2,5 Prozent Honorarabzug drohen TI-Verweigerern ab März 2020, wenn es nach Gesundheitsminister Spahn geht. Jetzt kommt Gegenwind vom Gesundheitsausschuss des Bundesrates. Statt verschärften Sanktionen wären stärkere Anreize sinnvoller, um die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben.
Apps auf Rezept, höhere Strafen für TI-Verweigerer und mehr Tempo bei der Digitalisierung – vor der Sommerpause hat das Regierungskabinett den Entwurf zum „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) verabschiedet. Nun muss das Gesetz noch mehrere Lesungen und Anhörungen durchlaufen, bis das Parlament, der Bundesrat und der Bundespräsident es schließlich absegnen. Reichlich Zeit also für inhaltliche Kritik und Verbesserungsvorschläge von Ärzteverbänden wie dem NAV-Virchow-Bund. Diese Manöverkritik ist auch dringend notwendig. Denn wenn der TI-Rollout klappen soll, sind 3 Faktoren wichtig, die im Gesetz aktuell zu kurz kommen.
Mit dem DVG will Spahn Gesundheits-Apps leichter in das bislang stark abgeschottete GKV-System integrieren. Ärzte sollen Apps in Zukunft flächendeckend zu Lasten aller Kassen verschreiben können. Die Hersteller müssen erst nach einem Jahr die Evidenz ihrer Medizinprodukte nachweisen. Zum Start ist nur eine einfache Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorgeschrieben.
Das riecht nach systemfremder Wirtschaftsförderung. Versichertengeld, das eigentlich für die Versorgung gedacht ist, wird teilweise zweckentfremdet, um App-Entwicklungen zu finanzieren. Das Geld für die einjährige Probephase sollte besser aus Wirtschaftsfördertöpfen kommen.
Klar, manche Apps können die Versorgung verbessern. Aber viele andere werden an diesem Versprechen scheitern. Darum ist die Prüfung im Vorfeld so wichtig. Wenn das BfArM Gesundheitsapps prüft, dann muss es unbedingt ärztlichen Sachverstand mit einbeziehen. Ein unabhängiger ärztlicher Beirat sollte Kriterien für medizinische Evidenz entwickeln. Die WANZ-Kriterien müssen auch für digitale Anbieter gelten.
Es wäre auch falsch, wenn Krankenkassen digitale Versorgungsinnovationen einseitig fördern. Damit entsteht eine Schieflage im System. Kassen versorgen keine Patienten und sollten daher auch nicht ohne Stimme der Leistungserbringer entscheiden dürfen, welche Gesundheitsangebote für die Patienten zur Verfügung stehen.
Spahn will auch die Daumenschrauben bei all jenen Praxisinhabern ansetzen, die sich immer noch nicht an die Telematik-Infrastruktur (TI) angeschlossen haben. Aktuell werden Verweigerer noch mit 1 Prozent Honorarabzug bestraft. Ab März 2020 sollen es aber 2,5 Prozent werden – und vermutlich wird das Bußgeld in der Folge weiter erhöht. Erst letzte Woche allerdings hat sich der Gesundheitsausschuss des Bundesrates gegen weitere Kürzungen ausgesprochen. Der Grund: Die Probleme beim Anschluss an die TI lägen „sehr häufig nicht in der Verantwortung der Ärzte“.
Bislang sind geschätzt noch nicht einmal drei Viertel aller Kassen-Arztpraxen in Deutschland an die TI angeschlossen. Dabei sind Ärzte im Grunde keine Technologie-Verweigerer. Aber die TI hat eine lange Geschichte voller Pannen: Lieferschwierigkeiten, illusorische Kostenmodelle, Machtdemonstrationen durch Kartelle von Herstellern und PVS-Anbietern, fragwürdige Installationspraktiken, unklare Haftungsrisiken… Kein Wunder, dass die Ärzteschaft skeptisch ist. Zurückhaltung ist aber keine Verhinderung.
Wenn die Digitalisierung im Gesundheitsweisen Erfolg haben soll, geht das nur über das Vertrauen der Anwender. Und das sind neben den Patienten eben auch die Ärzte, Apotheker, Therapeuten und Co. Ihr Vertrauen gewinnt man aber nun mal nicht durch immer schärfere Sanktionen, Bürokratie und wöchentliche Meldungen über Datenschutzpannen, sondern durch Anreize und sichtbare Vorteile.
Deshalb plädiert der Verband der niedergelassenen Ärzte für einen anderen Weg: Das Automobil hat sich seinerzeit auch nicht durchgesetzt, weil die Besitzer von Pferden bestraft wurden. Getreu dem Motto „Innovation muss attraktiv sein“ und angesichts der Fehler aus der Vergangenheit schlagen wir einen Drei-Punkte-Plan vor:
1. Vertrauen wiederherstellen
Zunächst müssen alle Sanktionsdrohungen zurückgenommen werden. Stattdessen sollen Anreize statt Strafen die Bereitschaft zur Anbindung an die TI erhöhen. Die Krankenkassen müssen alle Kosten übernehmen, die im Zusammenhang mit der TI-Anbindung den Praxen entstehen. Dazu gehört auch die Anschaffung neuer und zusätzlicher Technik sowie die Absicherung der Praxen, beispielsweise mit Prämien für spezielle Cyber-Versicherungen.
2. Verantwortliche benennen
Für das Chaos bei der Bereitstellung von Konnektoren und bei deren Installation ist in erster Linie die Industrie verantwortlich. Deshalb muss die Industrie stärker in die Verantwortung und in die Haftung genommen werden. Nur wenn Industrie und PVS-Hersteller für ihr Handeln haften, steigt deren Interesse an einer sicheren Umsetzung.
3. Vorteile sichtbar machen
Ärzten muss verdeutlicht werden, wo und wie sie durch digitale Entwicklungen und Techniken von arztfremder Tätigkeit entlastet werden und sich somit mehr auf die ärztliche Tätigkeit konzentrieren können. Wenn beispielsweise valide Informationen schneller bereitstehen, können Fehler reduziert werden. Zudem bedeutet der Abbau von Bürokratie mehr Zeit für Patienten.
Haben Sie noch mehr Ideen? Hinterlassen Sie uns einen Kommentar oder engagieren Sie sich berufspolitisch im Verband der niedergelassenen Ärzte.
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