Bei Ärzten bekommen chemisch definierte Arzneimittel den Vortritt. Pflanzlichen Alternativen stehen sie skeptisch gegenüber. Doch bei einer Krankheit machen sie eine Ausnahme.
Ist der Husten trocken oder verschleimt? Häufig können Patienten diese Frage beim Arzt oder in der Apotheke gar nicht beantworten. Laut der neuen Husten-Leitlinie der Lungenfachärzte scheint diese Unterscheidung für die Therapie aber gar nicht relevant zu sein (DocCheck berichtete). Entscheidend für das therapeutische Vorgehen ist vor allem die Dauer des Hustens.
Expektorantien wie Ambroxol, Bromhexin und Acetylcystein haben eine festen Stellenwert in der Therapie. Doch für diese chemisch definierten Substanzen fehlt ein Nachweis, dass die Krankheitsdauer und –intensität bei einer Stirnhöhlenentzündung, Husten oder einer Erkältung verkürzt wird.
„Die Wirkung von Sekretolytika und Mukolytika auf den Husten ist nicht evidenzbasiert“, so das harte Urteil zu den drei chemischen Schleimlösern in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin zur Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten.
„Mukopharmaka, darunter subsumiert werden Mukolytika und Sekretolytika, sollen bei produktivem Husten die Sekretion der Bronchialflüssigkeit fördern oder die Viskosität eines verfestigten Bronchialschleims senken. Obwohl sie in dieser Indikation häufig verordnet werden, liegt ausreichende Evidenz zu Therapieeffekten von Expektorantien bei akutem Husten und Erkältungskrankheiten nicht vor“, so die Autoren der aktuellen Leitlinie.
In einer Metaanalyse von Kardos et al. wird N-Acetylcystein (NAC) abgewertet. Viele Studien wurden nicht mit Patienten mit akutem Husten durchgeführt, sondern mit Probanden, die beispielsweise an chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder chronischem Husten litten, so die Autoren der Metaanalyse.
Auch eine Cochrane-Analyse kommt zu einem ähnlichen Urteil. Eine weitere Cochrane-Studie kommt zu dem Schluss, dass Mukolytika als Behandlungsoption lediglich bei COPD-Patienten mit häufigen Exazerbationen angesehen werden könnten, die keine anderen Pharmaka einnehmen können.
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) warnt vor toxischen Hautreaktionen wie Steven-Johnson-Syndrom (SJS) und toxischer epidermaler Nekrolyse (TEN) durch Ambroxol und Bromhexin. Es wurden über 2.000 Fälle solcher schwerwiegenden Reaktionen gemeldet. In einer Reihe von Studien wurden diese Wirkstoffe als überlegen gegenüber Placebo oder gleichwertig mit Vergleichspräparaten bewertet. Aufgrund der hohen Placebo-Wirkung in diesem Therapiegebiet können Nichtunterlegenheitsstudien nicht als geeignet angesehen werden, um eine Wirkung nachzuweisen.
In anderen Studien wurde die Überlegenheit gegenüber Placebo nur in einigen Endpunkten oder Untergruppen der untersuchten Bevölkerung beobachtet. Darüber hinaus wurde in einigen Studien kein statistischer Unterschied zwischen Placebo und Bromhexin oder Ambroxol in den untersuchten Endpunkten beobachtet. Trotz der in diesen Studien identifizierten methodischen Probleme war das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der Ansicht, dass sie, insgesamt gesehen, einen Beweis für eine bescheidene Wirksamkeit darstellen. Cineol, Myrtol, Kresse und ein Kombipräparat erhalten in der DEGAM-Leitlinien eine Empfehlung. Grund genug, sie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
In der Behandlung der akuten sowie chronischen Bronchitis mit Husten und auch der Sinusitis hat sich das ätherische Mischöl Myrtol bewährt. Myrtol regt nicht nur die Zilientätigkeit der Bronchialschleimhaut an, es wirkt auch sekretolytisch und -motorisch. Ferner lassen sich antimikrobielle, antioxidative, immunmodulierende sowie antiphlogistische und Schleimhaut abschwellende Effekte nachweisen.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) spricht in ihrer neu überarbeiteten Leitlinie zum akuten Husten zwei Myrtol-Studien einen hohen Evidenz- und Empfehlungsgraden zu. Beide Untersuchungen dokumentieren, dass das Phytopharmakon die Symptome der akuten Bronchitis lindert und die Genesungsdauer verkürzt. Auch die Europäischen Guidelines (European position paper on rhinosinusitis and nasal polyps) sehen die Anwendung von Myrtol positiv.
