Influenza-A-Viren sind häufig gegen antivirale Medikamente resistent. Bei der Interaktion zwischen Virus und Wirt konnte ein Protein entdeckt werden, welches für die Verbreitung des Virus erforderlich ist. Das Blockieren dieses Zusammenspiels könnte ein Ansatz für neue Medikamente sein.
Jährlich erkranken in Deutschland zwischen zwei und zehn Millionen Menschen an der Virusgrippe. Influenza-A-Viren machen dabei häufig den Großteil der weltweit zirkulierenden Grippeviren aus. Impfstoffe werden jedes Jahr an die zirkulierenden Grippeviren angepasst, da sie sich schnell genetisch verändern können und oft Resistenzen gegenüber antivirale Medikamente entwickeln. Ein Ansatz auf dem Weg zu neuen wirksamen Medikamenten gegen Viren ist der Angriff auf die Interaktion zwischen dem Virus und seinem Wirt, denn Viren nutzen für ihre Vermehrung und Verbreitung Zellproteine des Menschen. Über eine Blockade der Interaktion des Virus mit den Zellproteinen könnte die Virusvermehrung ausgebremst und dadurch die Virusgrippe erfolgreich therapiert werden.
Dass die genauen Prozesse der Interaktion des Influenza-A-Virus mit den menschlichen Zellen bisher nicht vollständig aufgeklärt sind, liegt unter anderem daran, dass zwar weltweit umfangreiches Datenmaterial generiert wurde, dieses aber unterschiedlich bewertet wurde. Vier internationale Arbeitsgruppen – darunter Wissenschaftler um Dr. Renate König, Leiterin der Forschungsgruppe „Zelluläre Aspekte von Pathogen-Wirt-Interaktionen“ des Paul-Ehrlich-Instituts – ist es in einem gemeinsamen Großprojekt durch Kombination aufwendiger genomischer sowie proteomischer Datenanalysen gelungen, eine Art biochemische Landkarte essenzieller Influenza-A-Virus-Wirt-Interaktionen zu erstellen. Mit Influenza-A-Virus infizierte humane Lungenkarzinomzellen (Zellkern in blau). Die viralen Proteine Hämagglutinin (grün) und Matrixprotein 2 (rot) befinden sich hauptsächlich an der Plasmamembran. © Zentrum für Mikroskopie und Bildanalyse, Universität Zürich Mit dieser „Landkarte“ konnten die Wissenschaftler mit UBR4 (Ubiquitin protein ligase E3 component n-recognin 4) ein Protein in menschlichen Zellen identifizieren, das für das „Budding“, das Abschnüren der Viren von der Zellmembran, den Austritt des Erregers aus der Zelle und die Verbreitung in und außerhalb des Körpers erforderlich ist. Die Wissenschaftler mutmaßen, dass UBR4 vom Virus „ausgeliehen“ wird, um mit dessen enzymatischer Funktion einen im Detail noch nicht bekannten Schutzmechanismus des Menschen auszuschalten, bei dem virale Proteine degradiert werden und damit der Transport von viralem Protein zur Zellmembran unterbunden wird. Das Influenza-A-Virus erkauft sich gemäß dieses Modells durch UBR4 eine sichere Passage zur Zellmembran. Diesen Schutzmechanismus zu verstärken, könnte ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Arzneimittel gegen das Influenza-A-Virus sein.
„Ein Vorteil von Wirkstoffen, die auf zelluläre Proteine einwirken, die für das Virus essenziell sind, ist die Tatsache, dass sich das Genom des Menschen nicht ständig verändert, sodass Wirkstoffe auch langfristig eine Wirksamkeit zeigen dürften“, erläutert König. Ein weiterer Vorteil: Medikamente mit zellulären Proteinen als Zielstrukturen sind möglicherweise gegen ganz unterschiedliche Viren wirksam, die sich des gleichen Proteinapparates des Menschen bedienen. Natürlich dürfen dabei essenzielle Zellfunktionen nicht gestört werden. Und schließlich besitzen zelluläre Proteine als Zielstrukturen das Potenzial, zur Verstärkung der Wirksamkeit von Impfstoffen genutzt zu werden. Originalpublikation: Meta- and Orthogonal Integration of Influenza ‘OMICs’ Data Reveals UBR4 as a Critical Regulator of M2 Ion Channel Membrane Trafficking Shashank Tripathi et al.; Cell Host Microbe, doi: 10.1016/j.chom.2015.11.002; 2015