Es gibt ein Phänomen, das ich immer öfter bei Patienten beobachte. Sie wollen nur das Eine von mir: meine Unterschrift.
Eigentlich bin ich ein großer Verfechter der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Arzt und Patient. Ich verwende viel Zeit darauf, meinen Patienten in „Normalsprache“ und nicht „Medizinerlatein“ zu erklären, welche Erkrankung sie haben und welche weiteren Schritte diagnostisch und therapeutisch notwendig sind. Auch wenn ein Patient später nochmal Fragen hat oder nochmal eine Entscheidung revidieren möchte, stehe ich gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Jetzt kommt das aber: Es gibt aber ein gefühlt zunehmendes Phänomen, bei dem ich echt Probleme bekomme. Nämlich, wenn meine Patienten Dinge von mir wollen, die ich medizinisch nicht verantworten kann und will.
Am häufigsten sind es medikamentöse Wünsche meiner Patienten ohne die dafür notwendigen Laborkontrollen. Natürlich bekommt niemand gern Blut abgenommen, das kann ich sehr gut verstehen. Aber erstens ist einmal jährlich echt nicht zuviel verlangt. Und zweitens und das ist mir noch wichtiger: Nein, ich verschreibe keine Bonbons.
Jedes Medikament hat erwünschte und unerwünschte Wirkungen. Beispiele gefällig? Elektrolytverschiebungen durch Blutdruckmedikamente, Nieren- oder Leberfunktionsstörungen durch Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol, Blutbildveränderungen durch Novalgin, usw. Die Liste ist lang.
Gerade Nierenfunktionsstörungen sind hier extrem wichtig, weil viele Medikamente gleichzeitig über die Niere ausgeschieden werden (sollen). Ein klassisches Beispiel dafür ist Metformin. Bei fortgeschritteneren Nierenfunktionsstörungen ist Metformin kontraindiziert, weil es zu tödlichen Laktatazidosen kommen kann. Und ja, das habe ich selbst auch einmal im Krankenhaus miterleben müssen und damals die Silvesternacht mit einer im Endeffekt vergeblichen Reanimation verbracht.
Das Problem damals: Schmerzmittel, die die Nierenfunktion gestört hatten und mangelnde Kontrolle der Nierenfunktion. Eine häufigere Kontrolle hätte dieser Patientin das Leben gerettet.
Leider scheinen zunehmend Patienten der Meinung zu sein, dass a) Pillen grundsätzlich „nicht schaden können“ und b) ich ihre Wünsche diesbezüglich auf jeden Fall zu erfüllen habe. Also quasi stellt nicht mehr der Arzt die Indikation, sondern der Patient – der Arzt muss „nur eben unterschreiben“. Und wenn das auf den expliziten Patientenwunsch geschehe, müsse ich mir da auch als Arzt keine Sorge machen, weil das ja dann ok sei.
Kurzum: Das stimmt so nicht. Wie oben schon erwähnt, haben Pillen oder Spritzen oder Salben durchaus Gefahrenpotenzial. Das eine Medikament mehr, das andere weniger. Trotzdem gilt immernoch der Grundsatz: Kein Medikament ohne Indikation und Kontrolle. Und wenn ein Medikament wirklich deutliche unerwünschte Wirkungen hat, sollte man immer erst überlegen, ob man es absetzt, bevor man dann das nächste Medikament zur Nebenwirkungsbekämpfung ansetzt.
Der Klassiker ist dann der Protonenpumpenhemmer, der als „Magenschutz“ eingefordert wird, weil man ja schon so viele Medikamente nehme. Das ist doch paradox, wegen der „vielen Medikamente“ noch eins zu geben. Ja, es gibt Situationen, da muss ein Protonenpumpenhemmer gegeben werden. Aber dieser „Magenschutz-Reflex“ ist furchtbar! Nein, nur weil man zwei Blutdruckmedikamente nimmt, braucht man keinen Magensäureblocker.
Noch besser wäre in den allermeisten Fällen (z.B. erhöhter Blutdruck, leicht erhöhte BZ-Werte, Gichtanfall) – ja genau, ihr ahnt es: die „Lifestyle“-Änderung. Sie wird in allen Leitlinien jedes Mal als erste und wichtigste Maßnahme genannt, aber meistens von Patienten und oft auch von den Ärzten leider ignoriert. Dabei habe ich bei den Patienten, die sich wirklich darauf einlassen, tolle Erfolge gesehen.
Unvergessen der Patient, der seinen Langzeit-Blutzuckerwert HbA1c innerhalb von 3 Monaten von 7,4 % auf 5,9 % senkte – ganz ohne Medikamente! „Nur“ mit einer Ernährungsumstellung! Nebenwirkung? Er fühlte sich viel besser.
Meiner Meinung nach müssten wir eher überlegen, wie wir bessere Methoden entwickeln, um mit den Patienten diese Lifestyle-Änderungen zu schaffen und nicht immer nur nach mehr Pillen rufen. Klar, die nächste Pille ist auf den ersten Blick für alle angenehmer. Ich muss nur den Rezeptblock zücken und der Patient muss nur eine Pille einwerfen.
Und es gibt auch Situationen, da geht es einfach nicht anders (z.B. Blutverdünnung bei Herzklappenersatz). Nur müssen wir wirklich aufpassen, dass nicht einfach nur immer weiter verschrieben wird, ohne dass wir bei vielen Medikamenten wirklich wissen, was wir damit kurzfristig oder langfristig im Körper machen.
Zum Thema, ob ich etwas verschreiben muss, weil der Patient es wünscht, gibt es mehrere Ebenen zu beachten. Ethisch/moralisch können Leute argumentieren, dass es dann die Verantwortung des Patienten sei. Meine Meinung ist, dass ich schon aufgrund meines ärztlichen Wissens und meiner ärztlichen Erfahrung eine andere Bewertungsmöglichkeit habe als der Patient.
Der Patient ist per definitionem nicht unbefangen. Was auch Ärzte regelmäßig bestätigen, wenn sie plötzlich selbst in der Patientenrolle sind. Da hilft einem all das Fachwissen nichts mehr, sondern man steckt emotional fest.
Außerdem kann ich einem Patienten nicht in einem kurzen Gespräch vermitteln, was ich in jahrelangem Studium und ärztlicher Erfahrung schon alles gesehen habe und weiß. Natürlich versuche ich, ihm möglichst das zu erklären, was er wissen will und was mich zu meinem Rat geführt hat. Aber der Umfang ist und bleibt zeitlich begrenzt und damit für viele Fragestellungen meines Erachtens nach unzureichend.
Das Wichtigste bleibt einfach die Sorgfaltspflicht gegenüber meinen Patienten. Sie vertrauen darauf, dass ich sie nach bestem Wissen und Gewissen und aktuellen medizinischen Standards behandle. Wenn es irgendwie geht, versuche ich dabei, die Patientenwünsche auch intensiv miteinzubeziehen.
Aber am Ende muss ich mit meinen Entscheidungen leben können. Ich trage die Verantwortung dafür, dass meine medizinischen Entscheidungen dem Patienten primär nicht schaden. Auch wenn es „nur“ um die Medikamente geht.
Bildquelle: Laura Thonne / Unsplash