MEIN KNIFFLIGSTER FALL | Wegen einer zunehmenden glutealen Raumforderung sucht Herr Z. die Spezialambulanz auf. Er ist seit 2008 Morbus-Bechterew-Patient. Aber hängt das Problem tatsächlich mit seiner chronischen Erkrankung zusammen?
Herr Z. ist 48 Jahre alt. Seit 2008 hat er eine bekannte Spondylitis ankylosans, auch bekannt als Morbus Bechterew, weswegen er in fachärztlicher Behandlung ist. Er ist ledig, Kellner, gebürtiger Österreicher ohne rezente Auslandsaufenthalte.
Insgesamt eine eher unauffällige Anamnese, wenn man von seinem Bechterew absieht. Dieser wurde zwischen 2014 und 2016 mit Enbrel (Etanercept) und seither mit Humira (Adalimumab) behandelt – beides TNF-Alpha-Antagonisten.Im Juni 2017 fällt dem Patienten eine zunehmende, nicht schmerzhafte Raumforderung links gluteal auf. Er sucht seine vertraute Spezialambulanz wegen dieser Raumforderung auf.
Als erstes wird eine Ganzkörperknochenszintigraphie durchgeführt. Diese zeigt eine verstärkte Durchblutung im Bereich der Raumforderung links gluteal sowie einen erhöhten Knochenumbau im Bereich des Os Ischii als auch der Clavicula links. Es folgt eine MRT der Glutealregion. Das Ergebnis: Es zeigt sich neben einem Ödem des Os Ischii eine abgekapselte Flüssigkeitsansammlung von 6x4, 5x4 cm. Zusätzlich wird ein Röntgen des Schlüsselbeins angefertigt. Der Befund beschreibt eine alte Fraktur ohne weiteren Krankheitswert. Was nicht im Befund beschrieben wird, jedoch auf dem Bild deutlich zu erkennen ist, sind an den mitabgebildeten Lungenabschnitten unzählige streifige aber vor allem noduläre Veränderungen.
Die erhobenen Befunde werden als unbedenkliche mögliche Komplikation des Morbus Bechterews eingestuft und Herr Z. zu einer Verlaufskontrolle in drei Monaten wiederbestellt, MRT und Labor inklusive. Letzteres zeigt bis auf minimal erhöhte Entzündungsparameter keine Auffälligkeiten. Die Raumforderung ist weiterhin progredient, weiterhin nur wenig schmerzhaft. Die MRT wird als „atypische Myositis bei Mb. Bechterew“ interpretiert. Da ein Weichteilsarkom hier jedoch nicht ganz auszuschließen ist, wird bioptisch Material entnommen. Die Biopsie ergibt ein histiozytär-granulomatöses Zellbild mit Nekrosen, laut Befund der Pathologie vereinbar mit einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis. Eine maligne Genese der glutealen Raumforderung wird hiermit also ausgeschlossen, das behandelnde Personal sieht vorerst keinen weiteren Handlungsbedarf.
In den kommenden Wochen beklagt Herr Z. zunehmende Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Husten und Belastungsdyspnoe. Hinzu kommt nun Nachtschweiß, sowie ein Gewichtsverlust von acht Kilogramm innerhalb von sieben Wochen. Erneut stellt er sich in der behandelnden Ambulanz vor.Bei erneutem Verdacht auf ein bösartiges Geschehen wird der Patient auf eine operative, offene Materialentnahme vorbereitet.
Erst jetzt im Rahmen der OP-Freigabe wird ein Lungenröntgen durchgeführt. Dieses zeigt über die gesamte Lunge verbreitet noduläre Veränderungen, links apikal könnte sogar eine Kaverne vermutet werden. Das Bild ist vergleichbar mit dem auffälligen Schlüsselbeinröntgen vor einem halben Jahr. Diesmal wird, trotz des jungen Alters und Nieraucher-Status, der Verdacht eines Lungenkarzinoms gestellt und eine Computertomographie durchgeführt. Auch hier sind die fleckigen Veränderungen und eine apikale Kaverne erkennbar, weiters zeigen sich auch vergrößerte Lymphknoten. Die Tumormarker sind jedoch negativ, weswegen Herr Z. an eine spezielle Lungenabteilung zur weiteren Abklärung überwiesen wird.
Schließlich wird hier, aufgrund der Bildgebung und Vormedikation die Verdachtsdiagnose einer Tuberkulose gestellt. Im Sputum kann mittels PCR dieser Verdacht innerhalb weniger Stunden bestätigt und damit eine entsprechende Therapie eingeleitet werden.
Seitdem Herrn Z. die gluteale Schwellung erstmals aufgefallen ist, sind knapp 6 Monate vergangen. Viele Untersuchungen wurden durchgeführt, Malignome mehrfach ausgeschlossen. Der Morbus Bechterew als bekannte Grunderkrankung wird immer wieder für die Befunde verantwortlich gemacht. Fazit: Die Tuberkulose wird als Erkrankung „der Ferne“, der Armut und des Krieges betrachtet. Sie war und ist aber auch bis heute in unseren Breitengraden präsent. Gerade bei Patienten, welche eine Biologika-Therapie erhalten, sollte man die Tuberkulose lieber einmal mehr als Differentialdiagnose in Erwägung ziehen. Vor allem bei „seltsamen Krankheitsverläufen“.
Dieser Beitrag ist von Beata Morajda. Sie hat an unserem DocCheck-Wettbewerb Dein kniffligster Fall teilgenommen: Ärzte sollten von einem Fall erzählen, der sie besonders beschäftigt hat. Uns erreichten viele spannende Beiträge, einer davon ist dieser hier.
Bildquelle: Cover of Leonard Trask - The wonderful invalid, Wikimedia commons