Die Schaufensterkrankheit ist eine lebensgefährliche Durchblutungsstörung. Doch nur etwa die Hälfte der Patienten erhält Statine, kritisieren US-Forscher. Sind Statine allein wirklich die Lösung? Ein Gefäßchirurg spricht Klartext.
Sie hat sich zur Volkskrankheit entwickelt: die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) oder Schaufensterkrankheit. Seit einigen Wochen liegen neue Erkenntnisse vor. Die Autoren einer US-Studie warnen, dass pAVK-Patienten viel zu oft nicht die Medikation erhalten, die sie brauchen. Auch in Deutschland ist die Situation alles andere als optimal, findet Tom Hammermüller, Chefarzt im Gefäßzentrum Niederlausitz. Mit ihm haben die DocCheck News über Dinge gesprochen, die sich im Umgang mit der Erkrankung dringend ändern müssen.
Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit handelt es sich um ein Krankheitsbild, das durch fortschreitende Stenosierung bzw. den Verschluss (Okkludierung) der arteriellen Arm- oder (häufiger) Beingefäße entsteht. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter. Jeder fünfte über 65-Jährige in Deutschland ist betroffen. Die pAVK ist nicht heilbar, durch die Behandlung soll ein Fortschreiten verlangsamt und der Extremitätenverlust vermieden werden.
Kürzlich erschien eine Studie zur Schaufensterkrankheit. US-Forscher identifizierten über 4.300 pAVK-Patienten, die irgendwann im Zeitraum zwischen Januar 1999 und Dezember 2013 eine Diagnose erhalten hatten. Sie wurden mindestens drei Jahre begleitet oder sie verstarben schon vor Ende der drei Jahre. Die Forscher definierten hierfür eine 3-Jahres-Rate, um die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder Todesfalls zu errechnen. Insgesamt war eine Verschreibung von Statinen mit einer niedrigeren 3-Jahres-Rate für Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod von 23,5 % zu 18,9 % assoziiert. Der Wert sank sogar auf 14,3 %, wenn es sich um eine Verschreibung einer intensiven Statintherapie (engl. „high intensity“) handelte. Die laut Autoren schlechte Nachricht: Nur ein Drittel dieser Patienten erhielt nach pAVK-Ereignissen überhaupt eine Verschreibung für Statine, davon bekamen nur 11 % eine intensive Statintherapie.
Im Vergleich zu 1999 erhielten pAVK-Patienten im Jahr 2013 häufiger eine Medikation. In Fünf-Jahresschritten waren es 1999 noch 17 %, dann 37 % und im Jahr 2013 dann 48 Prozent. Aber: Damit liegen pAVK-Patienten trotzdem deutlich hinter anderen, betonen die Forscher. Zum Vergleich: Bei zerebrovaskulären Erkrankungen (z.B. Schlaganfall) sind es 74 %, bei koronaren Herzerkrankungen (z.B. Herzinfarkt) sogar 93 %. Mit diesem Wert sind die Studienautoren sehr unzufrieden. Auch bei den pAVK-Patienten sei es notwendig, „Zahlen im 90-Prozent-Bereich zu erreichen“, fordert Studienleiter Anderson.
Mit Statinen machen Pharmaunternehmen ein großes Geschäft, denn in der Behandlung spielen sie eine bedeutende Rolle. „Statine sind eine erfolgversprechende Behandlungsoption mehr für uns, einige Studien wollen sogar den Rückgang von Gefäßerkrankungen damit belegen“, sagt Tom Hammermüller im Gespräch mit DocCheck News. „Natürlich verdient die Pharmaindustrie damit Geld, darin sehe ich aber keinen Grund, Patienten notwendige Medikamente vorzuenthalten. Der bekannte Fernsehbeitrag zur Cholesterinlüge hat hier eigentlich nur eine Neiddebatte befeuert und Behandler wie Patienten verunsichert“, so der Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie.
Nicht immer sind Statine die beste und schon gar nicht die einzige Lösung. „Statine allein, beziehungsweise eine ausschließlich medikamentöse Behandlung reichen selbstverständlich nicht aus“, so der Arzt. „Die Basisbehandlung der Atherosklerose mit Lifestylewechsel und vor allem das Minimieren von Risikofaktoren der pAVK, der Nikotinverzicht sowie eine gesunde Ernährung sind unverzichtbare Bestandteile der Behandlung.“
Fest steht: Auch in Deutschland haben wir ein enormes Versorgungsproblem bei der Schaufensterkrankheit, wie uns Hammermüller bestätigt. Warum kommen diese Patienten häufig zu kurz?