In einem Statement der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie zur aktuellen Leitlinie Sinusitis heißt es: „Durch den Nachweis der Wirksamkeit von Myrtol standardisiert bei der akuten, nicht komplizierten Rhinosinusitis konnte in gewissen Fällen auf die Behandlung mit Antibiotika verzichtet werden. Es bestehen daher Hinweise für symptomlindernde und kurative Wirkungen von Myrtol und Cineol, bei akuter, nicht bakterieller Rhinosinusitis.“
Die europäischen Leitlinien empfehlen Antibiotika bei Sinusitis nahezu gar nicht. Lediglich bei hohem Fieber und starken einseitigen Kiefer- oder Stirnhöhlenschmerzen und Zeichen einer Augen- und Hirnbeteiligung sei der Einsatz gerechtfertigt. Selbst bei längeren Beschwerden einer regulären Sinusitis sind Antibiotika nicht notwendig. Der zurückhaltende Einsatz ist der sicherste Weg, einer Resistenzentwicklung vorzubeugen.
Bei der Einnahme von Myrtol ist zu beachten, dass die Kapseln auf nüchternen Magen eingenommen werden, damit sie sich im Dünndarm auflösen. Ansonsten kommt es zum Aufstoßen des ätherischen Öls, es können Magenunverträglichkeiten auftreten.
„Cineol stellt eine Komponente des Eucalyptus globulus dar und wurde ebenfalls wie Myrtol doppelblind bei akuter, nicht purulenter Sinusitis in zwei methodisch hochwertigen Studien getestet. Im Vergleich zu einem Placebo mit Nasentropfen wurden die Symptome signifikant gebessert“, so die Leitlinie.
Cineol beeinflusst den Arachidonsäure-Metabolismus und hemmt dadurch die Bildung von Leukotrienen, Prostaglandinen und Interleukin-1 sowie -6. Ursache ist die Hemmung proinflammatorischer Zytokine in humanen Lymphozyten und Monozyten. Die bronchospasmolytische Wirksamkeit wurde anhand der Verbesserung des mittleren Atemwegswiderstands bei Patienten mit obstruktiver Bronchitis nachgewiesen.
In einer Studie von Kehrl et al. erhielten 152 Patienten 3 x täglich zwei 100-mg-Kapseln mit Cineol. Im Vergleich zur Placebogruppe fiel der Symptomsummenscore innerhalb von 4 und 7 Tagen klinisch relevant und statistisch signifikant ab. Sagortchev et al. wiesen zudem nach, dass 1,8-Cineol sehr stark ausgeprägt spasmolytisch auf die glatten Muskeln wirkt. Bei fast allen klinischen Anwendungen mit 1,8-Cineol spielen Histaminrezeptoren eine bedeutsame Rolle.
In Untersuchungen an glatten Muskelstreifen des Meerschweinchenmagens wurde die dosisabhängige Wirkung von 1,8 Cineol auf die spontane kontraktile Aktivität untersucht. Cineol inaktiviert die Aktivität von Histaminrezeptoren und wirkt somit spasmolytisch und sekretolytisch.
Die Primelmischung ist nach Angaben der Herstellerfirma das meistverkaufte Phytopharmakon in Deutschland. Es steht in unterschiedlichen Stärken und Darreichungsformen zur Verfügung. Enthalten sind Extrakte von Eisenkraut, Enzianwurzel, Holunderblüten, Primel und Sauerampferkraut. Zumindest Eisenkraut und Enzian würde man eher in einem Magenpräparat als in einem Phytopharmakon mit Wirkung auf die oberen Atemwege vermuten. Neuere Studien liefern jetzt jedoch den Beweis für die Sinnhaftigkeit der vermutlich vormals empirischen Zusammensetzung. Die Heilpflanzen enthalten große Mengen an Phytoflavonoiden.
