Das Bauprinzip des menschlichen Muskelgewebes konnte nun mithilfe von Rotaxan-Dimeren nachgeahmt werden. Der Ansatz für einen künstlichen Muskel basiert auf einer hierarchischen Selbstorganisation supramolekularer muskelartiger Fasern.
Den Vorgang der kollektiven Bewegung unserer Muskeln nachzuahmen, ist schon lange ein Ziel für Wissenschaft und Technik. Das Forscherteam von der Universität Straßburg und der Universität Paris Diderot um Nicolas Giuseppone hat das Bauprinzip des menschlichen Muskelgewebes nun dargestellt. Als Baueinheiten dienen Rotaxane, bewegliche Molekülsysteme aus einem stabförmigen Molekül, auf das ein großer molekularer Ring „aufgefädelt“ ist. Aus Rotaxanen lassen sich Dimere bilden, wenn ein Ring fest an ein Ende des Stabes gebunden ist. Innerhalb des Dimers ist dann jeweils der Ring des einen Moleküls auf den Stab des anderen aufgefädelt. Solche Systeme wurden bereits als Basis für molekulare Schalter verwendet, denn durch eine Verschiebung der Ringe gegeneinander auf den Achsen sind sie zu teleskopartigen Kontraktionen und Extensionen in der Lage. Die Forscher konstruierten ihre Rotaxan-Dimere so, dass es für die Ringe jeweils zwei „Einrastpositionen“ auf den Achsen gibt, in denen sie über Anziehungskräfte zu bestimmten Atomgruppen der Achse fixiert werden können. Durch einen Wechsel zwischen saurem und basischem Milieu kann kontrolliert zwischen den beiden Positionen hin und her geschaltet – und damit die Länge des Dimers variiert werden. Erstmals gelang es den Wissenschaftlern nun, tausende dieser Dimere zu einigen Mikrometer langen supramolekularen Fasern zu verknüpfen. Elektronenmikroskopische Aufnahmen von supramolekularen muskelartigen Fasern im kontrahierten und im gedehnten Zustand. © Wiley-VCH Dazu verwendeten sie Verbindungsstücke, die jeweils an spezielle Bindestellen an den Enden der Dimere haften – über mehrfache Wasserstoff-Brückenbindungen analog der Basenpaarung in der DNA-Doppelhelix. Die Verbindungsstücke ziehen sich zudem untereinander an (über π–π Stapelung und van der Waals-Kräfte) und sorgen so dafür, dass die einzelnen Fasern zu 10 bis 20 nm dicken Faserbündeln aggregieren. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen, dass sich diese im kontrahierten Zustand wie ein angespannter Muskel verdicken und im gedehnten Zustand eine längliche Form einnehmen. Originalpublikation: Hierarchical Self-Assembly of Supramolecular Muscle-Like Fibers Nicolas Giuseppone et al.; Angewandte Chemie, doi: 10.1002/ange.201509813; 2015