Bei bestimmten Krebserkrankungen wirken Chemotherapeutika besser, wenn der Patient zusätzlich Vitamin D erhält. Das legen Studien nahe. Sollte die Überprüfung des Vitamin-Status zur onkologischen Routine gehören?
Krebspatienten mit Vitamin-D-Mangel haben eine schlechtere Prognose als Patienten ohne Mangel – so zumindest die Ergebnisse zahlreicher Beobachtungsstudien. Bei bestimmten Krebserkrankungen wirken Chemotherapeutika zudem offenbar besser in Kombination mit Vitamin D. Sollte die Überprüfung des Vitamin-Status zur onkologischen Routine gehören?
„Die Frage nach Vitaminen oder Nahrungsergänzungsmitteln zählt zu den am häufigsten von Krebspatienten gestellten Fragen“, erklärt ein Onkologe aus dem Fachbereich Hämatologie und Onkologie, der in einer Klinik in NRW arbeitet. Er ist der Redaktion bekannt, möchte bei diesem kontroversen Thema aber nicht namentlich zitiert werden. „Gegenwärtig gibt es aber keine Daten oder eine Leitlinie, die einen eindeutigen Nutzen hinsichtlich der Wirksamkeit der Therapie belegen oder eine Substitution empfehlen.“ Warum sollte man sich als Onkologe also mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel scheint bei einigen Krebserkrankungen mit einem schlechteren klinischen Outcome und einer schlechteren Prognose zusammenzuhängen. Das haben Untersuchungen an Patienten mit Kolonkarzinom, Brustkrebs oder auch Chronisch Lymphatischer Leukämie und Akuter Myeloische Leukämie gezeigt. Mit der Interpretation solcher Daten muss man natürlich vorsichtig sein. Klare Aussagen zu Ursache und Wirkung lassen sich nicht treffen – schließlich könnte es auch sein, dass eine aggressivere Krebserkrankung eher zu einem Vitamin-D-Mangel führt, als eine weniger aggressive.
Einige Krebspatienten scheinen aber tatsächlich von einer zusätzlichen Vitamin-D-Gabe bei der Chemotherapie zu profitieren. Darauf deuten zumindest Studien mit B-Zell-Lymphom-Patienten hin. Bei diesen Patienten schwächt ein niedriger Vitamin-D-Spiegel offenbar die Wirksamkeit des monoklonalen Antikörpers Rituximab ab.
Auch bei Kolonkarzinompatienten scheinen hohe Dosen Vitamin D das progressionsfreie Überleben zu verlängern. Theoretisch ließe sich so ein Risikofaktor wie Vitamin-D-Mangel bei Krebspatienten relativ einfach durch die Einnahme entsprechender Präparate korrigieren.
Aktuell hat sich eine Kölner Arbeitsgruppe mit dem Thema beschäftigt. Sie wollte herausfinden, ob ein Vitamin-D-Mangel auch bei Hodgkin-Lymphom-Patienten mit einer schlechteren Tumorkontrolle und letztlich mit einem schlechteren progressionsfreien Überleben und Gesamtüberleben verbunden ist.
Insgesamt untersuchten die Wissenschaftler 351 Patienten mit Hodgkin-Lymphom über einen Beobachtungszeitraum von 13 Jahren. Bei der Hälfte der Untersuchten lag ein Vitamin-D-Mangel vor, gemessen am Calcidiol-Status (25-Hydroxy-Vitamin-D[3]). Diese Vorstufe von Vitamin D lässt sich wesentlich genauer messen als die aktive Form (Calcitriol). Die Referenzbereiche gaben die Forscher wie folgt an: Ausreichend: ≥ 50 nmol/l, unzureichend: ≥ 30 und < 50 nmol/l, und mangelhaft: < 30 nmol/l. Wie in der Gesamtbevölkerung trat der Mangel im Winter häufiger auf als im Sommer.
Patienten mit Progression oder Rückfall wiesen signifikant niedrigere Vitamin-D-Spiegel auf, als Patienten ohne Rückfall (21,4 vs. 35,5 nmol/l). Sie hatten zudem häufiger einen Vitamin-D-Mangel (68 vs. 41%, P <0.0001). Diesen Effekt beobachteten die Wissenschaftler konstant über alle Krankheitsstadien hinweg. Die abschließende Analyse ergab, dass ein Vitamin-D-Mangel stark mit einem geringeren progressionsfreien Überleben zusammenhängt (HR: 2,13 [ 95%> CI: 1,84-2,48], P <0.0001). Bezogen auf das Gesamtüberleben hatten Patienten mit Vitamin-D-Mangel auch ein deutlich höheres Sterberisiko (HR: 1,82 [1,53-2,15], P <0.0001).
