Von wegen „The same procedure as every year“: Wissenschaftler haben in letzter Zeit Belebendes, Berauschendes und Knallendes gründlich untersucht. Nicht immer bleibt es beim Genuss ohne Reue, lautet ihr Fazit. Ein Blick hinter die Kulissen beliebter Silvesterbräuche.
31. Dezember, 20 Uhr abends. Die Silvesterparty läuft quälend langsam an. Noch vier Stunden bis zum Jahreswechsel. Jetzt nur nicht schlapp machen, nicht einschlafen. Gut, dass es Energy-Drinks gibt! Die kleinen Döschen haben es in sich.
Nach dem Genuss von sieben Energy-Drinks kam es bei einem Australier zum Herzstillstand. Und vier Amerikaner erlitten zeitversetzt den ersten epileptischen Anfall ihres Lebens. Derartige Einzelfallberichte helfen kaum weiter, dachte sich João Joaquim Breda vom World Health Organization Regional Office for Europe in Kopenhagen. Zusammen mit Kollegen recherchierte er in wissenschaftlichen Publikationen. Bei Erwachsenen erhöhe sich das Risiko metabolischer Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes, schreibt Breda. Gleichzeitig warnt er werdende Mütter vor Früh- oder Fehlgeburten, sollten sie große Mengen der beliebten Muntermacher konsumieren. Koffein verschleiert der Arbeit zufolge außerdem mögliche Rauschzustände nach zu intensivem Alkoholgenuss. Wer sich vermeintlich nüchtern fühlt, lässt sein Auto eben nicht links liegen. Dass es durchaus Grund zur Sorge gibt, zeigen aktuelle Zahlen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Experten geben 200 mg Koffein pro Getränk und 400 mg pro Tag als Grenze an. Jeder zehnte Konsument in Deutschland überschreitet diese Richtwerte – gesundheitliche Folgen inklusive. Kaffee in Maßen ist die bessere Alternative. Wissenschaftler bringen bis zu fünf Tassen des beliebten Getränks in prospektiven Beobachtungsstudien sogar mit einem verminderten Sterberisiko in Verbindung. Hauptsache, wir bleiben wach.
Schlägt es endlich Mitternacht, knallen die Korken. Aus einer gut geschüttelten Flasche fliegt der Verschluss mit Tempo 40 – schneller, als der schnellste Mensch laufen kann. Sekt ist auch wissenschaftlich ein besonderes Getränk, fanden deutsche und französische Forscher per ultrahochaufgelöster Massenspektrometrie heraus. Viele Aromastoffe haben aufgrund funktioneller Gruppen polare und unpolare Bereiche im Molekül. Sie sammeln sich an Phasengrenzflächen wie Kohlendioxid-Bläschen. Von dort geht es weiter in Richtung Oberfläche. Platzen die Gasbläschen, entsteht ein wahres Feuerwerk an Geruchserlebnissen. Verglichen mit der Flüssigkeit selbst fanden Wissenschaftler bis zu 30 Mal mehr flüchtige Stoffe, die zum Geruch beitragen. Bleibt zu klären, welches Glas diesen Prozess unterstützt. Labormessungen zeigten, dass das begehrte Getränk in einer Champagnerschale schneller Kohlendioxid verliert als in einer Champagnerflöte. Hohe Formen haben trotzdem Nachteile. Aus der kleinen Öffnung gelangt zu viel Kohlensäure in unsere Nase, und feine Noten lassen sich kaum noch wahrnehmen. Eine Mischung aus Schale und Flöte könnte der ideale Kompromiss sein, vermutete Professor Gérard Liger-Belair von der Universität Reims. Philippe Jamesse, Sommelier aus Reims, vereinte beide Formen zum nahezu idealen Glas mit leicht bauchiger Struktur.
Diese Vorteile kommen bei klassischen Silvesterpartys mit viel Feuerwerk kaum zum Tragen. Vielmehr trüben Schwefeldioxid, Stickoxide und anorganische Verbrennungsprodukte unsere Sinne. Die Konzentration an PM10-Feinstaub steigt in vielen Städten durch Böller oder Raketen auf 200 Mikrogramm pro Kubikmeter an. Behörden geben als Tagesgrenzwert 50 Mikrogramm pro Kubikmeter an – diese Menge darf nicht öfter als 35 Mal im Jahr überschritten werden. Berlin meldete vor acht Jahren rekordverdächtige 3.445 Mikrogramm pro Kubikmeter. Für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen derart hohe Emissionen mehrere Tage lang zu höheren Schlaganfallrisiken, schreibt Anoop Shah. Er hat zusammen mit Kollegen der University of Edinburgh 94 Studien und 6,2 Millionen Daten zu Schlaganfällen ausgewertet. Demnach stehen Hospitalisierungen oder Todesfälle in Zusammenhang mit der Konzentration an Kohlenmonoxid (relatives Risiko 1.015 pro 1 ppm), Schwefeldioxid (RR 1.019 pro 10 ppb) und Stickstoffdioxid (RR 1.014 pro 10 ppb). PM2.5- und PM10-Teilchen führten zu einem RR von 1.011 beziehungsweise 1.003 pro 10 Mikrogramm im Kubikmeter Luft. Bei den in Berlin gemessenen Werten würde sich das Schlaganfallrisiko schätzungsweise verdoppeln.
Nicht nur Menschen leiden unter den Folgen riesiger Feuerwerke. Hund Bello oder Katze Minka sind noch Stunden danach traumatisiert. Hier sollen Bach-Blüten wie Star of Bethlehem wirken. Mit Sicherheit helfen sie der Apotheke, die entsprechende Präparate abgibt. Ansonsten sucht man fundierte Studien vergebens. Edzard Ernst, Forscher an den Universitäten von Exeter und Plymouth, fand in klinischen Studien mit Menschen nur Effekte auf Placebo-Level. Solange plausible Hinweise fehlten, solle angenommen werden, dass „die komplementäre Therapie allein aufgrund von Mechanismen einer Placebo-Reaktion wirkt“, schreibt Ernst in einem Kommentar. Und bei Tieren? Paul Enck von der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen sieht Besitzer als treibende Kraft. Er spricht von „Placebo by Proxy“, der Placebo-Wirkung durch Angehörige. Tiere haben keine Erwartungshaltung bezüglich der Pillen oder Tropfen. Bleiben Sie kritisch – auf ein erfolgreiches Jahr 2016!