Können Homöopathika gefährlich sein? Im ersten Moment will man lachen und sagen, dass zu viele Globuli höchstens für erhöhte Zuckerwerte sorgen können. Aber das ist falsch.
Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt ein homöopathisches Arzneimittel, das nach eigenen Angaben „wirksam bei Typ-2-Diabetes und Prädiabetes“ ist. Die Rede ist von Glycowohl®.
Warum das gefährlich werden kann? Mit Sicherheit gibt es Diabetes-Patienten, die den Werbeversprechen Glauben schenken und „ihre Lieblingsspeisen wieder öfter genießen (und) vielleicht sich einmal ein Stück Kuchen gönnen“¹ und „als Typ-2-Diabetiker den Zeitpunkt des Insulinspritzens herauszögern“.
Hemmungslos wieder alles essen, weniger Insulin spritzen als nötig wäre und sich auf die blutzuckersenkende Wirkung der Tropfen verlassen, kann für Diabetiker durchaus gefährlich werden.
Es handelt sich um eine Urtinktur des Jambulbaumes (Syzygium cumini). Eine Urtinktur ist die unverdünnte und noch nicht potenzierte Basis homöopathischer Arzneimittel. Sie wird üblicherweise aus frischen Pflanzen oder Pflanzenteilen, Frischpflanzenpresssaft oder selten auch getrockneten oder pulverisierten Pflanzenteilen nach den Vorgaben des Homöopathischen Arzneibuches (HAB) hergestellt. Dabei wird der Ausgangsstoff mit einer Trägersubstanz vermischt und nach einigen Tagen oder sogar Wochen filtriert. Für die Herstellung der Syzygium cumini Urtinktur wurden hier 1 Teil pflanzliche Bestandteile mit 10 Teilen Ethanol benutzt.
Zugelassen ist Glycowohl® jedoch nicht als Phytotherapeutikum, wie die Werbung uns glauben machen möchte, sondern als homöopathisches Arzneimittel. Daher darf die Firma auch mit einer Indikation werben, die sich allerdings ausschließlich aus den homöopathischen Arzneimittelbildern ableitet. Diese Feinheiten in der deutschen Fachsprache sind den Mitarbeitern in der Apotheke und den Ärzten zwar bekannt, die Allgemeinheit weiß damit jedoch nichts anzufangen. Es bedeutet, dass für den Nachweis von Verträglichkeit und Wirksamkeit homöopathische Literatur, von der Kommission D erarbeitete Monographien und Anwendungsbeobachtungen, genügen. Einen Nachweis durch klinische Studien nach wissenschaftlichen Standards müssen homöopathisch zugelassene Arzneimittel im Gegensatz zu Phytotherapeutika nicht erbringen.
Und doch wirbt der Hersteller damit, dass es Studien gäbe, die die Wirksamkeit dieser homöopathischen Urtinktur beweisen. Sie wurden jedoch bei der Zulassung als Homöopathikum nicht als Beleg für die Wirksamkeit mit angegeben².
Auf den ersten Blick wirken diese Angaben auf den Laien daher sehr seriös. Doch ein genauerer Blick auf die Studie, auf die sich die Heilpflanzen Wohl GmbH besonders häufig beruft (V. Vikrant et al., J. Ethnopharmacol,76, 2001)³, zeigt die ganze Absurdität dieser Verkaufsanzeige. Diese Studie wurde nicht an Menschen, sondern an Ratten durchgeführt. Sie enthält außerdem die bemerkenswerte Schlussfolgerung, dass nur der wässrige Extrakt in seiner höchsten Dosierung dazu in der Lage war, den durchschnittlichen Glucosespiegel der Tiere zu senken. Der alkoholische Extrakt (der ja wenigstens bezüglich der Inhaltsstoffe das Pendant zur Syzygium cumini Urtinktur wäre, aus dem Glycowohl® besteht) war dagegen wirkungslos.
Es gibt Studien zu Jambulbaumzubereitungen, die tatsächlich am Menschen durchgeführt wurden. Nur wurde keine mit dem alkoholischen Extrakt durchgeführt, sondern mit einem wässrigen Auszug der Blätter5 oder einem Pulver aus den Samenkapseln6,7,8. Die Studien sind allesamt sehr klein und in ihrer Durchführung nicht überzeugend. Teilweise unterstützten die Hersteller von Jambulbaumextrakten diese auch finanziell.
Das bedeutet, die Studienlage ist absolut nicht überzeugend. Die massive Werbung mit angeblich positiven Forschungsergebnissen des Präparates, das weder am Menschen, noch im Tierversuch getestet wurde, verstärkt den Eindruck, dass der Käufer bewusst getäuscht werden soll.
Auf der Firmenhomepage versucht der Gründer der Heilpflanzen Wohl GmbH Dr. Hari Sven Krishnan den potenziellen Käufer von Glycowohl® zu überzeugen, da es sich um ein ganz neues und innovatives Produkt handle: „Mit unserem neuen, vom BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) offiziell zugelassenen, pflanzlichen Arzneimittel Glycowohl bin ich überzeugt werden wir Millionen Deutscher Diabetiker neue Hoffnung geben im Kampf gegen diese heimtückische Erkrankung.“
Tatsächlich handelt es sich hier jedoch um ein Altarzneimittel der Harras Pharma Curarina Arzneimittel GmbH, das bereits vor über 40 Jahren auf dem Markt war4. Harras selbst setzt im Bereich der pflanzlichen Antidiabetika inzwischen mehr auf die mexikanische Hintonia Pflanze und vermarktet damit einen anderen Pflanzenextrakt, zu dem im übrigen ebenfalls noch Langzeitstudien fehlen, die verlässlich wären.
Was sagen Experten zu Glycowohl®? Der Diabetologe Dr. Dirk Hochlenert aus Köln bezeichnet Glycowohl® als „völligen Quatsch“. Die Nichtwirkung dieses homöopathischen Medikamentes sieht er durch die vorliegenden Studien bestätigt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Es hat sicherlich seine Gründe, warum ein pflanzliches Mittel als Homöopathikum zugelassen wird, weil auch hier wohl nur noch der Glaube an eine Wirksamkeit Erfolge bringen kann. Damit gesellt sich der Jambulbaum in seiner Eigenschaft als Phytotherapeutikum direkt neben den afrikanischen Baum Okoubaka aubrevillei. Auch hier wollte eine Firma nur zu gerne ein neues pflanzliches Wundermittel patentieren lassen und hat es, nachdem die ersten Studienergebnisse ernüchternd ausfielen, wohl doch lieber als Homöopathikum vermarktet.
Die Parallelen sind kaum zu übersehen – beides Mittel, die nebst anrührender Geschichte einmal aus dem fernen Indien und einmal in Afrika in der Volksheilkunst verwurzelt sind. Beides Mittel, die in ihren Heimatländern als allopathische Phytotherapeutika genutzt werden, und nach quasi gescheiterten Wirksamkeitsstudien nun hier als homöopathische Tiefpotenz verkauft zu werden. Evidenz sieht anders aus, darüber sollte auch keine noch so überzeugend aufgemachte Homepage hinwegtäuschen.
Gefährlich wird es jedenfalls dann, wenn sich an Diabetes erkrankte Menschen mit dieser scheinbar einfachen Lösung zufriedengeben. Die Lebensführung wird der Grunderkrankung nicht angepasst. Stattdessen wird, wie beworben, einfach mal ein (oder gleich zwei?) Stückchen Kuchen mehr gegessen. Einmal Insulin spritzen kann doch sicher getrost ausgelassen werden, man nimmt ja Glycowohl®. Echte Beratung funktioniert anders, und so sollte meiner Meinung nach diesem Homöopathikum kein Platz in einer öffentlichen Apotheke eingeräumt werden.
1: https://www.glycowohl.de/glycowohl/
2: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/BfArM/Publikationen/Jahresbericht2017-18.pdf?__blob=publicationFile&v=5
3: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11390126
4: https://www.harraspharma.de/glycowohl/
5: Teixera C u.a. The efficacy of folk medicines in the management of type 2 diabetes mellitus: results of a randomized controlled trial of Syzygium cumini (L.) Skeels. Journal of Clinical Pharmacy and Therapeutics (2006) 31, 1–5
6: Sahana D.A u.a. Effect of Eugenia Jambolana on Plasma Glucose, Insulin Sensitivity and HDL-C Levels: Preliminary Results of A Randomized Clinical Trial. Journal of Pharmacy Research 2010, 3:1268-1270
7: Sidana S u.a. Effect of Syzygium cumini (jamun) seed powder on glycemic control: A double-blind randomized controlled trial. J Med Soc 2017;31:185-9
8: Shivaprakash G u.a. Antioxidant potential of Eugenia jambolana seed; a randomized clinical trial in type 2 diabetes mellitus. Internation Journal of Pharma and Bio Sciences 2011; 2: B-220 – B-228
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