Unter der Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren ist das Mortalitätsrisiko insgesamt um 23 Prozent erhöht, wie eine Studie zeigt. Warum verschreiben Ärzte sie trotzdem viel zu oft und bei falschen Indikationen?*
Als Protonenpumpenhemmer (PPIs) erstmalig die FDA‑Zulassung erhielten, waren sie eigentlich für eine Einnahmedauer von bis zu max. 6 Wochen konzipiert. Doch viele Patienten nehmen die Medikamente länger ein. Warum ist die Langzeit-Einnahme problematisch?
Es gibt diverse Konstellationen, bei denen PPIs angezeigt und hilfreich sind, beispielsweise als Magenschutz während einer Stoßtherapie mit hochdosierten Steroiden oder im Rahmen einer kurzfristigen Einnahme von NSAR, etwa nach einer Operation.
In diesem Beitrag soll es nicht um ihren zweifelsohne vorhandenen Nutzen gehen, sondern um die noch immer zu wenig präsente Thematik ihres unspezifischen, breiten und vor allem langfristigen Einsatzes. Wir wollen anhand aktueller Studiendaten nachvollziehen, warum dieser problematisch ist.
Eine Bandbreite von Studien deutet auf eine Assoziation zwischen der Einnahme von PPIs und einem erhöhten Risiko für verschiedene Erkrankungen hin:1
Die möglichen, mit einer PPI‑Einnahme assoziierten Komplikationen sind also ernst zu nehmen und jede von ihnen bringt bereits einzeln einen Anstieg der Mortalität mit sich.
„Diese Substanzklasse ist möglicherweise nicht so sicher wie wir denken“, sagt Dr. Nicholas Leeper, Professor für Gefäßchirurgie an der Universität Stanford und Hauptautor der o.g. Studie zum Herzinfarkt-Risiko.16
So verwundert das Ergebnis einer Längsschnittstudie wenig, die einer großen Kohorte von Personen, bei denen erstmalig säurehemmende Medikamente angesetzt worden waren, über knapp 6 Jahre folgte: unter PPIs war das Mortalitätsrisikos insgesamt um 23 % erhöht (HR 1,23; KI 1.22 –1.24).
Der Anstieg betraf insbesondere Patienten ohne dokumentierte medizinische Indikation für PPIs und das Sterberisiko nahm mit der PPI‑Expositionsdauer zu.1 Der Zusammenhang blieb über mehrere Analysen und unter Berücksichtigung verschiedener epidemiologischer und statistischer Charakteristika stabil. Die Arbeit reproduzierte damit die Ergebnisse einer weniger aktuellen Kohorte aus einer Zeit, in der PPIs deutlich seltener eingesetzt wurden.17
Ergebnisse wie diese sollen nicht von medizinisch notwendigen Verschreibungen abhalten, sondern vielmehr deutlich machen, warum der Einsatz auf relativ klar umrissene Indikationen beschränkt erfolgen und die Notwendigkeit der Weiterführung der Medikation engmaschig überprüft werden sollte.
Die Autoren bemerken vor allem kritisch, dass PPIs von Millionen von Menschen für Indikationen und Zeiträume eingenommen werden, für die sie nie getestet oder zugelassen wurden. In manchen Ländern sind sie freiverkäuflich erhältlich, werden oft über-verordnet oder inadäquat während Krankenhausaufenthalten angesetzt und selten abgesetzt.1,18,19,20,21 Studien schätzen, dass 53–69 % der PPI‑Verordnungen ohne geeignete Indikation erfolgen, sodass der realistisch zu erwartende Nutzen die Risiken möglicherweise nicht rechtfertigt.18,22
Das sorgfältig sauer geregelte Magenmillieu „desinfiziert“ normalerweise die Nahrung als Erstes. Eine langanhaltende Blockade der Säureproduktion führt zur Überwucherung des Gastrointestinaltraktes (GIT) mit Bakterien und Pilzen, die dort in der Zusammensetzung nicht hin gehören sowie zur Störung der hydrolytischen Verdauung von Proteinen und u. a. zur Beeinträchtigung der Fähigkeit, lebenswichtige Nährstoffe und Vitamine aufzunehmen (Paradebeispiel: Vitamin‑B12-Mangel nach langjähriger PPI‑Einnahme).23
Wissenschaftler der Universität Stanford betonen jedoch, dass man sich vor allem Folgendes vor Augen führen muss: PPIs hemmen Protonenpumpen unspezifisch, nicht nur in den Parietalzellen des Magens. Die Säureproduktion in unseren Zellen hängt mit einem spezifischen Prozess zusammen, der der Bereinigung von nicht mehr benötigten Endprodukten des Metabolismus dient.
