Bei Menschen, die unter häufigen, langanhaltenden und stark schmerzenden Wadenkrämpfen leiden, können Chininpräparate helfen. In einer aktuellen Studie erwiesen sie sich als wirksam und nebenwirkungsarm.
Wadenkrämpfe treten plötzlich und unerwartet auf und bereiten höllische Schmerzen. Meistens hält der Spuk nicht lange an, sodass im Prinzip kein (Be-)Handlungsbedarf besteht, es sei denn, die Krämpfe treten häufig oder sogar sehr häufig auf. Was die Therapieempfehlungen dieser Beschwerden betrifft, sei eine Option bisher unterschätzt: Der Einsatz von Chininpräparaten. Zu diesem Ergebnis kam man nun in einer aktuellen Studie.
Ein Wadenkrampf entsteht nicht in der Muskulatur, ist also kein muskuläres Problem, wie viele Patienten denken, sondern ein neurologisches: Ausgelöst werden Muskelkrämpfe durch spontane Depolarisierungen der Nervenmembranen: Es bilden sich Aktionspotenziale aus, also Nervenimpulse, die dann im Endeffekt zu einem „Erregungssturm“ im Muskel führen.
Elektrolytverschiebungen können die Reizbarkeit der Nerven, die den Muskel umgeben, erhöhen und die Entstehung von Krämpfen begünstigen. Das könnte auch der Grund sein, warum mehr Menschen im Sommer Wadenkrämpfe bekommen als im Winter – man schwitzt mehr und trinkt unter Umständen nicht genug.
Es gibt aber noch weitere Risikofaktoren: Ist beispielsweise die aus Myelin bestehende Schutz- bzw. Isolierschicht der Nervenfasern schon etwas dünner oder geschädigt, ist das Risiko für solche krampfauslösenden Impulsentladungen höher. Eine solche Demyelinisierung kann durch unterschiedliche Erkrankungen wie z.B. die diabetische Polyneuropathie oder Schilddrüsenerkrankungen hervorgerufen werden, aber auch durch verschiedene Medikamente, Alkohol oder Vitamin B-Mangel. Es liegt auf der Hand, dass sie im Alter häufiger sind als bei jungen gesunden Menschen, weshalb auch Wadenkrämpfe bei älteren Menschen häufiger auftreten.
Hinzu kommen mechanische Auslöser: Senkt man die Zehenspitzen nach unten, so dass sich der Wadenmuskel verkürzt – wie das beispielsweise der Fall ist, wenn der Fuß durch eine schwere Bettdecke heruntergedrückt wird oder in High-Heels steckt – kann es leichter zu Wadenkrämpfen kommen. „Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Es ist wahrscheinlich so, dass durch Gewebsverschiebungen die empfindlichen Nervenendstrecken im Muskel unter Druckspannung geraten, was die elektrischen Entladungen begünstigt“, erklärt Dr. Rainer Lindemuth, Siegen, Erstautor der S1-Leitlinie Crampi/Muskelkrampf der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Beugt man den Fuß in die Gegenrichtung und streckt den Wadenmuskel, löst sich der Krampf. Die Akutempfehlung lautet daher, den verkrampften Muskel zu dehnen bzw. seinen Gegenspieler anzuspannen.“
Zur Vorbeugung empfiehlt die Leitlinie regelmäßige passive Dehnübungen der Wadenmuskulatur (z.B. durch Vorbeugen des Körpers im Stand, ohne dass die Fersen den Bodenkontakt verlieren), allerdings schreiben die Autoren, dass die Wirksamkeit in verschiedenen Studien unterschiedlich bewertet wurde, eine klare Evidenz also fehlt. Ebenso wird die Einnahme von Magnesium empfohlen, obwohl die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist. „Ein Therapieversuch sollte aber in jedem Falle unternommen werden. Magnesium führt an der Muskelmembran zu einer Stabilisierung und reduziert Aktionspotenziale, die Kontraktionen im Muskel auslösen. Viele Patienten berichten, dass es bei ihnen die Neigung zu Muskelkrämpfen lindert. Wenn es nicht überdosiert wird, ist Magnesium außerdem unbedenklich und hat keine Nebenwirkungen“, so der Experte. „Aufpassen müssen lediglich Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion, sie sollten vor der Dauereinnahme mit ihrem behandelnden Nephrologen sprechen.“
Wenn die Muskelkrämpfe mit diesen Maßnahmen nicht in den Griff zu bekommen sind und die Lebens- und Schlafqualität stark beeinträchtigen, sollte der Weg zum Arzt erfolgen. Er führt dann eine genaue Diagnostik durch. Erst wenn alle behandelbaren Ursachen ausgeschlossen wurden und eine Magnesiumtherapie versucht wurde, sollten bei häufigen und sehr schmerzhaften Krämpfen Chininpräparate zum Einsatz kommen, so die derzeitige Leitlinienempfehlung.
Diese könnte nun aber überholt sein. Eine aktuell in der Fachzeitschrift „MMW - Fortschritte der Medizin“ publizierte multizentrische, nicht interventionelle Studie bestätigte die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung mit Chininsulfat im Versorgungsalltag bei erwachsenen Patienten mit sehr häufigen oder besonders schmerzhaften nächtlichen Wadenkrämpfen. „Anzahl, Dauer und Schmerzintensität der nächtlichen Wadenkrämpfe hatten bei der Mehrzahl der Patienten abgenommen und das Nebenwirkungsprofil war tolerabel. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen traten bei 35/592 Patienten auf, schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen überhaupt nicht. Ich denke, es ist möglich, diese Präparate weniger restriktiv einzusetzen, als es die Leitlinien derzeit vorsehen“, erklärt Erstautor Prof. Dr. Hans-Christoph Diener.
Conflict of interest: Diese Studie wurde finanziell unterstützt von der Cassella-med Pharma GmbH.
Textquelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.Bildquelle: Raj Shah, unsplash