Der Abhängige erhält eine Tablette. Doch das Substitutionsmittel schluckt er nicht herunter, er hat damit anderes vor. Dieser Teufelskreis des Tauschhandels kann gestoppt werden, indem man Buprenorphin als Depot unter die Haut spritzt.
In der Drogenersatztherapie spielt das Opioid Buprenorphin eine immer größere Rolle. Setzten Ärzte bei der Substitution jahrzehntelang auf Methadon, sehen sie in der neuen Substanz eine vielversprechende Alternative. Vor allem seit es das Analgetikum nicht nur in Tablettenform gibt. Mit Kerstin Generotzky habe ich über das große Potenzial von Buprenorphin gesprochen. Sie arbeitet als Anstaltsärztin in der JVA Kassel in einem der wenigen Teams, das schon Erfahrung mit dem Buprenophin-Depot-Präparat gemacht hat.
Generell stehen zum Substituieren mehrere Substanzen zur Verfügung, die wichtigsten sind aber Methadon und Buprenorphin. Erstmal differenziert Generotzky beim Methadon zwischen unterschiedlichen Varianten. So unterscheidet man zwischen dem linksdrehenden Levomethadon und dem rechtsdrehenden Dextromethadon. Das D-Methadon ist ein potentes Antitussivum, doch es besitzt beinahe keine analgetische Potenz. Beim L-Methadon (Handelsname L-Polamidon®) ist diese Potenz allerdings sehr hoch.
In Europa und den USA hat sich das rac-Methadon durchgesetzt. Es handelt sich um ein Racemat, ein Gemisch gleicher Anteile an links- und rechtsdrehender Moleküle, also sogenanntes D-L-Methadon. Es ist aber auch Levomethadon erhältlich, das doppelt so stark analgetisch wirksam ist wie rac-Methadon und dementsprechend halb so hoch zu dosieren ist. Das rac-Methadon ist in Deutschland in Form von Tabletten (Methaddict®) beziehbar, Levomethadon kommt als Heroinsubstitution oder starkes Schmerzmittel in Form von Tabletten oder einer Injektionslösung zum Einsatz – beides natürlich verschreibungspflichtig. „In Deutschland wird in etwa folgendermaßen substituiert: 39 % Methadon, 35 % L-Polamidon® (Levomethadon), 23 % Buprenophin“, fasst Generotzky zusammen.
Darüber hinaus gibt es noch Heroin selbst (Diamorphin) für Schwerstkranke, welches unter Aufsicht gespritzt wird, laut Generotzky jedoch für sehr langjährig Abhängige nur in manchen Großstädten verfügbar ist. Zuletzt nennt die Ärztin noch retardiertes Morphin und Codein. Allerdings erhalte nur ein Prozent aller Substituierten eine solche Behandlung. „Diese drei Substanzen spielen prozentual quasi keine Rolle“, erklärt sie.
Ob die Wahl nun auf Methadon oder auf Buprenorphin fällt, hängt davon ab, welche Wirkungsweise bevorzugt wird. Sowohl unter Ärzten als auch unter Patienten ist die Präferenz unterschiedlich. „Man hat jetzt zwei Optionen, aus denen man wählen kann, das entspricht eher dem Äquivalenzprinzip als die Situation davor. Der Wunsch nach Buprenophin unter den Gefangenen war groß“, erklärt Generotzky in einem Vortrag auf den Gefängnis-Medizin-Tagen in Frankfurt. An dieser Stelle meldet sich ein anderer Anstaltsarzt zu Wort. Es seien zu viele Auswahlmöglichkeiten für Insassen und es entstehe eine „Ich brauch dies, ich brauch das“-Mentalität. Stattdessen biete er nur eine Substanz an. „Wenn ich nur ein Präparat anbiete, sind Zufriedenheit und Akzeptanz höher“, argumentiert er. „Jeder Patient braucht etwas anderes, manche wollen einen klaren Kopf, weil sie wieder arbeiten wollen“, entgegnet ihm ein Kollege. Dafür erhält er Applaus im Publikum.
Tatsächlich ist die Wirkungsweise der beiden Substanzen sehr unterschiedlich. „Methadon besetzt die Opiatrezeptoren. Es hat eine dämpfende Wirkung, die von den Abhängigen oft gewünscht ist“, erklärt Generotzky. Reize können nicht so stark in das Bewusstsein vordringen. Ein Kick wie bei Heroin fehlt jedoch. Bekannte Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Depression, Schwitzen oder Verstopfung. der Atemantrieb wird gehemmt, es kann zu Übelkeit und Brechreiz kommen.
Im Vergleich wirkt Buprenorphin weniger dämpfend. „Man ist deutlich klarer und wacher. Die Entgiftung ist einfacher“, berichtet die Anstaltsärztin von ihren Erfahrungen mit abhängigen Insassen. Die Nebenwirkungen sind ähnlich wie beim Methadon. „Es sollte bei beiden Medikamenten auch immer eine Herzschrift kontrolliert werden, da die Herzreizleitung gestört werden kann, insbesondere in Kombination mit anderen Medikamenten“, betont sie.
In der Justizvollzugsanstalt Kassel 1 wurde bis Anfang 2019 nur mit Methadon substituiert, das Buprenorphin-Depotpräparat Buvidal® erstmals im April 2019 eingesetzt und seither für geeignete Gefangene als Substitut verordnet. Der wesentliche Unterschied zu gewöhnlichem Buprenorphin in Tablettenform ist, dass die Substanz injiziert wird. Circa ein Viertel aller Substituierten werden nun mit Buvidal behandelt.
Wöchentlich oder monatlich wird dem Substituierenden eine Lösung als Depot subkutan injiziert. Ab diesem Zeitpunkt wird das Präparat dann kontinuierlich freigesetzt. Die Lösung basiert auf natürlichen Lipiden (fluid Chrystal). Zwar ist diese Art der Gabe deutlich teurer als die Verabreichung von Tabletten, doch sie bietet auch eine Reihe von Vorteilen. Eine Spritze pro Woche kostet 100 Euro, egal welche Dosis sie enthält. „Das Depot-Buprenorphin gibt den Abhängigen ein Stück Freiheit zurück“, sagt Generotzky. Abhängige müssen nicht täglich einen Arzt aufsuchen. Sie haben die Möglichkeit, sich räumlich und gedanklich von der Drogen-Szene zu befreien. „Man hat dadurch ein paar Wochen Spielraum. Selbst wenn der Patient nach Entlassung direkt zwecks Drogenkonsum einen Bahnhof aufsucht, hält Buprenophin die Rezeptoren etwas ab.“
Überdosierung, Missbrauch und Verkauf des Substituts, all diese Punkte sind damit ausgeschlossen. Tabletten hingegen lösen sich im Mund langsam auf, der Einnehmende kann sie leicht wegschaffen und damit dealen. „Das ist ein großes Problem bei der Take-Home-Vergabe von Buprenorphin und Methadon. Der Graumarkt floriert für alle zentralwirkenden Medikamente. Als Arzt sollte man sich dazu verpflichtet fühlen, diesen Graumarkt nicht weiter anzufüttern“, betont die Medizinerin.
Allerdings sieht sie das Problem nicht nur auf Seiten der Drogenabhängigen, sondern auch in der Kollegschaft. „Drogen sind ein großes Geschäft. Leider habe ich manchmal den Eindruck, dass die Substitution auch für Ärzte nur ein Mittel zum Geldverdienen darstellt. Sie hilft nicht, Leute von Drogen, damit verbundenen Krankheiten, Illegalität und Kriminalität fernzuhalten. Das Depot ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.“
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash