Macht schmutzige Luft uns psychisch krank? Das zumindest legt das Ergebnis einer umfassenden Studie nahe, die beeindruckend daher kommt. So soll schlechte Luftqualität etwa das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, erhöhen. Ich bin verblüfft, aber skeptisch.
Während die genetische Komponente psychischer Störungen seit Jahrzehnten Gegenstand intensiver Forschung ist, fristen Studien zu exogenen Einflüssen eher ein Schattendasein. Auch in der Behandlungs- und Gutachtenssituation stehen bei viele Kollegen jene Faktoren im Vordergrund, die in der Persönlichkeit des Patienten verankert sind. Nämlich dann, wenn es darum geht, die Stressoren zu beleuchten, die zur Krankheitsentstehung beigetragen haben.
Selbst bei augenfälligen Mobbing-Konstellationen am Arbeitsplatz hört oder liest man viel über die dem Konflikt zugrunde liegenden Persönlichkeitseigenschaften des Opfers. Das wäre nicht schlimm, wenn nicht gleichzeitig die von außen kommende schädigende Einwirkung eines Täters im gleichen Atemzug relativiert würde.
Insofern kann ich Studien nur willkommen heißen, die einen Einfluss äußerer Faktoren auf die Entstehung einer psychischen Störung untersuchen. Allerdings lauert der Teufel hier wie so oft im Detail.
In der Fachzeitschrift PLOS Biology ist aktuell ein Artikel von Atif Khan et. al. aus Chicago erschienen, der sich mit dem Einfluss von Luftverschmutzung auf die Entstehung psychischer Störungen befasst. Da hört man in Zeiten gesteigerten Umweltbewusstseins natürlich genau hin! Macht die verschmutzte Luft uns am Ende alle psychisch krank? In der Tat haben diverse Online-Medien diese Nachricht in eben dieser Weise verbreitet, meist mit Fragezeichen. Und das ist auch absolut berechtigt, wie wir sehen werden.
Die der Studie zugrunde liegenden Daten kommen mit der geballten Wucht großer Zahlen daher. Ausgewertet wurden in den USA Krankenversicherungs-Unterlagen von 151 Millionen Menschen. Untersucht wurden dabei die Häufigkeiten von vier psychischen Erkrankungen: Bipolare Störung, Schizophrenie, schwer ausgeprägte Depression und „Persönlichkeitsstörung“. Daneben wurden auch noch Epilepsie und Morbus Parkinson unter die Lupe genommen. Diese Daten stellten die Untersucher in Relation zur Luftqualität am Wohnort der Patienten. Außerdem verglichen sie Variablen wie Wasserqualität und Wettereinflüsse. Diese Variablen wurden in Septilen eingeteilt, es gab also sieben Abstufungen von sehr guter Luft bis sehr schlechter Luft.
Das Ergebnis: Eine schlechte Qualität der eingeatmeten Luft war korreliert mit einem sechsprozentig erhöhten Risiko für schwere Depression. Das Risiko, an einer bipolaren Störung zu leiden, war dagegen um 27 % erhöht!
Erwartungsgemäß finden sich die schlechten Umwelteinflüsse in den Ballungszentren großer Städte, während das Landleben eben eine bessere Luftqualität mit sich bringt.
An dieser Stelle fängt man als Psychiater dann aber schon an zu grübeln. Wie war das noch mit der so genannten „Drift-Hypothese“? Der Umstand, dass in Großstädten ein höherer Anteil schizophrener Patienten zu finden ist, wurde ja immer schon gern diskutiert. Macht die Großstadt psychotisch? Oder ist es so, dass mehr Patienten mit Schizophrenie dort leben, weil die Behandlungs-, Betreuungs- und Unterbringungsmöglichkeiten dort besser sind?
Mein Doktorvater an der Uni München pflegte an dieser Stelle immer grantig dreinzuschauen und zu grummeln: „Alles Unsinn, die Schizophrenen werden von der Stadt angezogen, weil die dortige Anonymität und fehlende menschliche Vernetzung es ihnen leichter machen, in ihrer autistisch wahnhaften Innenwelt zu leben.“ Als Anfänger konnte ich damit nicht viel anfangen, später verstand ich, was er meinte.
Die erwähnte Studie bringt aber nicht nur Daten aus USA, sondern auch aus dem dänischen Gesundheitssystem. Hierbei wurden die Unterlagen von 1,4 Millionen Versicherten ausgewertet, die zwischen 1979 und 2002 geboren wurden. Also nicht solche Hammerzahlen wie in USA, aber doch eine gewaltige Menge. Und die Ergebnisse waren noch spektakulärer. Man höre und staune: Nicht nur war, ähnlich wie in den USA, das Risiko für bipolare Störung um 24 % erhöht, bei der Schizophrenie waren es sogar 148 % und bei Persönlichkeitsstörung 162 %!
Nachdem die Schadstoffe in ihrer Zusammensetzung vor allem in der USA-Studie nicht näher differenziert waren, könnte dies neben länderspezifischen genetischen Faktoren den Unterschied zwischen den beiden Ergebnissen ausmachen, mutmaßen die Autoren. In Bezug auf vorliegende Tierversuche überlegen die Untersucher, ob durch die Luftverschmutzung bedingte entzündliche Prozesse im Gehirn für die Häufung beispielsweise der bipolaren Störung verantwortlich sein könnten.
Mir selbst geht es so, dass ich bei dieser Studie gleichermaßen verblüfft wie auch skeptisch reagiert habe. Schlechte Luft erzeugt manisch-depressive Störungen? In Dänemark gar Schizophrenie und Persönlichkeitsstörung? Nun habe ich unter anderem deshalb keine Uni-Karriere eingeschlagen, weil mir Statistik und Studiendesign schon immer sehr fremd waren. Mit anderen Worten, ich bin nicht der berufenste Kritiker vorliegender Studien, weil ich die dahinter stehende Systematik nicht ausreichend einschätzen kann.
Glücklicherweise gibt es für dieses Vorhaben aber Profis. In diesem Fall ist das John Ioannidis vom Meta-Research Innovation Center at Stanford (METRICS) and Stanford Prevention Research Center, Departments of Medicine, Health Research and Policy, Biomedical Data Science, and Statistics, Stanford University, Stanford, California. Diese beeindruckende Verortung heißt nichts anderes als: Der Mann kennt sich mit so was aus, der macht nichts anderes.
Ioannidis hat dann auch eine umfangreiche Kritik an der Studie vorgebracht. Er beklagt ernsthafte Defizite und eine lange Reihe möglicher Verzerrungen. Nur für die bipolare Störung sei das Ergebnis übereinstimmend, allerdings seien die Ergebnisse statistisch nicht zufriedenstellend abgesichert.
Die Größe des Datensatzes beeindruckt ihn auch nicht, er schreibt, dass die Analyse solch großer Datenmengen durch fundamentale Fehler bei den Daten selbst zu absurden Ergebnissen führen könne. So sei bei der USA-Studie die Luftexposition der Jahre 2000 bis 2005 gemessen worden, die psychiatrischen Diagnosen würden aber aus den Jahren 2003 bis 2013 stammen.
Auch viele andere Besonderheiten der Studie, z.B. die äußerst ungewöhnliche Einteilung der Umweltvariablen in Septilen, werden kritisiert. Statistisch sei das alles nicht so überzeugend, dass man es so stehen lassen könne. Ioannidis lobt die Autoren für ihre Herangehensweise, meint aber, dass die Daten in jedem Fall noch von weiteren Autoren untersucht und statistisch aufbereitet werden sollten, bevor man von gesicherten Ergebnissen ausgehen könne.
Mein Fazit: Marktschreierischen Meldungen der Presse werde ich weiterhin mit Misstrauen begegnen, auch wenn es sich um Studienergebnisse handelt. Und ein zweites Fazit: Die Wissenschaft scheint mit dieser Tradition öffentlicher Darstellung von Daten und Design sowie öffentlicher Kritik aus berufenem Munde weiterhin auf einem sehr guten Weg zu sein.
Was machen wir jetzt mit den Ergebnissen? Ich freue mich sehr, dass umweltbezogene Einflüsse vermehrt in psychiatrische Sachverhalte einfließen. Und ich bin mir der Gefahr bewusst, dass auch das instrumentalisiert, profanisiert und verdreht dargestellt werden kann.
Peter Teuschel
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