Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen stellt Grundfeste unseres Sozialsystems infrage. Waren Arbeitnehmer bislang gesund oder krank, soll es künftig eine prozentuale Arbeitsunfähigkeit geben. Schwierigkeiten sind vorprogrammiert.
Einsparungen im Gesundheitswesen – die unendliche Geschichte geht weiter. Zwischen 2006 und 2014 sind alle Ausgaben für Krankengeld von 5,7 auf 10,6 Milliarden Euro explodiert. Grund genug für das Bundesgesundheitsministerium, nach Lösungen zu suchen. Jetzt liegt ein brisantes Papier des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) vor.
Experten empfehlen unter anderem eine abgestufte Krankschreibung zu 25, 50, 75 oder zu 100 Prozent. Das möglicherweise vorhandene Restleistungsvermögen erleichtere die sozialen und finanziell negativen Folgen einer unnötig verzögerten Wiedereingliederung ins Erwerbsleben, heißt es im Papier. Momentan sind stufenweise Wiedereingliederungen nach dem Hamburger Modell über § 74 SGB V und § 28 SGB IX zwar möglich – allerdings nicht in den ersten sechs Wochen. Bereits während der Entgeltfortzahlung soll es prozentual anteilige Zahlungen geben, was Arbeitgebern zu Gute kommt. Viele Krankschreibungen gehen nicht über diesen Zeitraum hinaus. Auch beim Krankengeld ab der siebten Woche sind Faktoren im Gespräch. Ab diesem Zeitpunkt profitieren GKVen vom neuen Modell. „Das Krankengeld ist keine Wohltat, sondern eine gesamtgesellschaftlich sinnvolle Leistung, und die Versicherten haben einen Anspruch darauf, die Beträge zu erhalten“, sagt Professor Dr. Ferdinand Gerlach vom SVR Gesundheit. Es sei aber nicht das erklärte Ziel gewesen, das Krankengeld um jeden Preis zu drücken.
Weitere Empfehlungen zielen auf psychische Leiden ab, um den Bedarf besser zu planen. Alle Patienten sollen leichter Zugang zur Versorgung haben, schreiben Experten. Im Mittelpunkt stehen Präventionsangebote und Behandlungen. Gerlach empfielt Selektivvertragsmodelle mit Zugangsgarantien, Akutsprechstunden und schwerefallabhängige Honoraranreize für ambulante Therapeuten. Bei Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen könne auch eine abgestufte Krankschreibung nach schwedischem Muster sinnvoll sein, sagt Barbara Lubisch, Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV).
Stellen Kollegen AU-Bescheinigungen aus, fordern Sachverständige, nur noch eine Hauptdiagnose zu vermerken. Bislang waren mehrere Diagnosen ohne Gewichtung möglich. Ärzte kritisieren, es werde kaum gelingen, komplexe Krankheitsbilder derart stark zu reduzieren. Wie sie auch noch rechtssicher prozentuale Abstufungen des Leistungsvermögens ermitteln sollen, bleibt unbeantwortet.