Menschen, die Gewicht verlieren wollen, setzen häufig auf eine eiweißreiche Ernährung. Experten warnen jedoch bestimmte Patientengruppen vor den fatalen Folgen dieser Diät.
Zunächst ein Trend innerhalb der Fitnessbranche hat das Dogma der eiweißreichen Ernährung unlängst den Mainstream erreicht. Mittlerweile finden sich in jedem gut sortierten Supermarkt Proteinriegel. Eine eiweißreiche Ernährung gilt als gesund und soll in Kombination mit einer Vermeidung von Kohlenhydraten beim Abnehmen helfen, ohne dass sich die Muskelmasse verringert. Aber kann so eine Diät ärztlich empfohlen werden? In bestimmten Fällen lautet die Antwort Nein.
Menschen, die an Diabetes leiden oder übergewichtig sind, wird oft zu einer eiweißreichen Diät geraten. Laut dreier Nephrologen der Zeitschrift „Nephrology Dialysis Transplantion“ sind allerdings gerade diese Personengruppen besonders anfällig für die nierenschädigenden Auswirkungen einer hohen Proteinaufnahme. Es sei daher an der Zeit, dass Credo der proteinreichen Ernährung genauer zu prüfen.
Prof. Denis Fouque, ehemaliger Vorsitzender der European Renal Nutrition Working Group, unterstützt die Studienaussagen der Nephrologen und erläutert: „Eine eiweißreiche Ernährung führt zu einer glomerulären Hyperfiltration, die nach unserem derzeitigen Kenntnisstand eine bereits bestehende chronische Nierenerkrankung von geringem Schweregrad verstärken kann […]. Möglicherweise erhöht sie sogar das Risiko für De-novo-Nierenerkrankungen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Empfehlung einer proteinreichen Diät an einen übergewichtigen Diabetespatienten kann zwar zu Gewichtsverlust, aber auch zu einem schweren Verlust der Nierenfunktion führen. Wir wollen das eine und bekommen zusätzlich das andere.“
Die Experten stimmen in ihrer Schlussfolgerung überein, dass die Empfehlung einer eiweißreichen Ernährung zur Gewichtsreduzierung für Personen mit nur einer Niere, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas oder Diabetes ungeeignet ist. Sie beziehen sich dabei auf die Erkenntnisse zweier Studien aus der oben genannten Zeitschrift.
So zeigte die Analyse einer Gruppe von niederländischen Patienten nach Myokardinfarkt einen streng linearen Zusammenhang zwischen der täglichen Proteinaufnahme und der Abnahme der Nierenfunktion: Die Erhöhung der Gesamtproteinaufnahme um 0,1 g/kg Idealgewicht war mit einem Rückgang der glomerulären Filtrationsrate (GFR) um ‑0,12 ml/min/1,73 m² assoziiert (95 % Konfidenzintervall -0,19/-0,04). Dabei machte es keinen Unterschied, ob es sich um tierisches oder pflanzliches Protein handelte. Bei Patienten mit einer hohen täglichen Gesamtproteinaufnahme von mehr als 1,20 g/kg Idealgewicht fiel die Abnahme der GFR mit durchschnittlich -1,60 ml/min/1,73 m² fast doppelt so hoch aus wie in der Gruppe mit der niedrigsten Proteinaufnahme (‑0,84 ml/min/1,73 m²).
Eine südkoreanische Studie mit 9226 Teilnehmern aus der Allgemeinbevölkerung kommt zu ähnlichen Erkenntnissen, obwohl hier keine Risikogruppe betrachtet wurde: Im Quartil der Probanden mit der höchsten Proteinaufnahme wurde 3,48-fach häufiger eine glomeruläre Hyperfiltration beobachtet als im niedrigsten Quartil (95 % Konfidenzintervall 1,39/8,71). Auch hier nahm die GFR umso mehr ab, je höher die Proteinaufnahme war. Im höchsten Quartil kam es 1,32-fach häufiger zu einem schnellen Rückgang der GFR von mehr als 3 ml/min/1,73 m²/Jahr (95 % Konfidenzintervall 1,02/1,73).
Dass eine eiweißreiche Ernährung die Nierenfunktion beeinträchtigen kann, ist nicht neu. Patienten mit einer diagnostizierten chronischen Nierenerkrankung wird deshalb eine eiweißarme Ernährung empfohlen.
Fouque und seine Kollegen sehen allerdings ein Problem darin, dass bei Menschen, die unwissentlich an einer chronischen Niereninsuffizienz leiden, der Glaube an eine proteinreichen Ernährung mit fatalen Folgen einhergehen könnte. „Diese Menschen wissen nicht, dass sie die Überholspur zum irreversiblen Nierenversagen nehmen“, sagt Fouque. Mit einer Informationskampagne wollen er und seine Kollegen die Bevölkerung für einen bedachten Umgang hinsichtlich einer eiweißreichen Ernährung sensibilisieren. „Es ist wichtig, dass die Menschen erfahren, dass eiweißreiche Diäten eine zweite Seite haben und Nierenerkrankungen immer ausgeschlossen werden sollten, bevor man seine Essgewohnheiten hin zu einer proteinreichen Diät ändert.“
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