Bei der Hauptstammstenose sind Bypass oder Stent gleichwertige Verfahren. So das Ergebnis einer Studie. Doch offenbar haben die Autoren wichtige Ergebnisse verschwiegen – mit verheerenden Folgen.
Eine Hauptstammstenose war lange Zeit eine klare Indikation für eine Bypass-Operation. Doch immer häufiger behandeln Kardiologen die Stenose über die perkutane koronare Intervention (PCI). Ob diese zwei Verfahren gleichwertig sind, hat die EXCEL-Studie untersucht. Jetzt berichtet die BBC: Wichtige Ergebnisse der Studie sollen verschwiegen worden sein.
An der EXCEL-Studie nahmen knapp 2000 Patienten aus 17 Ländern teil, die Stenosen im Hauptstamm der linken Koronararterie aufwiesen. Bei der Hälfte der Patienten wurde ein Stent mittels PCI implantiert, die andere Hälfte erhielt eine Bypass-Operation. Primäre Endpunkte waren Myokardinfarkt, Schlaganfall und Tod. Nach dreijähriger Nachbeobachtungszeit veröffentlichten die Autoren um Gregg Stone die Ergebnisse im New England Journal of Medicine. Demnach seien die beiden Behandlungsmöglichkeiten hinsichtlich des kombinierten Endpunkts gleichwertig.
Offenbar publizierten die Autoren aber nur einen Teil ihrer Ergebnisse, heißt es in einem Bericht der BBC. In der Studie würde das Auftreten eines Herzinfarkts nur anhand einer Definition gemessen und nicht, wie anfangs geplant, anhand zwei verschiedener Definitionen. Gemäß der universellen Definition liegt ein Herzinfarkt vor, wenn ein Anstieg eines kardialen Biomarkers, vor allem Troponin, vorliegt und zusätzlich das EKG oder die Bildgebung auffällig ist. Die Definition der Society for Cardiovascular Angiography and Interventions (SCAI) sieht lediglich einen Bluttest vor. Welche Definition besser zum Nachweis eines Herzinfarkts geeignet ist, ist allerdings umstritten. Die Autoren haben laut BBC nur die Ergebnisse gemäß der SCAI-Definition veröffentlicht.
Doch der BBC liegen auch die unveröffentlichten Ergebnisse der universellen Definition vor, heißt es in dem TV-Bericht. Gemäß der universellen Definition hätten 80 Prozent mehr Patienten einen Herzinfarkt erlitten, die einen Stent erhielten, im Vergleich zu Patienten, die mittels Bypass behandelt wurden. Abbott Vascular, das Unternehmen, das die Studie finanzierte, schiebe die Verantwortung laut BBC den Studienautoren zu. Die wiederum behaupten, dem Nachrichtendienst wurden falsche Ergebnisse zugespielt.
Doch es wird noch brisanter: BBC liegen Mails vor, in denen das Datenüberwachungskomitee der Studie die Autoren darauf aufmerksam macht, dass in der PCI-Gruppe auffällig viele Patienten versterben. Diese Info solle man möglichst bald veröffentlichen. Doch passiert ist nichts. Ganz besonders heikel ist das, weil die Ergebnisse der Studie sogar in der aktuellen Leitlinie zur myokardialen Revaskularisierung berücksichtigt wurden und zur Behandlungsempfehlung bei der speziellen Patientengruppe beitrug. In einer Pressemitteilung erklärt die European Society of Cardiology (ESC), sie stehe auch weiterhin zu ihrer Empfehlung. Man werde sie aber aufgrund der neuen Informationen überprüfen.
„Patienten, die einen Stent bekommen haben und gestorben sind, hätten vielleicht mit einer Bypass-OP länger überlebt“, sagt Nicholas Freemantle, damaliges Mitglied des Leitlinienkomitees im BBC-Bericht.
Die Studienautoren um Gregg Stone weisen die Vorwürfe der BBC jetzt in einem 11-seitigem Statement entschieden zurück. Darin heißt es unter anderem, dass sich alle involvierten Ärzte darauf geeinigt hätten, dass die universelle Myokardinfarkt-Definition für die EXCEL-Studie ungeeignet sei. Grund sei gewesen, dass postprozedurale 12-Kanal-EKGs und Brustschmerzen einflössen, welche nach Bypass-Operation problematisch zu erheben seien.
Auch zu der Behauptung, dass im PCI-Studienarm unter Anwendung der universellen Definition mehr Herzinfarkte auftraten, äußern sie sich. Die Autoren betonen, dass der Troponin-Wert periprozedural überhaupt nur bei relativ wenigen Patienten gemessen worden sei. Die Daten, auf die Bezug genommen wurde, stammten möglicherweise aus einer explorativen Analyse. Die BBC-Journalisten seien einer Bitte, ihnen die geleakten Daten zuzusenden, nicht nachgekommen. Auf Twitter wirft Stone der BBC „Effekthascherei“ vor. Er und seine Kollegen würden sich zudem nicht mehr in der Presse zu dem Thema äußern.
Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) sieht Klärungsbedarf. Sie fordert in einer Pressemitteilung, die Studiendaten von unabhängiger Seite erneut zu analysieren. „Wir raten jedem Patienten dringend, gerade in Hinblick auf die mögliche Verunsicherung durch die Berichterstattung, unbedingt ein interdisziplinäres Herzteam einzubeziehen, um die notwendige Therapie auf größtmögliche herzmedizinische Expertise zu stützen. Das Herz-Team ist die entscheidende Instanz für die Patientensicherheit“, erklärt Prof. Dr. Jan Gummert, Präsident der DGTHG.
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