In konkrete Zahlen umgesetzt bedeutet das: In der Kohorte nach zehn Jahren überlebten 81,8 Prozent der Patienten ohne Vitamin-D-Mangel progressionsfrei, Patienten mit Vitamin-D-Mangel jedoch nur zu 64,2 Prozent. Hinsichtlich des Gesamtüberlebens lebten nach zehn Jahren noch 87,2 Prozent der Patienten ohne Vitamin-D-Mangel, von den Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel jedoch nur 76,1 Prozent. Bei näherer Betrachtung der Todesursachen der verstorbenen Patienten hat der Vitamin-D-Mangel vor allem das Risiko erhöht, am Hodgkin Lymphom zu versterben.
Aufbauend auf diesen Ergebnissen führten die Wissenschaftler Laborversuche durch, um besser zu verstehen, warum die Patienten mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln ein höheres Risiko für einen Rückfall und letztlich auch für das Versterben hatten. Eine Hodgkin-Lymphom-Zelllinie setzten sie physiologische Dosen von Vitamin D aus und behandelten sie gleichzeitig mit Chemotherapeutika. Die antiproliferativen Effekte waren dabei größer, wenn die Medikamente in Kombination mit Vitamin D gegeben wurde.
Auch im Mausmodell zeigte sich dieser Effekt: Mäuse, die am Hodgkin-Lymphom litten, bekamen zusätzlich zur Chemotherapie Vitamin D verabreicht. Im Vergleich zu Mäusen, die keine Supplementierung bekamen, konnte das Tumorwachstum reduziert werden. Die üblicherweise verabreichten Chemotherapeutika wirken offenbar besser in Kombination mit Vitamin D. Wie genau das passiert, wird derzeit untersucht.
„Diese Ergebnisse haben wir nicht erwartet. Die Unterschiede sind größer als gedacht“, erklärt Erstautor Dr. Sven Borchmann gegenüber DocCheck. „Und das macht unsere Studie so relevant. Damit schaffen wir Anregungen, weiter in diese Richtung zu forschen und eventuell Leitlinien entsprechend zu überdenken.“ Immerhin sei eine Vitamin-D-Supplementierung eine leicht durchführbare Intervention. Doch Vorsicht: Die Studie zeigt zwar eine Korrelation, das bedeutet aber nicht, dass zwingendermaßen auch eine Kausalität vorliegt.
Auch sollte man nochmal darauf hinweisen, dass die Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels nicht standardisiert ist, wie zum Beispiel die Blutzuckermessung. Der Einfachheithalber benutzen viele Labore zur Routineuntersuchung immunologische Methoden (ELISA), so auch das Kölner Team. Diese sind aber oft störanfällig und über- oder unterschätzen den wahren Wert. Hinzu kommt, dass der Wert in zwei Einheiten angegeben werden kann (ng/ml (µg/l) und nmol/l, Umrechnungsfaktor 2,496), was unter Umständen in der Praxis für Verwirrung sorgt. Wichtig ist daher, den Vitamin-D-Wert nie ohne Angabe des methodenspezifischen Referenzbereichs anzugeben.
Die Redaktion hat den Onkologen aus einer Klinik in NRW um eine Einschätzung der Kölner Studie gebeten. Er findet die Ergebnisse äußerst spannend: „Die Bestimmung und Substitution von Vitaminen und somit auch von Vitamin D spielt bislang keine Rolle in der täglichen onkologischen Routine. Studien wie diese tragen natürlich dazu bei, das eventuell zu ändern“, erklärt der Experte. Nichtsdestotrotz müsse man aber auch festhalten, dass es sich erst einmal nur um eine Beobachtung handelt, deren Hintergründe und kausale Zusammenhänge unklar seien. „Weitere Studien müssen erst noch zeigen, ob eine Vitamin-D-Substitution überhaupt einen positiven Einfluss auf den Verlauf hätte. Das schreiben die Autoren ja auch selber.“
Bildquelle: Maximilien T'Scharner, unsplash