Das Nierenzellkarzinom ist der dritthäufigste urologische Tumor. Was die operative Technik angeht, gibt es viele Möglichkeiten. Soll offen, laparoskopisch oder vielleicht roboter-assistiert operiert werden?
Das Video in schriftlicher Form:
Volker Wittkamp: Guten Tag, ich begrüße recht herzlich bei DocCheck Dr. Markus Wöhr, Chefarzt der Urologischen Klinik am Klinikum RoMed Rosenheim. Morgen sind Sie Vorsitzender einer spannenden Sitzung zum Thema Nierenzellkarzinom – und zwar geht es um die Pros und Contras bei der Therapie des Nierenzellkarzinoms. Was kann man sich da genau drunter vorstellen?
Dr. Markus Wöhr: Wie Sie wissen, ist das Nierenzellkarzinom der dritthäufigste urologische Tumor und wir haben in den letzten Jahren rasante Entwicklungen gehabt, was die operative Technik betrifft und auch insbesondere bei den metastasierenden Tumoren sehen wir eine enorme Entwicklung vieler neuer Medikamente und Medikamentenkombinationen. Aufgrund der Fülle dieser vielen Therapieoptionen ist natürlich immer die Streitfrage, für was man sich entscheidet. Insofern gibt es doch einige kontroverse Streitthemen, die dann in der Sitzung beleuchtet werden.
Wenn ich mir vorstelle, ich habe einen Patienten mit einem Nierentumor, dann wird normalerweise erstmal operiert und der Nierentumor entfernt. Da gibt es dann natürlich auch verschiedene Wege, also ob man offen, laparoskopisch oder vielleicht roboter-assistiert operiert. Ich glaube, das ist auch Thema in der morgigen Sitzung?
Die einzig sinnvolle Therapiemöglichkeit, um den Patienten vom Tumor zu heilen, ist die Operation. Das ist nach wie vor unbestritten. Denn ca. 85 % und damit der überwiegende Teil der soliden Nierentumoren, die wir entdecken, sind bösartig. Die Strategie ist, wenn möglich, den Tumor organerhaltend zu entfernen. Früher gab es Grenzen, bis zu welcher Größe man operiert. Heute haben sich die Leitlinien geändert, das heißt man versucht immer - wenn technisch möglich - den Tumor organerhaltend zu operieren.
Wenn eine Niere entfernt werden muss, also wenn ein Organerhalt nicht geht, dann gibt es heute eine klare Vorgabe, dass man es laparoskopisch versuchen sollte. Das senkt die Morbidität. Also die Komplikationen und Beeinträchtigungen des Patienten sind deutlich geringer, als wenn man offen operiert – zum Beispiel über einen Flankenschnitt. Nur wenn es Kontraindikationen gibt, dann muss man auch offen operieren.
Bei der Nierenteilresektion ist es anders, da gibt es verschiedene Optionen: Man kann offen, laparoskopisch oder roboter-assistiert operieren. Das ist eben die Streitfrage.
Prinzipiell geht alles, es hängt aber ab von der individuellen Situation des Patienten, von der Größe und insbesondere der Lage des Tumors und vom Können des Operateurs. Das heißt, wenn ich gut laparoskopieren kann, dann sollte ich das auch machen, ansonsten ist es sicherer, offen zu operieren.
Außerdem gibt es komplexere Situationen, zum Beispiel bei zentral gelegenen Tumoren. Da ist es mit der herkömmlichen Laparoskopie schwierig, das ist dann eher die Domäne der offenen OP oder eines erfahrenen Operateurs mit einer roboter-assistierten Technik.
Nun ein anderes Thema. Wie sieht es aus, wenn der Tumor schon metastasiert ist oder zumindest der Verdacht besteht. Früher oder vielleicht auch noch heute galt eigentlich immer: trotzdem den Primärtumor und gegebenenfalls auch weitere Metastasen chirurgisch entfernen.
