht. Daher ist Bus leider keine Option. Manchmal versuchen wir uns mit den drei Leuten, die aus meinem Heimatdorf kommen, abzusprechen, aber wegen etwas unterschiedlicher Arbeitszeiten (alles Teilzeit-Arbeitskräfte) geht das natürlich nicht so oft, wie man es gern hätte.
Von Frühling bis Herbst versuche ich 1-2x pro Woche das Pedelec zu nehmen, aber das geht nur, wenn keine Hausbesuche geplant sind und ich mich nachher nicht wegen der Kinder beeilen muss. Und das Wetter mitspielt. Denn leider ist es hier von Oktober bis April häufiger ziemlich kalt und auf Eis kann man schlecht Fahrrad fahren. Radwege werden nicht geräumt.
Wir besitzen extra nur ein Auto. Mein Mann hat eine Dauerkarte für den Bus, da er in der Stadt arbeitet und in der Richtung die Verbindung deutlich besser ist. Ein weiteres Auto (auch ein Elektroauto) würde allein durch seine Produktion jede Menge CO2 verschlingen. Deswegen wollen wir bei einem Auto bleiben.
Klar könnte ich versuchen, in einer anderen Praxis unterzukommen, die näher dran ist (oder in der Stadt, wo ich dann Bus fahren könnte), aber das finde ich eine unsinnige Rechnung. Denn da würden meine Patienten viel weiter fahren müssen und ich hätte das CO2 nur verschoben. Ich kann immerhin immer mal wieder Fahrrad fahren. Meine 80-jährige Patientin eher nicht.
In der Praxis angekommen, ziehe ich meine Arbeitskleidung an. Bei uns in der Praxis gilt: Diese sollte weiß sein. Hat mal einer versucht, weiße Arzt-Arbeitskleidung in Bio zu finden? Die meiste besteht aus konventionell angebauter Baumwolle mit einem variablen Anteil an Kunstfasern (Elasthan, Polyester, etc.). Bio? Fehlanzeige. Das Polyester gibt zusätzlich noch das Problem mit Mikroplastik bei jedem Waschgang.
In der Gastronomie gibt es da wohl inzwischen erste Anbieter, aber für Medizin hab ich noch keinen gefunden. Die einfachste Variante wäre wahrscheinlich, die Farbe weiß wegzulassen und nach Biobaumwoll-Kleidungsstücken in anderen Farben zu schauen. Und sie dann erstmal 100x entsprechend den Hygienevorschriften heiß probewaschen, ob das nicht nach kurzer Zeit einfach nur noch mistig aussieht, weil z.B. die Farbe ausbleicht. Hat das jemand schon mal ausprobiert und kann mir Erfahrungswerte geben? Ich wäre sehr dankbar.
Dann beginnt der Praxis-Alltag. Je nach Krankheitsbildern an dem Tag mit jeder Menge Einmal-Handschuhen, Verbandsmaterial in entsprechend viel Verpackung, Spritzen. Und gefühlt ein ganzer Wald, der jedes Mal für das ganze Papier draufgeht, das man an einem Tag benutzt. Und das man nicht mal für die Kinder zur Zweit-Bemalung benutzen kann wegen des Datenschutzes.
Generell haben wir wenigstens eine „papierlose“ Praxis, d.h. wir scannen die Befunde ein und versuchen dann meistens, sie den Patienten wieder mitzugeben. Gerade bei Patienten mit komplexer Vorgeschichte finde ich das sehr sinnvoll, damit a) die Information beim Patienten ist, falls er zum Notdienst muss und b) der Patient auch einen Überblick über seine Daten behält. Wenn uns die Befunde aber direkt zugeschickt werden, ist das oftmals nicht möglich, die Befunde aufzubewahren, um sie mitzugeben. Also landen sie leider im Schredder.
Mein Chef hat zumindest jetzt versucht, überall auf doppelseitige Bedruckung umzustellen, damit wir weniger Papier ausdrucken müssen. Recycling-Papier ist auch ein Ansatz, aber leider nur für Arztbriefe und Medikamentenpläne. Rezepte, Überweisungen, etc. laufen natürlich auf dem vorgegebenen Formular-Papier. Immerhin gibt es jetzt nur noch ein Formular-Papier in DIN A4 und eins in DIN A5 und nicht mehr wie früher gefühlte 20 verschiedene Formulare. Die dann trotz allen Bemühens oftmals falsch im Drucker lagen, sodass man nochmal drucken musste.