In einer italienischen Studie von Rossi et al. konnten die sekretolytischen, sekretomotorischen, antiphlogistischen und antiviralen Eigenschaften des Trockenextrakts belegt werden. Auch antivirale Effekte, im Sinne einer Replikationshemmung typischer Atemwegsviren, wurden nachgewiesen. Das Phytopharmakon hemmt unter anderem humane Rhinoviren, Respiratory-Syncytial-Viren, Adenoviren und Influenzaviren, so das Ergebnis einer Laborstudie.
Virgin et al. haben auf molekularer Ebene im Rahmen der Mukoviszidoseforschung einen wichtigen Wirkmechanismus entschlüsselt. Bei Atemwegsinfekten ist die mukoziliäre Clearance erheblich gestört. Dies führt unter anderem zur Austrocknung der Schleimhaut und der Bildung von hochviskosem Schleim.
Die Verbesserung der mukoziliären Clearance ist auch bei der Sinusitis-Behandlung ein wichtiges Therapieziel. Dadurch wird die Drainage und Ventilation des gestörten Nasennebenhöhlensystems ermöglicht. Bei der Clearance spielen die Chloridkanäle des respiratorischen Epithels eine wichtige Rolle. Bei der Cystischen Fibrose (Mukoviszidose) beispielsweise ist die Funktion dieser Kanäle genetisch gestört. Der bedeutsamste Signalweg ist der CFTR-Kanal (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator).
Das Phytotherapeutikum stimuliert den Chloridionentransport an diesem Kanal stärker als der bislang stärkste bekannte Aktivator, Forskolin. Durch die dosisabhängige verstärkte Chloridionensekretion wird die Viskosität des Schleims gemindert, die mukoziliären Clearance gefördert und die Zilienschlagtätigkeit des Epithels gefördert.
Die Studie wurde mit dem höher dosierten Präparat Sinupret extract® durchgeführt. Laut Hersteller ist die Konzentration an Bioflavonoiden in diesem Mittel um das 3,3-fache höher als in Sinupret forte®. Um die höhere Wirkstoffmenge zu erreichen, setzt der Hersteller beim neuen Präparat einen Trockenextrakt ein. Die dosisabhängige Wirkungskurve lässt die Wirkung des hochdosierten Präparates auf die Chloridkanäle erkennen. Es kommt jedoch die Frage auf, ob erkannt wurde, dass die übliche Formulierung unterdosiert war und dies durch die Modifizierung lediglich kompensiert wurde.
Sinupretzubereitungen werden in den Medien durchaus kritisch diskutiert. Prof. Peter Sawicki, bis Mitte 2010 Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), bewertete Erkältungsarzneimittel im Spiegel. Seine Meinung: „Das Präparat ist eine Mischung aus verschiedenen Pflanzenextrakten ohne nachgewiesenen Nutzen bei Virusinfekten und Infekten der oberen Atemwege. Grundsätzlich ist das Medikament (mit Ausnahme des Sirups) nur zur Behandlung der Infektion der Nasennebenhöhlen zugelassen – also nicht bei grippalen Symptomen.“
Stiftung Warentest äußert sich ebenfalls ablehnend: „Wenig geeignet bei Nebenhöhlenentzündung, weil die therapeutische Wirkung nicht ausreichend nachgewiesen ist. Nicht sinnvolle Kombination.“
Der Hersteller (Bionorica) widerspricht diesem Fazit in einer Stellungnahme: „Sinupret forte hat im Rahmen der Neuzulassung im Jahre 1997 eindeutig seine hohe pharmazeutische Qualität und Wirksamkeit in der Behandlung von akuten Nasennebenhöhlenentzündungen nachgewiesen.“ Zur klinischen Wirksamkeit gebe es eine Vielzahl von Studien. Sinupret forte ® habe sich zum meist verkauften pflanzlichen Arzneimittel Deutschlands entwickelt, was die Zufriedenheit der Anwender bestätige.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich von keiner Herstellerfirmen finanzielle Zuwendungen erhalten habe. Der Grund, warum in diesem Beitrag Arzneimittelnamen genannt werden (sonst nicht üblich), ist, dass Studien bei Phytopharmaka nur für das jeweilige Prüfpräparat gültig und nicht auf ähnliche Präparate übertragbar sind. Die Herkunft der Pflanze, die Wahl des Extraktionsmittels sowie das Extraktionsverhältnis lassen einen Vergleich nicht zu.
