Der deutsche Marktführer für Zytostatika ist im Visier von Hamburger Ermittlern. Der Vorwurf: Betrug und Bestechung. Wie ist es mit den Ärzten – sind sie Opfer oder Mittäter?
Sechs Staatsanwälte, 420 Polizisten und 47 durchsuchte Gebäude – das sind die Eckdaten der größten Razzia, die die Hamburger Wirtschaftsstaatsanwaltschaft je angeordnet hat. Der Grund: ZytoService, dem deutschen Marktführer für Krebsmedikamente, werden Bestechung und Betrug vorgeworfen.
Die Firma mit Sitz in Hamburg soll Ärzten unter anderem rückzahlungsfreie Darlehen, Luxuskarossen und Praxiseinrichtung überlassen haben, recherchierten Zeit Online und Panorama. Dazu seien Rückerstattungen im sechsstelligen Bereich gekommen. Im Gegenzug verpflichteten sich die bestochenen Ärzte, Zytostatika nur bei firmennahen Apotheken zu bestellen. Diese reichten die entsprechenden Rezepte wiederum an ZytoService weiter, die Firma lieferte die Infusionen dann an die bestellenden Ärzte.
Laut DAK-Gesundheit habe ZytoService mit den so erlangten Aufträgen allein bei den dort versicherten Patienten einen zweistelligen Millionenbetrag erzielt. Die Techniker Krankenkasse setzt einen Betrugsschaden von 8,6 Millionen Euro an. Jörg Bodanowitz, Pressesprecher der DAK, sieht im Gespräch mit den Tagesthemen hier vor allem zwei Probleme: „Wenn Ärzte nicht wirtschaftlich unabhängig arbeiten können, dann kann es passieren, dass sie beispielsweise Medikamente […] verordnen, die vielleicht teurer sind als die Standardtherapien, die völlig ausreichend wären. Es kann aber auch passieren, dass Patienten zu viele Medikamente verabreicht bekommen.“
Während in diesem Fall die Spieler vielleicht neu sind, ist das Spiel selbst so bekannt wie traurig. Denn Chemotherapien sind teuer, sie kosten bis zu 100.000 Euro. Die Infusionen schlagen mit bis zu 2.000 Euro pro Beutel zu Buche. Es überrascht also wenig, dass einige Ärzte und Apotheker bereits in der Vergangenheit Absprachen getroffen haben, um sich an den Medikamenten zu bereichern. Panorama berichtete schon 2016 von einer Gruppe aus Apothekern und Pharmahändlern, die einen Hamburger Onkologen mit einem sechsstelligen Betrag bestechen wollten.
Der betroffene Onkologe, Dr. Ulrich Fritz, ging jedoch nicht auf das Angebot ein und wandte sich an Journalisten. Die konnten im Rahmen ihrer verdeckten Recherche mehrere solcher Angebotsgespräche filmen – und damit auch auf eine der größten Lücken im damals noch geplanten Antikorruptionsgesetz im Medizinwesen aufmerksam machen. Denn Telefonüberwachungen oder das Abhören von Gesprächen im öffentlichen Raum der Praxis sind darin nicht gestattet. So soll eigentlich das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient geschützt werden.
Für Fritz liegt genau darin auch das Perfide der Situation. „Dieser wahnsinnige Spannungsbogen von dem eigentlich seelsorgerischen Auftrag, den ein Onkologe hat. Und dann gibt es dort so einen Morast. Das ist etwas Unfassbares, wie man mit dem Leid anderer Leute so ein Geschäft macht. Wir Onkologen müssen den Menschen Mut machen“, sagt er im Interview mit Panorama.
Prof. Arndt Vogel, Leitender Oberarzt und Leiter des Viszeralonkologischen Zentrums Hannover, mahnt gegenüber DocCheck aber auch zur Besonnenheit: „Das ist schon sehr erstaunlich, und muss in Ruhe aufgeklärt werden und die Verantwortlichen entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden. Nichtsdestotrotz sollte aber vermieden werden, dass wegen ein paar schwarzer Schafe dies jetzt verallgemeinert wird.“
Fritz gibt aber grundsätzlich zu bedenken: „Onkologen behandeln Patienten, die schwer krank sind, die nicht wissen, wie lange sie zu leben haben. Wir müssen ihnen Mut machen und glaubwürdig sein. Und dagegen steht dieser Unrat.“
Das Erste bringt morgen, 19.12., um 21:45 Uhr einen Panorama-Bericht zum Stand der Dinge.
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