Die Herausforderung fängt bereits bei der Diagnose an, erklärt der Experte. Denn häufig verläuft die pAVK erst asymptomatisch. Wenn Beschwerden auftreten und die Patienten wegen Durchblutungsstörungen einen Arzt aufsuchen, ist die Erkrankung bereits fortgeschritten. „Patienten stellen sich in unserem Gefäßzentrum häufig erst (zu spät) mit einer dekompensierten Durchblutungsstörung bzw. bereits wegen peripherer Läsionen vor“, erzählt Hammermüller aus eigener Erfahrung.
„Wichtig ist in meinen Augen der Unterschied zwischen Schaufensterkrankheit als symptomatische pAVK im Stadium II gegenüber der pAVK ohne Symptome im Stadium I“, so der Arzt. Bei Diabetikern werde zudem häufig das Stadium II, also die Schaufensterkrankheit manchmal sogar das Stadium III (Schmerzen in Ruhe) übersprungen, da sie bereits Gefühlsstörungen wie z.B. Taubheit an den Füßen durch den Zucker haben. „Diabetiker kommen also gar nicht so selten erst mit abgestorbenen Zehen oder Wunden, die nicht mehr zuheilen im Stadium IV zum Gefäßspezialisten.“
Die meisten Patienten besuchen erfahrungsgemäß erstmal den Hausarzt und landen dann per Überweisung beim Gefäßspezialisten. Hausärzte werden bei ihren Patienten in der Regel auf erste klinische Hinweise aufmerksam wie zum Beispiel kühle blasse Haut. „Bei Verdacht auf eine pAVK sollte zunächst der Pulststatus der Extremitäten im Seitenvergleich erhoben werden sowie eine Verschlußdruckmessung erfolgen“, sagt Hammermüller. Dabei wird der Blutdruck an den Armen mit dem an den Beinen verglichen. Ist er am Bein niedriger, besteht ein Hinweis auf eine Durchblutungsstörung der Beine. Als nächster Schritt wäre dann eine farbkodierte Duplexsonographie der Extremitätenarterien notwendig.
Ab hier übernimmt in aller Regel ein Gefäßmediziner. Er klärt den Verdacht einer pAVK und weitere Behandlungsschritte ab. Wenn sich eine pAVK nachweisen lässt, folgt eine kardiovaskuläre Umfelddiagnostik wie zum Beispiel eine kardiale Belastungsuntersuchung sowie eine medikamentöse Sekundärprophylaxe, erklärt Hammermüller. Außerdem ist eine Lifestyleanpassung notwendig. Risikofaktoren müssen minimiert werden. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen durch einen Gefäßmediziner dokumentieren dann den Therapieerfolg oder stellen rechtzeitig z.B. die Indikation zur weiterführenden invasiven Diagnostik und/oder Therapie bei Progredienz der pAVK.
Ausschlaggebend ist der richtige Behandlungszeitpunkt, betont Hammermüller. „Für uns Gefäßmediziner gilt der Plaque als primäres Ereignis. Sobald wir im Ultraschall Plaques erkennen, beginnen wir, ASS und Statine zu geben.“ Es geht also nicht erst los, sobald Beschwerden oder ein Schlaganfall eingetreten sind. „Kalkplaques sind nichts Natürliches. Das ist kein natürliches Gefäßaltern, sondern bedarf einer Basistherapie.“
Was die Medikation betrifft, setzt man auf eine Kombination von Acetylsalicylsäure, die verhindert, dass die Blutplättchen sich anlagern und Statinen, die zur Stabilisierung der Plaques und beitragen. „Als dritte Komponente kommen langsam die neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) hinzu“, erklärt Hammermüller. Der COMPASS-Studie aus dem Jahr 2018 zufolge kann mit der zusätzlichen Gabe eine Risikoreduktion von bis zu circa 40 Prozent erreicht werden. „Diese Ergebnisse sind sehr neu und man muss jetzt sehen, ob sie sich in der Praxis bestätigen. Wir setzen die Dreier-Kombination vorerst bei Hochrisikopatienten sein“, sagt Hammermüller und meint damit vorwiegend junge Betroffene mit schneller Progredienz. Hier müsse man individuell von Fall zu Fall abwägen.
Zur Therapie gehört außerdem ein angiologisch begleitetes Training, bei dem Patienten z.B. spezifische Fußheberübungen lernen. Dabei werden bestimmte Muskelgrupen trainiert und dadurch den Gefäßen beigebracht, mit weniger Blut zurechtzukommen. „Kleine Gefäße werden geweitet und kompensieren den unzureichenden Blutfluss stenosierter oder verschlossener Arterien, der Langzeiteffekt ist hier meist besser als bei einer Operation“, wie Hammermüller betont. Jede Bewegung zählt: „Das begleitete Training ist zwar wirksamer als Eigentraining, aber Eigentraining ist besser als gar kein Training.“
Das war der erste Teil zur Schaufensterkrankheit. Im zweiten Teil geht es um viel zu unbesorgte Patienten, Versorgungslücken und darum, dass es die Dänen wohl mal wieder besser machen.
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