Wer schuld daran ist, dass Hepatitis C überhaupt noch existiert? „Fingerpointing bringt hier nichts“, sagt ein Arzt. Trotzdem: Wenn es um HCV geht, wird es emotional.
Eigentlich will die WHO Hepatitis C schon bald jenen Krankheiten zuordnen, die es nicht mehr gibt. Fakt ist: Weltweit sind 71 Millionen Menschen chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert, das entspricht etwa 1 Prozent der Weltbevölkerung. In Europa sind es immerhin 14 Millionen chronisch mit HCV infizierte Personen.
Ein Ort, an dem sich ein wesentlicher Teil dieser Menschen aufhält, wird in der Diskussion gerne vergessen: Das Gefängnis. Kaum ein Thema beschäftigt Anstaltsärzte so sehr wie Hepatitis C. Besonders gut lässt sich das auf Kongressen zum Thema beobachten wie etwa auf den Gefängnismedizin-Tagen in Frankfurt gegen Ende des Vorjahres.
Immer wieder geht es auf der Veranstaltung um die mutige Zielsetzung der WHO: Hepatitis C soll bis zum Jahr 2030 eliminiert werden, wenn es nach der Weltgesundheitsorganisation geht. Davon sei man in der Gefängnismedizin weit entfernt, weil die Justizvollzugsanstalt (JVA) bei diesem Vorhaben nicht mitgedacht wird, kritisiert Vortragender Prof. Jörg Pont. Und das, obwohl Deutschlands Gefängnisse als „Brutstätten für Hepatitis C“ bezeichnet werden. Immerhin soll etwa ein Drittel aller Insassen mit dem Virus infiziert sein. Getestet und behandelt wird davon nur ein kleiner Teil. Die Lage müsse sich bessern, in diesem Punkt sind sich alle Kongressteilnehmer, die sich zu Wort melden, einig. Was läuft hier falsch und wer ist schuld?
Hepatitis C ist eine Erkrankung der Leber, die durch den HC-Virus ausgelöst wird. Ein großer Teil der Betroffenen entwickelt eine Zirrhose oder ein Hepatozelluläres Karzinom. Die Krankheit verläuft häufig asymptomatisch. In der Leitlinie ist hierzu nachzulesen: „Bei der Mehrzahl der chronisch HCV-infizierten Patienten unter Langzeitdialyse ist die HCV-Infektion asymptomatisch. Trotz normaler Transaminasen haben jedoch 80-90 % der Patienten eine histologisch nachweisbare chronische Hepatitis.“
Eine Ansteckung erfolgt über kleine Mengen von Blut, etwa bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder Drogenmissbrauch per Injektion. Noch gibt es keine Impfung gegen den Virus. Aber er lässt sich mittlerweile gut behandeln. Ein austherapierter Patient ist für sein Umfeld nicht mehr ansteckend. Die dekompensierte Zirrhose stelle hier ein Risiko dar, die kompensierte Zirrhose sei aber behandelbar, wie auf dem Kongress erklärt wird. Hier sei eine Heilungsrate von 90 Prozent erzielbar.
Das sind die Fakten. Nun zu den Problemen, die Anstaltsärzte mit der Erkrankung im Gefängnis haben. Wiederholt wird auf dem Kongress betont, dass von dem infizierten Drittel der Insassen nur ein Bruchteil erkannt, gescreent und behandelt wird. Auf diese Weise lässt sich das kühne Ziel der WHO nicht erreichen. Warum läuft es nicht so richtig? Das ist die Frage, die alle Anwesenden beschäftigt. „Fingerpointing bringt gar nichts“, betont einer der Vortragenden. Trotzdem: Wer für diesen Zustand verantwortlich ist und wie man die Situation verbessern soll, dazu gibt es ganz unterschiedliche Ansichten. Folgende Streitpunkte kommen zur Sprache:
Das Ausheilen. Ein Aspekt, der in der Betrachtung von HCV wesentlich ist und unter Ärzten für Verunsicherung sorgt: Bei einem mehr oder weniger großen Teil der Infizierten heilt die Krankheit von selbst aus. Zwischen 20 und 50 Prozent findet man unterschiedliche Angaben. „42 % der Erkrankten heilen von alleine aus“, sagt etwa Vortragender Prof. Manfred Wiese. „Wie lange ist es legitim, zu warten und eben nicht zu behandeln?“ will jemand aus dem Publikum von ihm wissen. „Durch Blut nehmen und Kontrollen wartet man lange genug zu, man muss es aber eben verfolgen“, so Wieses Antwort. Diese Kontrollen scheinen allerdings in vielen Fällen nicht stattzufinden, wie aus der Debatte hervorgeht. Sollte man also prinzipiell direkt behandeln? Für diese Handhabung finden sich zumindest auf der Veranstaltung einige Befürworter. „Egal, ob die Haftzeit 3 Wochen oder 5 Jahre dauert, man muss HCV behandeln“, auch um zu vermeiden, dass es in der Haft zu Neuinfektionen komme, sagt Anja Wolff, psychosoziale Beraterin.