Ich versuche Papier zu sparen, indem ich die Patienten vor dem Ausdruck des Rezeptes nochmal frage, ob sie sonst noch etwas von ihrer Standard-Medikation benötigen. Und wirklich nochmal drüber zu lesen, um blöde Kleinigkeiten (falsches Kreuzchen im Formular) zu vermeiden. Aber auch ich muss zugeben, dass das nicht immer klappt.
Für die Umwelt ist aber nicht nur wichtig, womit man schreibt, sondern auch was man aufschreibt. Natürlich denkt man da erstmal nicht direkt an den Umweltaspekt, aber auch bei Medikamenten muss man sich klarmachen, dass unser Handeln direkte Folgen für die Umwelt hat. Schon 2014 veröffentlichte das Bundesumweltamt einen Artikel: „[...] Rückstände von Arzneimitteln werden inzwischen nahezu flächendeckend und ganzjährig in Fließgewässern, aber auch in Boden- und Grundwasserproben gefunden. […]“
Mal ehrlich: Hätte ich nicht vor Jahren mal einen Artikel über das Wasser-Arzneimittelproblem gelesen, hätte ich mir da nie viele Gedanken zu gemacht. Und bis heute muss ich gestehen, dass ich von kaum einem Medikament, dass ich regelmäßig verschreibe, weiß, wie schnell was zerfällt und wie gut es in der Umwelt abgebaut (oder im Klärwerk entfernt) werden kann. Natürlich versuche ich immer wieder, meine Patienten zu einem gesunden Lebensstil zu animieren, unnötige Antibiotikatherapien zu vermeiden und wenn mal ein Patient fragt, erkläre ich ihm auch, wie er seine Medikamenten am besten entsorgt (Hausmüll oder Schadstoffmobil). Informationen zur Entsorgung der Medikamente gibt es übrigens hier.
Aber wenn ich nun doch verschreiben muss – was dann? Ehrlich gesagt kann ich diese Frage nur sehr unvollständig beantworten. Idealerweise nimmt man jeweils einen Wirkstoff, der zügig in der Umwelt abgebaut werden kann. Aber welcher ist das jeweils? In der Recherche für diesen Artikel habe ich mal versucht, Informationen bezüglich der Umweltverträglichkeit einzelner Medikamente zu finden. Ich habe aber leider nicht viel Brauchbares finden können. In einem Artikel ist eigentlich nur dieses Beispiel genannt: Candesartan ist deutlich umweltverträglicher als Valsartan. Das hilft mir jetzt nur wenig weiter. Diclofenac ist wohl auch sehr umweltschädlich, heißt es vom Umweltbundesamt. Aber ist denn Ibuprofen besser?
Am besten ist und bleibt da natürlich das therapeutische Gespräch. Es braucht wenig (Umwelt-)Ressourcen, spart Medikamente, ist aber natürlich nicht in jeder Situation ausreichend. So bleibt dann doch oft nur der Griff zum Rezept.
Und so geht es weiter: Gummihandschuhe sind oft aus hygienischen Gründen gefordert, aber auch klassische Wegwerf-Artikel. Ich erschrecke mich auch regelmäßig bei komplexeren Verbänden (z.B. Wunden an diabetischen Füßen), was da schnell an Verpackungsmüll anfällt. Aber gerade die Hygiene bei solchen Wunden ist halt extrem wichtig. Da kann ich schlecht sparen – Umweltschutz hin oder her. Ich kann nur hoffen, dass bald verträglichere Materialien gefunden werden.
Man sieht also: Unter Umweltaspekten ist das gar nicht mal so leicht mit dem ärztlichen Beruf. Aber ich glaube, dass wir etwas ändern müssen: So, wie wir auch bei jedem Patienten überlegen, wie wir ihm am besten helfen können, so sollten wir es doch auch mit unserem Planeten tun, oder? Auch wenn die Umsetzung oftmals unendlich schwierig ist: Primum non nocere – zuerstmal nicht schaden. Das gilt für unsere Patienten – und für unsere Umwelt.
Bildquelle: RitaE, pixabay