Ohne die Säurebildung kommt es zu einer Anhäufung von Toxinen, was zur Entwicklung der eingangs dargelegten Störungen beitragen könnte. „Ich glaube, wir haben jetzt eine rauchende Pistole“, meint Dr. John Cooke, PhD, Leiter der Forschungsabteilung für kardiovaskuläre Erkrankungen am Houston Methodist Hospital.24
Die Evidenzlage ist noch weit von einem detaillierten und übereinstimmenden Verständnis entfernt, aber neuere experimentelle Daten weisen in die Richtung, dass PPIs die Acidifikation in den Lysosomen hemmen, was die Protein-Homöostase (das Gleichgewicht zwischen Synthese, Faltung und kontrolliertem Abbau) empfindlich stört und zu gesteigertem oxidativen Stress, Endothel-Dysfunktion, Telomer-Verkürzung und beschleunigter Seneszenz in menschlichen Endothelzellen führt.1,25
Bewegungs- und Schlafmangel, Fehlernährung und chronischer Stress können zur Auslösung von Prozessen beitragen, die sich u. a. in Sodbrennen äußern. Viele Menschen mit Refluxbeschwerden produzieren jedoch nicht zu viel Magensäure, sondern zu wenig. Dieser Mangel (und die daraus folgende Überwucherung des GIT mit Mikrobiota) resultiert in einer Störung der Verdauung, wodurch vermehrt Gase entstehen. Diese Gase erhöhen den Druck auf den unteren Ösophagussphinkter und es kommt zum Übertritt von Magensäure in die Speiseröhre: saurem Reflux.26
Ein häufiger Grund für dieses auch als Hypochlorhydrie bezeichnete Problem sind Alterungsprozesse. Eine Übersichtsarbeit27 nennt Hypochlorhydrie als am weitesten verbreitete Veränderung des Magens bei älteren Erwachsenen, wobei Menschen über 65 Jahren das größte Risiko aufweisen. Auch Stress scheint eine Rolle zu spielen: während der Alltagsstress die Produktion von Magensäure vergleichsweise wenig beeinflusst, kann chronischer Stress zu Hypochlorhydrie beitragen. Aber auch Zink-Mangel oder bakterielle Infektionen können eine Ursache sein. Zu typischen Symptomen gehören u. a. Blähungen, Aufstoßen, Sodbrennen, Magenverstimmungen, Durchfall und Nährstoffmangel.28
Im Lancet erscheinen unter „Patient Perspectives“ immer wieder interessante Fälle und Kommentare zu PPIs und gastroöosphagealer Refluxkrankheit (GERD). In der Dezember-Ausgabe 2019 des Lancet Gastroenterology & Hepatology findet sich gerade ein genau ins Thema passender Fallbericht eines Patienten, dessen Beschwerden unter PPIs erst so richtig Feuer fingen. Der Name des Berichts: „Oh my GERD“
Das bloße Schildern von Beschwerden wie Sodbrennen hatte bei dem Patienten initial ohne weitere Abklärung zur Verschreibung von PPIs geführt hatte. Nach diversen Arztbesuchen und Dosissteigerungen schildert er: „Ich hatte immer noch chronische Beschwerden, jeden Tag. [...] Ich begann, Mahlzeiten auszulassen, um mich nicht mit den Symptomen herumschlagen zu müssen. Das war ein Problem, denn ich war bereits untergewichtig und begann, noch mehr Gewicht zu verlieren. [...] Das Schlimmste war, dass ich deprimiert war, extrem deprimiert. GERD ist weniger ein Schmerz als ein Verdruss. Eine stetige Frustration, die immer da ist und an dir nagt, bis du deine Kehle herausreißen möchtest, nur um dich nicht mehr so beengt zu fühlen. Viele Dinge geschahen in meinem Leben, aber die GERD trug definitiv dazu bei, dass ich langsam in eine Depression rutschte.“29 Nachdem der Patient sich von seinem Arzt weder richtig abgeklärt, noch betreut fühlte, setzte er die PPIs irgendwann eigenständig ab und nun, etwa 2 Jahre später, geht es ihm besser.
Ergebnisse national repräsentativer Daten aus der 'National Health and Nutrition Examination Survey' zeigten eine Verdopplung der PPI‑Verordnungen in den USA von 3,8 % im Jahr 1999/2000 auf 7,8 % im Jahr 2011/2012, obwohl keine Verbreiterung der Indikationen stattgefunden hat.17 Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 3,475 Mrd. definierte Tagesdosen von PPIs verschrieben.30PPIs gehören damit zu den umsatzstärksten Substanzklassen, bspw. war Nexium vor einigen Jahren mit fast 6 Mrd. Dollar Jahresumsatz31 eines der profitabelsten Medikamente überhaupt und hat (seit seiner Einführung 2001 bis 2017) knapp 62 Mrd. Dollar Einnahmen generiert.32
Neue Studien deuten in großer Zahl darauf hin, dass die Behandlung mit PPIs oft ungeklärte physiologische Probleme maskiert und weitere Komplikationen verursacht. Komplexe gastrointestinale Beschwerden erfordern eine umfassende Abklärung und eine breit gefächerte Herangehensweise.33
Wichtig ist es auch, mit den Patienten über mögliche Absetzphänomene zu sprechen. Langwirksame PPIs können sowohl eine Hypochlorhydrie mit den entsprechenden Beschwerden verursachen als auch das Gegenteil. Insbesondere nach Langzeit-Einnahme können eine Hypersekretion von Magensäure („acid rebound“) und langwierige Dyspepsie auftreten.34 Der Magen kann eine Zeit lang mehr Säure als normal bilden, bevor sich wieder normale Level einstellen. Im Moment der Entwöhnung können PPIs also GERD-Beschwerden verschlimmern oder Refluxsymptome bei Patienten auslösen, die zuvor keine hatten, was nicht selten Anlass zu einem erneuten Griff zum Medikament und Dauergebrauch gibt.
Bildquelle: JR Korpa, Unsplash
* Hinweis der Redaktion:Unsere Autorin Dr. Sophie Christoph hatte für den Artikel folgende Überschrift vorgeschlagen: Die saure Seite der PPIs. Wir als Redaktion haben den Aspekt mit der Mortalität in den Mittelpunkt gestellt und die Überschrift dahingehend geändert. Viele Grüße von Maria Braun, Chefredaktion