Die Kosten. „Nur wenige Hepatitis-C-Patienten werden tatsächlich behandelt“, sagt einer der Symposiumteilnehmer. Wenn man nachfrage, warum, gehe es häufig um Kosten. In der Regel wird über einen Zeitraum von etwa 12 Wochen medikamentös behandelt. Eine besonders hohe Heilungsrate (90-95 %) haben die HCV-Polymerase-Inhibitoren wie Sofosbuvir in Kombination mit Ribavirin. Wie gut die Kombinationstherapie wirkt, ist vom Genotyp des Virus abhängig. Kostenfaktor: Um die 26.000 Euro, heißt es auf dem Konress. „Manche denken, 26.000 Euro sind eine teure Therapie, das ist dieser Gefangene nicht wert“, erzählt Dr. Gero Moog. „Erstens ist dieser Gedanke unethisch. Und zweitens, nicht unbedingt zutreffend.“ Dafür erhält er im Publikum viel Zuspruch. „Das ist nicht teuer, man sehe sich Krebspatienten an“, meldet sich ein Arzt zu Wort. Nachhaltig lasse sich Geld sparen, weil man ja niemanden mehr behandeln muss, wenn es kein Hepatitis C mehr gibt, argumentiert Moog.
Der Austausch. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient könnte besser sein, finden vor allem jene, die als Dritte in einer Art Beobachterrolle sind. Dazu zählen unter anderem Suchtberater, Sozialarbeiter oder psychologisch Betreuende. „Es wird zu wenig gemacht, um den Häftlingen zu erklären, was die Krankheit ist, was die Therapie ist und dass sie kaum Nebenwirkungen hat“, sagt Sozialarbeiter Thomas Walker auf dem Symposium. Warum so wenige HCV Patienten behandelt wurden und werden, fragt er in die Runde. Es sei zu wenig Zeit dafür, antwortet Dr. Wiese. „Die Ärzte kommen nicht ins Gefängnis, es herrscht ein dramatischer Ärztemangel. Ich selbst habe 17.000 Überstunden.“
Ein Arzt im Publikum spricht die Problematik an, bei Patienten auf wenig Interesse und Akzeptanz zu stoßen. Schließlich ist für Test und Therapie das Einverständnis des Patienten notwendig. Es liege aber auch an der Argumentation und Motivation des Arztes, ob der Patient mitmacht, argumentiert ein Vortragender: „Man muss einen geeigneten Zeitpunkt finden. Dieser ist wahrscheinlich nicht in den ersten Tagen des Gefängnisaufenthalts, wenn der Insasse zu viel im Kopf hat. Man muss sich die Frage stellen: Wann, wo und wie krieg ich den Einzelnen?“
In den Köpfen von Insassen würden noch viele Irrtümer herumgeistern, was die Behandlung des Virus betrifft, so ein Vortragender. Man müsse ihnen klarmachen, dass eine Therapie weder aufwendig noch schmerzhaft sei. Andere wiederum wüssten überhaupt nichts von der Existenz dieser Krankheit und darüber, dass sie Anspruch auf ein Screening und eine Behandlung haben, erklärt eine Person im Publikum, die in der Suchtberatung tätig ist. Der Arzt müsse hier versuchen, zum Patienten durchzudringen. Dabei solle er auch auf die Mithilfe der Insassen setzen, wie ein Arzt aus Sachsen einwirft. Er meint damit das Peer-group-Prinzip: „Die Gefangenen wissen teilweise mehr als die Bediensteten. Einer, der Screening und Therapie schon gemacht hat, erklärt es den anderen. Man muss Beispiele schaffen, an dem sich andere orientieren können.“
Im Plenum kommt die Frage auf, ob es denn Schulungen für Bedienstete gebe. Jemand im Publikum spricht die imaginäre Infektionsangst an, da man als Bediensteter oft mit Blut der Insassen in Kontakt komme. Genau das sollte sich doch umso günstiger auf das Vorhaben, HCV zu eliminieren, auswirken, so ein Vortragender. Viele Vorschläge zur Verbesserung der Situation finden in der Diskussion Erwähnung. Man solle Hepatitis C auch schon während der Ausbildung einen großen Platz einräumen. Man könne über den Einsatz von geschulten Berater nachdenken, wie es sie unter anderem in Portugal gibt, die von außen (z.B. aus Drogenbehörden oder von der Aidshilfe) zum Informieren in die Strafanstalt kommen.
Doch auch bestehende Strukturen könne man verbessern. Aufgrund des Ärztemangels helfen in vielen JVAs Vertragsärzte aus, die stundenweise in die Gefängnisse kommen. In manchen Bundesländern gebe es fast nur noch Vertragsärzte, wie auf der Tagung erläutert wird. „Vertragsärzte oder Honorarärzte kommen für eine Stunde vorbei und haben HCV nicht auf dem Schirm“, gibt ein Kongressteilnehmer auf dem Symposium zu bedenken. „Die Schnittstelle ist der Anstaltsarzt und der entscheidet, ob behandelt wird oder nicht. Es reicht nicht, dem Facharzt einfach einen Zettel in die Hand zu drücken.“ In vielen Fällen scheitert es also am Dialog – zwischen Arzt und Patient, scheinbar aber auch unter den Medizinern selbst.
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