„Aber wenn da Salz in den Tabletten ist, ist das nicht schädlich, wenn ich so viele davon einnehmen muss?“, fragt der Kunde. Bei Fragen zu Schüßler-Salzen ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Es gibt nur wenige Therapie- und Heilmethoden, die so häufig in der Apotheke verlangt werden und über die der Patient so wenig Bescheid weiß, wie Schüßler-Salze. Das merkt man an Fragen wie: „Aber wenn da Salz in den Tabletten ist, ist das nicht schädlich, wenn ich so viele davon einnehmen muss?“ oder „Mein Arzt hat gesagt, dass ich ein Osteoporose-Risiko habe und Calcium mit Vitamin D einnehmen soll. Ich nehme aber immer Calcium carbonicum D6, das reicht doch. Oder soll ich lieber D12 nehmen?“
Ähnlich wie bei der Einnahme homöopathischer Globuli finden Patienten vor allem in der Hoffnung auf nebenwirkungsfreie Therapeutika zur Schüßlerschen Lehre der „Biochemie“. Diese gibt sich, im Vergleich zu den Zuckerkugelherstellern, allerdings einen wissenschaftlicheren Anstrich. Und zwar indem sie sowohl das Simile-Prinzip als auch die in der Homöopathie propagierte „immaterielle Wirkung“ der „dynamisierten“, potenzierten Wirkstoffe ablehnt.
Ihr Erfinder, der bereits zu Lebzeiten sehr umstrittene homöopathische Arzt Wilhelm Schüßler (1821–1898), erfand diese Methode basierend auf dem Wissensstand der Menschen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war fasziniert von den Erkenntnissen des Berliner Pathologen Dr. Rudolf Virchow, der an der Charité Zellforschung betrieb. Dieser entwickelte die Krankheitslehre der sogenannten Zellularpathologie, nach der die meisten Krankheiten auf Störungen der Körperzellen oder deren Funktionen beruhen. Daraufhin entwickelte Schüßler seine „Biochemie“, die den Ansatz verfolgt, dass Krankheiten aufgrund eines gestörten Mineralhaushaltes entstehen würden.
Er erklärte, dass Zellen, wenn sie einem pathogenen Reiz ausgesetzt würden, diesen abstoßen und so mineralische Funktionsmittel verlören. Diese pathogene Veränderung sei der Grund für die meisten Erkrankungen, und es gelte nun, mittels hoch verdünnter Mineralstoffe, diese Mängel wieder aufzufüllen.
Die Zelle soll dadurch den Impuls erhalten, das fehlende Mineralsalz aus dem Extrazellularraum wieder aufzunehmen. Daher empfahl Schüßler zusätzlich eine nährstoff- und basenreiche Diät. Beispielsweise wird ein Fließschnupfen in seiner Lehre genau wie eine zu trockene Nase mit dem Mineralsalz Natrium chloratum D6 (Schüßler Salz Nr. 8) behandelt, da es die normale Funktionsweise der Schleimhautzellen wieder einregulieren soll.
Schüßler war der Meinung, die geschädigten Zellen nehmen die fehlenden Mineralsalze am besten auf, wenn diese wie in der Homöopathie „potenziert“ vorliegen, weil so einzelne Ionen direkt eingeschleust werden und über die Mundschleimhaut aufgenommen werden können.
So definierte er zwölf sogenannte „Funktionsmittel“, die als Schüßler-Salze bekannt wurden. Zwölf weitere Ergänzungssalze wurden nach seinem Tod hinzugefügt, werden aber nicht von allen Anhängern der Lehre anerkannt.
„Funktionsmittel“ nach Schüßler
1 Calcium fluoratum (Bindegewebe, Gelenke, Haut)
2 Calcium phosphoricum (Knochen, Zähne)
3 Ferrum phosphoricum (Immunsystem)
4 Kalium chloratum (Schleimhäute)
5 Kalium phosphoricum (Nerven, Psyche)
6 Kalium sulfuricum (Entschlackung)
7 Magnesium phosphoricum (Muskeln, Nerven)
8 Natrium chloratum (Flüssigkeitshaushalt)
9 Natrium phosphoricum (Stoffwechsel)
10 Natrium sulfuricum (innere Reinigung)
11 Silicea (Bindegewebe, Haut, Haare)
12 Calcium sulfuricum (Gelenke)
Schüßler suchte diese Mineralsalze heraus, da sie seiner Meinung nach übrigbleiben, wenn man einen menschlichen Körper verbrennt. Welche Art Forschung er anstellte, um auf diese Ergebnisse zu kommen, bleibt offen.
