Ein Jahr nach der #MeToo-Debatte finden sich Skandale um sexuelle Übergriffe immer noch vielfach in den Medien wieder. Wie stark sexuelle Belästigung unter Ärzten verbreitet ist und welche Langzeitfolgen sexuelle Gewalt für Körper und Psyche hat, wurde nun in zwei Studien untersucht.
Durch Kampagnen wie #MeToo oder Time’s Up erfährt das Thema sexuelle Belästigung und Nötigung medial viel Aufmerksamkeit. Der jüngste Skandal um Brett Kavanaugh, der am 6. Oktober zum Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, hat einmal mehr klar gemacht, dass das Thema in allen Spähren der Gesellschaft eine Rolle spielt. Die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Studie weisen nun darauf hin, dass sexuelle Gewalt oder Belästigung häufig schwerwiegende Langzeitfolgen für die körperliche und mentale Gesundheit der Betroffenen haben kann. So steigt das Risiko an einer Depression, Angststörung oder Posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken, weitere Folgen können hoher Blutdruck und Schlafprobleme sein.
An der amerikanischen Studie, die im Journal JAMA Internal Medicine veröffentlicht wurde, nahmen 304 Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren teil, das durchschnittliche Alter lag bei 54 Jahren. Alle Frauen stammten aus Pittsburgh. Die Kohorte wurde ursprünglich ausgewählt, um den Zusammenhang zwischen menopausaler Hitzewallungen und subklinischer Arteriosklerose zu untersuchen. Es handelte sich dabei um nicht rauchende Probanden ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen. Im Rahmen dieser Untersuchung gingen die Forscher dann auch der Frage nach, ob ein Zusammenhang zwischen der Erfahrung von sexueller Belästigung und sexueller Nötigung und gesundheitlichen Faktoren wie Blutdruck, depressiver Stimmung, Angstempfinden und Schlafqualität besteht. In die Untersuchung sind Faktoren wie Körpergröße, BMI und Blutdruck eingeflossen. Weitere Methoden beinhalteten Interviews und Fragebögen. 19 Prozent der Probandinnen gaben an, bereits sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt zu haben. 22 Prozent der Frauen berichteten von sexueller Nötigung. 10 Prozent der Teilnehmerinnen gaben an, bereits beides erlebt zu haben.
Den Studienergebnissen zufolge hatten Frauen, die bereits sexuelle Belästigung erlebt hatten, einen signifikant höheren systolischen Blutdruck und litten unter schlechterer Schlafqualität als Frauen, die noch keine sexuelle Belästigung erlebt hatten. Demnach sei das Risiko, an Bluthochdruck zu erkranken doppelt so hoch wie bei Frauen, die keine sexuelle Belästigung erlebt hatten. Die Studienautoren kommen außerdem zu dem Schluss, dass sexuelle Belästigung ein um 20 Prozent erhöhtes Risiko für das Auftreten einer kardiovaskulären Erkrankung mit sich bringt. Bei Frauen, denen sexuelle Nötigung wiederfahren war, ließen sich verstärkt Symptome einer Depression, Angstzustände und geringer Schlafqualität feststellen als bei Frauen, die keine sexuelle Gewalt erlebt hatten. Die Frauen hatten dementsprechend ein dreifach höheres Risiko Symptome zu entwickeln, die einer Depression entsprechen, sowie ein zweifach erhöhte Wahrscheinlichkeit, Angstzustände zu entwickeln. Sowohl sexuelle Belästigung als auch sexuelle Nötigung waren mit geringer Schlafqualität assoziiert.
„Langzeitfolgen, die im Zusammenhanng mit sexueller Belästigung und sexueller Gewalt stehen, haben nicht nur Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Person“, erklärt Studienautorin Karestan Koenen, Professorin für psychiatrische Epidemiologie an der Harvard T. H. Chan School of Public Health. „Diese Studie beweist, dass diese Art von Trauma reale und messbare körperliche Auswirkungen hat, die beachtet werden müssen.“ Wie relevant die Studie auch für Deutschland ist, zeigt eine ebenfalls im JAMA Internal Medicine veröffentlichte Untersuchung der Berliner Charité. 70 Prozent der dort befragten Ärzte und Ärztinnen haben bereits sexuelle Belästigung bei der Arbeit erlebt. Das hat die hauseigene Watch-Protect-Prevent-Studie (WPP) ergeben, bei der 737 Mediziner des Universitätsklinikums in einer Online-Umfrage Angaben zu Grenzüberschreitungen und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz machten. Die Fragen bezogen sich auf das gesamte Berufsleben.
Die gängiste Form der Belästigung fand nach Angaben der Befragten verbal statt, also durch herablassende und sexualisierte Sprache. 76 Prozent der Ärzte gaben an, diese Form der Belästigung erlebt zu haben, Frauen hatten verbale sexuelle Belästigung etwas häufiger als Männer erlebt (83 Prozent vs. 61 Prozent). 89 Prozent derjenigen, die angaben, körperliches Fehlverhalten auf der Arbeit beobachtet zu haben, empfanden dieses auch als belästigend, 28 Prozent sogar als bedrohlich. Eine signifikanten Geschlechterunterschied gab es hier nicht. Frauen gaben an, dass sie größtenteils von Männern sexuell belästigt worden waren. 85 Prozent der Personen, die Frauen verbal belästigt hatten, waren männlich, 38 Prozent der Personen, die Männer belästigt hatten, ebenfalls. 95 Prozent der körperlichen sexuellen Belästigung war von Männern ausgegangen (vs. 13 Prozent Männer bei den Männern). In beiden Geschlechtergruppen ging die sexuelle Belästigung zumeist von Kollegen aus. Bei den befragten Frauen ging die sexuelle Belästigung laut Umfrage häufiger von Vorgesetzten aus als bei den befragten Männern (35 Prozent vs. 18 Prozent). Beide Studien geben genug Anlass, Programme zur Prävention und Intervention zu entwickeln und sollten Ärzte für die körperlichen Auswirkungen von sexueller Gewalt sensibilisieren.