Physiologische Barrieren hindern Arzneistoffe daran, das Gehirn als Wirkort zu erreichen. Das schränkt die Therapie neurologischer Erkrankungen stark ein. Beschichtete Nanodiamanten könnten die Behandlung revolutionieren.
Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) dient hauptsächlich dazu, schädliche Substanzen vom Gehirn fernzuhalten. Doch auch therapeutisch wirksame Moleküle werden auf dem Weg dorthin aufgehalten. Das führt unter anderem dazu, dass die Therapie neurologischer Erkrankungen – die sowieso für ihre komplexe Pathogenese bekannt sind – erschwert wird. Wie kann die Behandlung verbessert werden? Verschiedene Forschergruppen beschäftigen sich seit Jahren mit dieser Frage.
So arbeiten beispielsweise pharmazeutische Technologen der Universität Heidelberg daran, die Blut-Hirn-Schranke auf einem Chip nachzubilden. So sollen Versuche zum Arzneimitteltransport ins Gehirn unter standardisierten Bedingungen auch ohne Tierexperimente ermöglicht werden. Mithilfe optischer, elektrischer und elektrochemischer Sensoren wollen die Forscher den Fluss von Substanzen messen und die Unversehrtheit der Barriere beurteilen.
Eine andere Richtung schlugen Wissenschaftler der Universität Mainz ein. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt stellen sie dar, wie mit Albumin umhĂĽllte biokompatible Nanodiamanten Hirnzellen ohne Zwischenstopps erreichen können. Dazu nutzten sie denaturiertes Human-Serumalbumin und bereiteten es in mehreren Schritten fĂĽr die Analyse auf. Die Nanodiamanten sind dabei als Modifikationen von Kohlenstoff im Nanobereich (28 nm, 37 nm) zu verstehen. Im Inneren befinden sich einzelne Atome des fĂĽnfbindigen Stickstoffs anstelle des vierbindigen Kohlenstoffs. Im Gitter entstehen Löcher und die Nanodiamanten lassen sich durch Laser oder Magnetresonanztomographien anregen: Sie leuchten.Â
Albumin besteht aus mehreren Hunderten miteinander verknĂĽpften Aminosäuren, darunter Aspartat und Glutamat. FĂĽr die chemischen Reaktionen sind in molekularer Hinsicht die Carboxylgruppen von groĂźer Bedeutung, denn an diesen Stellen beginnt der Herstellprozess.Â
Im Rahmen der Kationisierung passiert folgendes: Glutamat- und Aspartat-Seitenketten von Albumin wurden mit der Base Ethylendiamin umgesetzt und so kationisiert. Das heiĂźt, ein positiv geladenes MolekĂĽl entstand. Es wechselwirkt gut mit Nanodiamanten; diese tragen negative Ladungen auf der Oberfläche.Â
Im zweiten Schritt fügten die Wissenschaftler Polyethylenglykol an 20 der 159 Aminogruppen des Albumins hinzu („PEGylierung“). Das Ziel der Forscher: eine hohe kolloidale Stabilität in den biologischen Lösungen zu erreichen und die Proteinbindung im Plasma zu reduzieren.
Bei ihren Versuchen zur Passage der Blut-Hirn-Schranke konnten die Wissenschaftler eine Transzytose und einen direkten Zell-Zell-Transport durch Nanoröhren beobachten. Zudem konnten sie die Biopolymere auf der Ebene einzelner Zellen verfolgen sowie in Neuronen und Astrozyten in vivo identifizieren. Die Studienautoren gehen daher davon aus, dass beschichtete, fluoreszierende Nanodiamanten mehrere Aufgaben erfüllen könnten:
Der Fachbegriff dafĂĽr lautet Nanotheranostics. Hieraus lässt sich die erhoffte Kombination von Therapie und Diagnostik mittels Nanomaterial bereits ablesen. Experten zufolge haben Nanotheranostics das Potenzial, die Therapie neurologischer Erkrankungen zu revolutionieren. Dementsprechend werden sie als „Medizin der Zukunft im stationären Bereich“ gesehen. Sie könnten Ă„rzten eines Tages ermöglichen, individuell auf die Erkrankung des Patienten einzugehen und genau die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt auszuwählen.Â
Dazu werden unter anderem die genetische Prädisposition bestimmt und das Krankheitsstadium charakterisiert. Auch die Eignung und Wirksamkeit eines Medikaments für eine bestimmte Krankheit soll künftig mithilfe von Nanotheranostika individuell bestimmt werden können. Ausnahmsweise kann man es also unironisch sagen: Schöne neue Welt.
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In Zusammenarbeit mit Michael van den Heuvel.Bildquelle: Yuri Bodrikhin, unsplash