Ein Kombinationspräparat (Angocin ®) aus Kapuzinerkresse und Meerrettich wird seit Jahren mit Erfolg zur unterstützenden Therapie bei Infektionen der Harn- und Atemwege angewendet. Es ist kein klassisches Hustenmittel, wird aber bei Erkältungsbeschwerden angewendet und beworben. Wirksame Bestandteile sind Senföle (Isothiocyanate), die in vitro eine breite antibakterielle Wirkung gegen grampositive und -negative Bakterien aufweisen. Die Wirksamkeit von Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus L.) und Meerrettich (Armoracia rusticana) bei erhöhter Infektanfälligkeit der Harn- und Atemwege ist durch Studien dokumentiert.
Glucosinolate setzen Isothiocyanate frei und wirken direkt antibakteriell, antiviral und fungistatisch. Die Senföle werden im Dünndarm vollständig resorbiert. Eine Resistenzbildung oder eine Schädigung der körpereigenen Darmflora wurde nicht beobachtet. Außerdem wird die Synthese bakterieller Toxine gehemmt oder inaktiviert.
Es ist wichtig, dass Patienten mit Hypothyreose keine Präparate mit Senfölglykosiden einnehmen. Diese hemmen die Aufnahme von Jod in die Schilddrüse. „Die Wirksamkeit von Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel in den Angocin Anti-Infekt N-Filmtabletten ist wenig überzeugend belegt.“ Das ist die Meinung von Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Frankfurt/Main im Rahmen einer Bewertung für Stiftung Ökotest. Nur eine Studie zeige, dass die Wirksamkeit bei akuter Sinusitis und akuter Bronchitis mit der eines Antibiotikums vergleichbar ist, so der Pharmazeut.
In Apotheken und Arztpraxen wird häufig die Empfehlung ausgesprochen, bei Husten viel zu trinken. Bereits im Jahr 2004 haben Forscher um Professor Chris B. Del Mar aus Queensland die wissenschaftliche Literatur analysiert, um zu klären, welche Folgen vermehrtes oder reduziertes Trinken bei Patienten mit Atemwegsinfekten hat.
„Wir fanden Daten, die darauf hindeuten, dass die Zufuhr erhöhter Flüssigkeiten bei Patienten mit Atemwegsinfektionen Schäden verursachen kann“, so die Forscher. Bislang gibt es keine randomisierten kontrollierten Studien, die endgültige Beweise liefern. Bis wir diese Beweise haben, sollten wir vorsichtig sein, wenn es darum geht, den Patienten allgemein erhöhte Flüssigkeitsmengen zu empfehlen, insbesondere solche mit Infektionen der unteren Atemwege.
Die Forscher weisen darauf hin, dass bei einem Infekt der unteren Atemwege die ADH-Spiegel erhöht sein können. Das könnte auch zu Flüssigkeitsretention führen, zu Hyponatriämie und zu Komplikationen wie Verwirrtheit und Krämpfen.
Die (Laien-) Presse hat diese Studie mehrmals aufgegriffen und so interpretiert, dass man bei Husten und Verschleimung nicht mehr Flüssigkeit zu sich nehmen soll als sonst. Die Aussagen aus der Studie zum ADH beziehen sich aber auf Pneumonien. Es ist unklar, ob und wie weit dies auf eine Erkältung mit Husten übertragbar ist. Eines ist jedoch richtig: Keine Studie hat je geklärt, ob es für den empirischen Ratschlag, bei Husten viel zu trinken, Evidenz gibt.
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