Die Herstellung der Schüßler-Salze erfolgt, ähnlich wie bei der Homöopathie, durch die extreme Verdünnung der Ausgangssubstanz. Auf das „Dynamisieren“ durch Verschütteln mittels Klopfen auf eine feste Unterlage wird bei ihrer Herstellung jedoch verzichtet.
Der übliche Verdünnungsgrad liegt bei D6- oder D12-Potenzen, und somit bei 1:1 000 000 bzw. 1:1 000 000 000 000. Die Gefahr, sich mit zu viel Salz zu schaden – was einige Kunden tatsächlich befürchten – ist also unnötig. Auch die Einnahme des Schüßler-Salzes Calcium carbonicum D6 statt einer Calcium/Vitamin-D-Kombination bei Osteoporose ist nicht sinnvoll.
Die Verdünnung und das Pressen der Mineralsalze erfolgt mittels Milchzucker zu den bekannten Tabletten. Wer unter Laktoseintoleranz leidet, kann durch Einnahme der Schüßler-Salze also zumindest eine Wirkung erzielen, wenn auch unerwünscht. Es gibt außer diesen Arzneiformen auch noch Globuli, Pulver, alkoholische Tropfen und Salben.
Die Diagnose, welches Mineralsalz dem erkrankten Menschen genau fehlt, wird mittels körperlicher und seelischer Merkmale sowie der Antlitzdiagnostik gestellt. Diese „biochemische“ Antlitzanalyse hat ebenfalls keine wissenschaftlich gesicherte Grundlage und beruht lediglich auf der Vorstellung und den Beobachtungen Schüßlers selbst. Zur Erinnerung: 19. Jahrhundert.
Echte Studien zu Schüßler-Salzen fehlen komplett, daher ist eine positive Einschätzung zu deren Wirksamkeit unmöglich. Die einzigen bekannten Versuche an Menschen wurden in den Konzentrationslagern Dachau und Auschwitz vorgenommen. Die Nazis hatten ursprünglich ein großes Interesse daran, die Biochemie als „Volksmedizin“ etablieren.
Wissenschaftlich gesehen sind die aufgestellten Thesen Schüßlers nicht haltbar. In den letzten 130 Jahren nach seiner Erfindung der „biochemischen Heilmethode“ weiß man bedeutend mehr über die Entstehung von Krankheiten und die Funktionen des menschlichen Organismus als sich die Menschen des 19. Jahrhunderts vorstellen konnten.
Der überzeugte Impfgegner Schüßler war sicher, mit einer Kombination aus 12 verdünnten Mineralstoffen alle Krankheiten behandeln zu können. Allein diese Annahme zeigt das stark vereinfachte Muster, das hinter dieser Glaubenslehre steht. Und hier schreibe ich ganz bewusst von einem Glauben, denn die Beweise für eine Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus bleiben uns die Anhänger weiterhin schuldig.
Anders als die Homöopathie, die auf unbeweisbare Verstärkung der Wirksamkeit ihrer Mittel bei der Potenzierung auf den ganzen Körper verweist, wollen Schüßlers Anhänger auf die Vorgänge in den einzelnen Zellen Einfluss nehmen. Das sollte aber anders als zu Schüßlers Zeiten inzwischen ein beweisbarer Vorgang geworden sein – indes steht dieser Beweis noch immer aus.
Das „Schüßlern“ ist damit – meiner Ansicht nach – keine Empfehlung, die ein Apotheker seinen Kunden mitgeben kann, wenn seine Apotheke für sich in Anspruch nehmen möchte, leitliniengerecht und evident zu beraten.
Bildquelle: Ryoji Iwata / Unsplash
Textquellen:Günther H. Heepen: „Quickfinder Schüßler-Salze“, ISBN: 978-3-8228-04953
Florian G. Mildenberger: „Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Nationalsozialismus: Bestandsaufnahme, Kritik, Interpretation“, Wallstein, 2016, ISBN: 978-3835318793