Vor zehn Jahren tauchte er plötzlich auf. Woher er kam, weiß niemand. Experten sagen, dass Candida auris zur ernsthaften Bedrohung werden wird. DocCheck hat mit einem Mikrobiologen gesprochen.
„Fatal Fungus“ nennt ihn die New York Times. Die Rede ist von Candida auris, einem Hefepilz, der vor knapp zehn Jahren entdeckt wurde. Welches Ausmaß seine Verbreitung noch annehmen wird, weiß derzeit noch niemand. Die Frage ist: Was wissen wir bisher?
Für die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC war schon im Jahr 2016 klar: Candida auris hat das Potenzial, zu einer ernsthaften Bedrohung zu werden. Zur angedrohten Epidemie kam es zwar noch nicht, aber inzwischen beläuft sich die Zahl der Infektionen in den USA auf knapp 800, Stand September 2019. Ähnliche Zahlen hat auch die europäische Gesundheitsbehörde ECDC veröffentlicht.
In den Jahren 2013 bis 2017 wurde der Pilz bei über 600 Personen nachgewiesen. Zuverlässige Angaben zur Letalität gibt es nicht. Während bei Ausbrüchen in Großbritannien keine Todesfälle auftraten, starben bei einem Ausbruch in einem spanischen Krankenhaus 17 von 41 Patienten mit einer C.-auris-Candidämie.
Länder, in denen Infektionen mit Candida auris gemeldet wurden, Stand 31.8.2019. © CDC
Was Wissenschaftler seit der Entdeckung umtreibt, ist der Ursprung von Candida auris. Der ist bislang nämlich rätselhaft. „Woher der Pilz als neuer Infektionserreger kommt, weiß niemand“, erklärt Prof. Oliver Kurzai. Der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie leitet das Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen (NRZMyk) in Jena. Er sprach exklusiv mit DocCheck.
Für viel Aufsehen sorgten Wissenschaftler kürzlich mit folgender Hypothese: Schuld an der Ausbreitung des Pilzes soll der Klimawandel sein. Mit der Erderwärmung musste sich C. auris an höhere Temperaturen anpassen und ist deswegen nun auch in der Lage, den Menschen zu besiedeln. So zumindest die Theorie. „Das ist zwar eine interessante Idee, aber Belege dafür gibt es keine“, erklärt Kurzai.
Der bis dahin unbekannte Pilz wurde 2009 im Ohrabstrich einer Japanerin das erste Mal entdeckt. Der Mikrobiologe Kazuo Satoh taufte den Pilz Candida auris, lateinisch für Ohr. So wäre die Entdeckung dieser neuen Art vermutlich ohne weitere Beachtung in die Biologiebücher eingegangen. Wären nicht gleichzeitig ähnliche Fälle in Südkorea aufgetaucht. Ein einjähriger Junge und ein 74-Jähriger Mann waren ebenfalls mit dem Pilz infiziert und starben. Eine Verbindung zwischen den Patienten aus Südkorea und Frau aus Japan gab es nicht. Danach tauchten plötzlich weitere Fälle auf – und zwar beinahe gleichzeitig in verschiedenen Regionen der Erde, unter anderem in Indien, Südafrika, Brasilien und Spanien. Auch hier schien es keine Verbindung zwischen den Patienten gegeben zu haben.
Tatsächlich sind die Pilzstämme genetisch von Kontinent zu Kontinent verschieden. Das deutet darauf hin, dass er nicht an einem Ort entstanden ist und sich von dort weltweit ausgebreitet hat. Eher scheint es so, dass C. auris in verschiedenen Regionen der Welt gleichzeitig damit begonnen hat, Menschen zu infizieren. Warum ausgerechnet dieser Pilz gerade jetzt damit begonnen hat, ist ungeklärt.Gezüchteter Candida-auris-Stamm auf einer Agarplatte © CDC
Dabei unterscheidet sich Candida auris gar nicht so sehr von bekannteren Verwandten wie C. albicans. Doch in zwei Punkten sind die Unterschiede gravierend: „Zum einen ist Candida auris resistenter und kann sich auch schneller Resistenzen aneignen als verwandte Arten“, so Prof. Kurzai. „Der andere Punkt ist, dass er sich schnell von Mensch zu Mensch überträgt. Diese Eigenschaft ist total ungewöhnlich und unerwartet für Candida.“
Für immunsupprimierte Patienten kann eine Infektion mit dem Pilz gefährlich werden. Er führt zu einer invasiven Candidiasis mit Fungämie und Befall des ZNS sowie innerer Organe. Die Behandlung erweist sich oft als schwierig, da der Erreger gegenüber zahlreichen Antimykotika resistent ist. Um die Ausbreitung zu verhindern, sind folgende Maßnahmen notwendig:
Noch sind in Deutschland nur Einzelfälle von asymptomatischen Besiedlungen und Infektionen bekannt. Ob es in Zukunft ähnliche Ausbrüche wie in den USA und in Großbritannien geben wird, darüber kann man nur spekulieren, sagt Prof. Kurzai. Doch man müsse vorbereitet sein. Das Problem sei ja nicht nur die Resistenz gegenüber vielen Antimykotika. „Diagnostische Labore müssen Candida auris richtig identifizieren können“, erklärt Prof. Kurzai. Nur so könne man richtig handeln und einen Ausbruch verhindern. Doch das sei immer noch ein Problem.
Zwar schreibt das Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen in einer aktuellen Mitteilung, dass in einem nationalen Ringversuch 2018 85 Prozent der 233 teilnehmenden Labors in der Lage waren, C. auris korrekt zu identifizieren. Bei einem ähnlichen Versuch in Belgien konnten die Labore nur 58 Prozent erreichen. „Doch dass wir in 85 Prozent der Fälle richtig identifiziert haben, ist nicht unbedingt ein Grund zur Freude“, gibt Kurzai zu Bedenken. „Das ist immer noch wenig, lieber wären mir 98 Prozent. Wir dürfen nicht erst damit anfangen, die Labore auf einen Ausbruch von Candida auris vorzubereiten, wenn er schon da ist. Wir müssen jetzt handeln“, meint Kurzai. Candida auris als „Killerpilz“ zu betiteln findet er zwar auch übertrieben. „Es ist aber insofern gut, als dass dadurch Aufmerksamkeit geschaffen wird.“ Gleichzeitig mahnt er aber auch vor übertriebener Sorge und Panikmache. „Niemand sollte Angst vor Candida auris haben, wenn er ins Krankenhaus muss.“
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