Ja, da hat sich ein bisschen was geändert. Es gibt ja sogar historische Berichte von Spontanheilungen. Im Nachhinein muss man sich heute kritisch fragen, ob die Diagnose gestimmt hat, also ob es wirklich Metastasen waren. Es gibt durchaus Hinweise in der Literatur, dass Patienten länger überleben, wenn der Primärtumor entfernt wird.
Kürzlich wurde eine interessante neue Studie veröffentlicht - die CARMENA Studie - auf die Sie vermutlich anspielen. Hier hat man Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom entweder einer alleinigen systemischen Therapie mit einem Tyrosinkinaseinhibitor oder einer primären Nephrektomie mit anschließender Gabe eines Tyrosinkinaseinhibitors zugeführt. Und dabei hat sich gezeigt, dass es keinen Unterschied macht.
Allerdings gibt es auch einige Kritikpunkte: Die Rekrutierung war schlecht, es sind deutlich weniger Patienten eingeflossen, als ursprünglich geplant. Außerdem sind letztlich doch einige Patienten operiert worden, bei denen das nicht geplant war. Zudem haben wir sehr viele Patienten mit einer besonders schlechten Tumorkonstellation, mit Knochenmetastasen, sodass die Aussage letztlich nicht ganz eindeutig ist.
Ich kann aber herauslesen, dass es bei weit fortgeschrittenen Tumoren mit einer hohen Tumorlast, zum Beispiel mit Knochenmetastasen, keinen Sinn macht, zu operieren. Bei Patienten jedoch, die in gutem Allgemeinzustand sind und wenige Metastasen haben, die vielleicht auch noch chirurgisch zugänglich sind, da sollte man prüfen, ob man nicht operieren kann. Tatsächlich gibt es viele Verläufe mit bestimmten Konstellationen, die einen jahrelangen Verlauf zeigen und bei denen immer wieder Metastasen operiert oder behandelt wurden, wovon die Patienten deutlich profitieren.
Also zusammenfassend ist die zytoreduktive Nephrektomie nicht komplett verschwunden, aber wahrscheinlich macht es nur Sinn bei Patienten in gutem Allgemeinzustand mit geringer Tumorlast.
Nun die abschließende Frage, was stellen Sie sich für die zukünftige Therapie vor? Wir reden ja jetzt schon von einer immensen Entwicklung in den letzten 5 bis10 Jahren. Ich glaube, aus chirurgischer Perspektive muss man abwarten, welche Aussicht beispielsweise das roboter-assistierte Operieren hat. Aber ich denke mal, gerade auf dem medikamentösen Weg gibt es noch viel Potenzial?
Also für mich gibt es aus den letzten Jahren zwei Erkenntnisse. Erstens wird die Immuntherapie eine zunehmende Rolle spielen, insbesondere die Kombination mehrerer Medikamente mit verschiedenen Angriffspunkten. So profitieren wir von einer synergistischen Wirkung. Mittlerweile gibt es eine Studie, in der zwei Immuntherapeutika mit einem Tyrosinkinaseinhibitor kombiniert werden. Wir sehen also, die Zukunft geht in Richtung Kombinationstherapie.
Zweitens sehen wir generell einen Trend zur personalisierten Medizin. Wir wollen vorab herausfinden, welche Prognose der Patient hat und welche Therapie am besten passt. Da gibt es viel Forschung, vor allem mit molekularen und genetischen Markern. Ich denke, in diese Richtung wird die Entwicklung gehen.
Leider gibt es allerdings bisher von all diesen tollen Untersuchungen nichts, was jetzt sofort einfach und praktikabel im klinischen Alltag anwendbar wäre, aber ich denke, dahin wird die Entwicklung gehen.
Vielen Dank für diesen kurzen Einblick rund um das Nierenzellkarzinom. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Kongressaufenthalt und vielleicht gibt es neue Erkenntnisse nach dem diesjährigen DGU.
Dieses Video wurde transkribiert von Nick A. Nolting.Bildquelle: Josh Calabrese, unsplash